Die Unsicherheit in der Bevölkerung zum Impfstoff von Astrazeneca ist groß. Experten beantworten wichtige Fragen.

Stuttgart - Die Verwirrung über den Nutzen und die Risiken der Impfungen mit Astrazeneca ist groß: Nach Deutschland und einer Reihe anderer Länder hat auch Schweden den Einsatz des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca ausgesetzt. Man pausiere den Gebrauch des Impfstoffs, bis die Untersuchung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA abgeschlossen sei. Warum Experten in Deutschland teils unterschiedlicher Ansichten sind – und was der Impfstopp des Vakzins von Astrazeneca für die bundesweite Impfstrategie bedeutet, klären wir in dieser Übersicht.

 

Wie wahrscheinlich ist es, dass der Impfstoff Astrazeneca Hirnvenenthrombosen auslösen kann?

Normalerweise treten zwei bis fünf Sinusvenenthrombosen pro einer Million Menschen im Jahr auf. Nun sind laut dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) aber sieben Fälle auf 1,6 Millionen Geimpfte bekannt. „Das ist schon verdächtig und sollte untersucht werden“, sagt Anke Huckriede, Professorin für Vakzinologie an der Uni Groningen, Niederlande. Sie betont aber auch: „Fakt bleibt, dass diese Form der Thrombose sehr selten ist.“ Vor allem nach einer Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin. Aus diesem Grund ist auch der Leiter des Zentralen Impfzentrums des Klinikum Stuttgart, Markus Rose, von einem kausalen Zusammenhang nicht überzeugt: „Das vermehrte Auftreten von bestimmten Symptomen in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung heißt noch nicht, dass auch ein ursächlicher Zusammenhang besteht“, sagt Markus Rose, der als Ärztlicher Leiter der Pädiatrischen Pneumologie, Allergologie und dem Mukoviszidose-Zentrum am Klinikum arbeitet. „Dieselben Beschwerden treten auch ohne vorangehende Impfung auf.“ So erinnert er daran, dass gerade Gerinnungsstörungen und Thrombosen bei bis zu einem Viertel der schweren Covid-19-Fälle beobachtet werden.

Warum ist die Hirnvenenthrombose so gefürchtet?

Bei einer Hirnvenen- oder Sinusvenenthrombose handelt es sich um ein Blutgerinnsel im Gehirn. Dieses kann die großen Blutgefäße, die Sinusvenen, verstopfen, die sauerstoffarmes Blut zum Herz pumpen. Es kommt zum Druckanstieg im Hirn, der tödlich enden kann. Eine Ursache für eine solche Thrombose kann eine genetische Veranlagung zur Blutgerinnungsstörung sein. Mögliche Auslöser sind auch hormonelle Veränderungen etwa durch die Pille oder eine Schwangerschaft, Infektionen am Kopf, aber auch Blut- und Krebserkrankungen sowie Medikamente.

Auf welche Symptome sollten Geimpfte achten?

Patienten mit einer Hirnvenenthrombose klagten unter anderem über Kopfschmerzen, Sehstörungen oder epileptische Anfälle. Weitere Symptome können Übelkeit, Erbrechen oder Bewusstseinsstörungen sein. Das PEI wies im Zusammenhang mit dem Astrazeneca-Stopp auf zunehmendes Unwohlsein nach der Impfung, starke und anhaltende Kopfschmerzen oder punktförmige Hautblutungen hin.

Wann wird entschieden, wie es mit Astrazeneca weitergeht?

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat klargemacht, dass sie den Nutzen von Astrazeneca bis zum Abschluss der Untersuchungen für größer hält als die Gefahren. Sie will am Donnerstag entscheiden. Als mögliches Ergebnis wird in Regierungskreisen eine weitere Nutzung des Impfstoffs mit einer Warnung oder Einschränkung für Thrombose-gefährdete Patienten gesehen. Unabhängig davon rät die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur weiteren Nutzung des Vakzins. So stehen 1000 potenziellen Toten pro Million Corona-Infizierten sieben Fälle pro 1,6 Millionen Geimpften durch Thrombosen gegenüber.

Was machen jetzt Impfberechtigte, deren Termine abgesagt werden?

Astrazeneca-Impftermine sind vorerst storniert, sagt das baden-württembergische Sozialministerium, aber die Terminabsagen gelten zunächst nur bis einschließlich Montag, 22. März, und umfassen lediglich Erstimpfungen. Spätere Termine bleiben bestehen. „Menschen, deren Ersttermin jetzt abgesagt wird, werden gebeten, die Informationen zum Zweittermin vorerst aufzubewahren“, teilt das Ministerium mit. Bislang haben im Land noch keine Zweitimpfungen mit Astrazeneca stattgefunden. Um Wartelisten vor allem mit über 80-Jährigen abzuarbeiten wird das Terminbuchungssystem in Baden-Württemberg bis Montag geschlossen. Personen auf der Warteliste, für die ein Termin verfügbar ist, werden vom Callcenter informiert.

Stimmen Politiker der Aussetzung des Impfstoffes zu?

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hält einen Zusammenhang zwischen Impfungen und den gemeldeten Thrombosen für sehr wahrscheinlich, befürwortete aber trotzdem eine Fortsetzung der Impfungen mit Astrazeneca: „Auf der Grundlage der Zwischenfälle, die wir jetzt kennen, überwiegt natürlich der Nutzen des Impfstoffs.“ Auch der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen verwies auf die dritte Coronawelle und bezeichnete den verhängten Impfstopp als fahrlässig. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger verteidigte den Impfstopp, mahnte aber zur Eile und forderte „eine schnelle Überprüfung“.