Eine schwache Wärmestrahlung erfüllt seit dem Urknall den Kosmos. Ihr Bild, das an moderne Kunst erinnert, zeigt die Keimzellen der ersten Galaxien. Was lernen Physiker aus den roten, gelbe, grünen und blauen Punkten?

Stuttgart - Im Kölner Dom ist seit fünf Jahren ein Fenster des Künstlers Gerhard Richter zu sehen: über einem Seitenportal, vom Haupteingang aus betrachtet im Querhaus rechts. Es besteht aus mehr als 11.000 kleinen Farbquadraten, die ein Computer per Zufall aus einer vorgegebenen Farbpalette ausgewählt hat. Das Fenster zeigt nach Süden, so dass man bei Sonnenschein Farbspiele auf dem Boden der Kirche verfolgen kann. (Eine Version zum Zoomen finden Sie hier.)

 

In der vergangenen Woche hat ein Forscherteam aus 40 europäischen und zehn amerikanischen Instituten ein Bild veröffentlicht, das dem Farbspiel auf dem Boden des Kölner Doms ähnelt. Auch hier gibt es ein nach dem Zufallsprinzip zusammengesetztes Fenster, in diesem Fall ein kosmisches, durch das Strahlung einfällt. Die Forscher haben diese unsichtbare Wärmestrahlung in Farbpunkte übersetzt: Rot steht für heiß und Blau für kalt. Das Bild zeigt, welche Strahlung aus dem kosmischen Fenster auf den Erdboden trifft – oder treffen könnte, denn ein Teil davon geht in der Erdatmosphäre verloren. Ein vollständiges Bild bekommen Physiker nur, wenn sie ihr Teleskop ins All schießen.

Der 700 Millionen Euro teure Satellit Planck der europäischen Weltraumagentur (Esa), der seit August 2009 den Himmel nach der Wärmestrahlung abtastet, hat bereits sieben Himmelsbilder zur Erde gefunkt. Ein achtes und letztes soll im Sommer folgen. Planck ist der dritte Satellit seiner Art und übertrifft die Auflösung seiner Vorgänger COBE und WMAP (siehe 2. Seite). Im kommenden Jahr wollen die Forscher die Planck-Daten vollständig ausgewertet haben. Was sie nun präsentieren sind nur die Daten der ersten 15,5 Monate. Sie zeigen eine Form von Strahlung, die seit 13,8 Milliarden Jahren das Weltall erfüllt. Sie wird als Nachhall des Urknalls beschrieben, der 380.000 Jahre vorher stattfand – also ebenfalls vor 13,8 Milliarden Jahren, denn ein paar Hunderttausend Jahre fallen im Gesamtalter des Universums nicht ins Gewicht.

Die Messungen werden aus allen Richtungen gestört

In den ersten 380.000 Jahren war das Universum undurchsichtig. Es war unvorstellbar heiß, und damit gab es zwar jede Menge Wärmestrahlung, doch die Strahlen kamen nicht weit: Sie wurden von den vielen Elektronen aufgefangen oder abgelenkt, die durch das Weltall schwirrten. Erst nach 380.000 Jahren war alles so weit heruntergekühlt – auf etwa 2700 Grad Celsius –, dass die positiv geladenen Protonen die negativen Elektronen einfangen konnten und so die ersten Wasserstoffatome bildeten. Damit war der Weg frei für die Wärmestrahlung. Auf dem Weg zur Erde hat sie sich deutlich abgekühlt und liegt nun bei minus 270,4 Grad Celsius, das sind nur 2,7 Grad über dem absoluten Nullpunkt der Temperatur. Wenn also von heißen und kalten Stellen auf der Planck-Aufnahme die Rede ist, muss man das relativ verstehen.

Ein Satellit, der diese Strahlung messen will, muss selbst extrem gekühlt werden, damit er nicht mit seiner Wärme die Messung verfälscht. Anschließend müssen die Messdaten – eine Billion Einzelbeobachtungen – trotzdem aufbereitet werden. Einen Großteil dieser Arbeit hat ein Cray-Supercomputer des US-Energieministeriums absolviert. Er musste vor allem die ganze Wärmestrahlung herausrechnen, die nicht auf den Urknall zurückgeht, sondern beispielsweise von den Sternen in der Nähe stammt. Die amerikanischen Physiker vergleichen das mit Fliegen, die man von der Windschutzscheibe kratze, um freie Sicht zu haben: Die störende Strahlung habe aber die Wucht eines „Fliegensturms“, der aus allen Richtungen gleichzeitig kommt.

Die Strahlung, die nun nach 13,8 Milliarden Jahren die Erde erreicht, ist aus allen Richtungen fast gleichförmig – aber nur fast. Als sich das kosmische Fenster für sie öffnete, veränderten die ersten Wolken aus Wasserstoffgas das Bild, so wie die farbigen Glasplatten in Richters Kirchenfenster das einfallende Sonnenlicht verändern. Hinzu kommt der Einfluss der Dunklen Materie, die auch Unsichtbare Materie genannt werden könnte, weil man sie bisher nicht gesehen hat. Sie macht sich allein durch ihre Schwerkraft bemerkbar. Richter hat bei seinem Kirchenfenster die Zufallsauswahl des Computers nachträglich verändert: Er wollte einen gleichmäßigen farblichen Eindruck erzeugen, der nicht zu warm und nicht zu kalt ist. Außerdem sollten nicht durch Zufall Symbole oder Figuren entstehen. Die Physiker sind hingegen gerade an den zufälligen Mustern der Strahlung interessiert, denn sie weisen auf die Keimzellen für die ersten Galaxien hin.

Auch durch Zufall können Muster entstehen

Das Universum hätte auch ganz gleichmäßig mit Materie ausgefüllt sein können. Dann hätte es sich beim Ausdehnen lediglich abgekühlt, aber es wäre nichts entstanden. Ein physikalisch langweiliges Szenario – als hätte Gerhard Richter alle Glaskacheln seines Fensters in derselben Farbe gehalten. Doch schon in der ersten Sekunde nach dem Urknall gab es Regionen mit mehr Materieteilchen und solche mit weniger. Diese Fluktuationen führten dann 380.000 Jahre später zu den ersten Klumpen von Gas und Dunkler Materie.

Dort, wo sich im jungen Universum Materie sammelte, hat sie sich nicht nur verdichtet und dabei aufgeheizt, sondern auch der Strahlung etwas Energie hinzugefügt. Diese dichteren Bereiche erscheinen in der Aufnahme des Planck-Satelliten daher rot, weil sie wärmer sind. Verkompliziert wird das Bild durch einen Effekt in umgekehrter Richtung: In den Regionen mit mehr Materie musste sich die Strahlung erst aus deren Schwerefeld herausarbeiten und verlor dabei wieder Energie. Die beiden Effekte wirken aber auf unterschiedlichen Größenskalen, so dass man sie auseinanderhalten kann: Auf die Keimzellen erster Galaxien weisen die roten Punkte hin, aber größere Materieansammlungen drücken im Bild die Farben wieder in Richtung Blau.

Der Unterschied zwischen Rot und Blau ist ausgesprochen klein: Die Temperatur schwankt nur um einige Hunderttausendstel Grad. Diese Schwankungen haben Physiker schon vor Jahrzehnten theoretisch vorhergesagt, und überhaupt stimmen Plancks Messungen gut mit der kosmologischen Theorie überein. Die Physiker berichten aber auch von „Ungereimtheiten“, die nicht zur Theorie passen: So sind die Temperaturunterschiede im Bild unten rechts beispielsweise stärker ausgeprägt (und in kräftigeren Farben dargestellt) als oben links. Das ist ein Argument für weitere Forschung, denn eine Erklärung gebe es dafür noch nicht, sagt Torsten Enßlin, der am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching bei München das deutsche Planck-Team leitet. Die „erstaunliche Konsistenz“ der Theorie mit den Daten erstaune ihn aber mehr „als die paar Ungereimtheiten“.

Das Universum ist größer als das, was Astronomen sehen

Weil die Messungen genauer sind als die der beiden Vorgängersatelliten, können die Physiker daraus auch genauere Kennzahlen des Universums ableiten. So sagen sie nun, dass das Weltall 80 Millionen Jahre älter sei als gedacht: also 13,8 statt 13,7 Milliarden Jahre. Das liegt daran, dass sie den Anteil der Dunklen Energie im All von 72 auf 68 Prozent herabsetzen müssen. Diese Energieform, die ebenfalls als dunkel bezeichnet wird, weil man kaum etwas über sie weiß, treibt das All auseinander. Wenn es etwas weniger davon gibt, expandiert das Universum langsamer als gedacht und muss daher etwas mehr Zeit gebraucht haben, um seine heutige Größe zu erreichen. Deshalb haben die Physiker das Alter des Kosmos nach oben korrigiert.

Solche Werte sind für Laien schwer zu begreifen, und auch Physiker arbeiten lieber mit Formeln als mit umgangssprachlichen Beschreibungen. Das beginnt schon bei der Frage, wo mit dem Urknall alles begann. Denn der Urknall fand nicht in einem ansonsten leeren Raum statt, sondern erzeugte den Raum erst einmal. In der Mathematik lässt sich das präzise beschreiben, anschaulich ist es nicht.

Ein Astronom betrachtet das dreidimensionale Universum gewissermaßen so, wie ein Landvermesser die zweidimensionale Erdoberfläche von einem Turm aus betrachtet: Er kann nur bis zum Horizont blicken und an dessen Krümmung erkennen, dass die Erde nicht flach ist, sondern im dreidimensionalen Raum gekrümmt. Was dahinter liegt, bleibt ihm verborgen, so wie auch Astronomen nur die Galaxien sehen, deren Licht in den vergangenen 13,8 Milliarden Jahren Zeit hatte, die Erde zu erreichen. Dahinter verbirgt sich ein großer Teil des expandierenden Kosmos, der von der Erde aus nicht zu sehen ist. Diese Beschreibung hat aus Sicht eines Physikers einige Macken, aber Torsten Enßlin hat Verständnis für die Nöte der Laien: „Passt so halbwegs“, lautet sein Kommentar. (Torsten Enßlin führt in einem animierten Comic in die Theorie der Wärmestrahlung ein.)

Drei Satelliten haben den Nachhall des Urknalls untersucht

COBE
Eigentlich hätte der Satellit COBE schon 1986 mit einem Spaceshuttle starten sollen, doch nach der Explosion der Challenger war der Plan Makulatur. Der Satellit hob schließlich 1989 mit einer anderen Rakete ab. Die erste Messung dauerte neun Minuten und bestätigte die Theorie der kosmischen Wärmestrahlung präzise. Die beiden Koordinatoren des mehr als 1000 Forscher umfassenden Teams, John Mather und George Smoot, wurden 2006 mit dem Physik-Nobelpreis geehrt.

WMAP
Das W in der Abkürzung dieses Satelliten weist auf den 2002 verstorbenen Astrophysiker David Todd Wilkinson, der die kosmische Wärmestrahlung untersucht hat. Das MA steht für den Fachbegriff für die kleinen Variationen dieser Strahlung (microwave anisotropy, deutsch: Richtungsabhängigkeit der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung). WMAP hat diese Variationen von 2001 bis 2010 noch genauer erforscht (englisch: to probe – daher das P) als COBE.

Planck
Nach zwei amerikanischen Satelliten hat die europäische Weltraumagentur Esa mit Planck 2009 eine eigene Sonde ins All geschickt, um die Wärmestrahlung zu kartieren. Planck soll die Schwankungen der Strahlung so genau vermessen, wie es physikalisch noch möglich ist. Daraus wollen Astronomen grundlegende Eigenschaften des Alls ableiten: nicht zuletzt dessen Alter. Das Universum ist nach neuen Berechnungen nicht 13,7, sondern 13,8 Milliarden Jahre alt.