Ein 30-Jähriger aus Somalia steht vor Gericht, weil er versucht haben soll, einen Landsmann zu töten. Dem Angeklagten droht die Abschiebung.

Bietigheim-Bissingen - Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen einen Flüchtling aus dem afrikanischen Somalia klingen so brutal wie einfach: Im März soll der 30-Jährige in einer Unterkunft in Bietigheim-Bissingen versucht haben, einen Landsmann und Mitbewohner zu töten. Mit einem Messer habe er mehrfach nach dem mutmaßlichen Opfer gestochen, wobei lediglich ein Stich auch traf: an der Schulter sei der andere Mann von der Klinge verletzt worden, so die Ermittler. Trotzdem geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass der 30-Jährige seinem Kontrahenten nach dem Leben trachtete. Sie wirft dem Mann versuchten Totschlag vor.

 

Doch den auf den ersten Blick simplen Sachverhalt aufzuklären, bereitete selbst der erfahrenen Schwurgerichtskammer des Landgerichts Heilbronn zum Prozessauftakt am Dienstag einige Schwierigkeiten. Zum einen lag das an der Sprachbarriere, die auch eine erste Dolmetscherin nicht überwinden konnte. Also musste der Prozess schon kurz nach Beginn für mehrere Stunden unterbrochen werden, bis ein Ersatzmann aus Hessen angefahren kam.

Eine Zeuge wurde bereits abgeschoben

Zum anderen lag das am mangelnden Verständnis mancher Beteiligter für das deutsche Justizsystem: Der Angeklagte gab sich äußerst wortkarg und wollte sich weder zu seinem Lebenslauf noch zu den Vorwürfen ausführlich äußern. Weniger, weil er befürchtete, sich zu verstricken. Vielmehr habe er bereits dem psychiatrischen Gutachter alles gesagt – und deshalb keine Lust mehr zu sprechen, verkündete der junge Mann. Der Streit in der Unterkunft ist in seinen Augen eine „Kleinigkeit“ gewesen, die das Gericht nun aufbauschen wolle.

Das vermeintlich größte Problem für die Richter am Dienstag war allerdings das mutmaßliche Opfer, ebenfalls ein junger Mann aus Somalia. Der erschien erst gar nicht vor Gericht, auch eilig informierte Polizeibeamte konnten den Mann nicht auftreiben – denn er lebt gar nicht mehr in Deutschland. Der Hauptbelastungszeuge des Prozesses ist Anfang August in seine Heimat abgeschoben worden.

Ein Mitbewohner der beiden, ebenfalls aus dem Land am Horn von Afrika, berichtete stattdessen von dem blutigen Streit im März. Demnach habe der Angeklagte bei der Auseinandersetzung gleich zwei Messer im Hosenbund gehabt und mit beiden nach dem Opfer gestochen. Er glaube aber, dass der Angeklagte nicht habe töten wollen, sagte der 21-jährige Asylbewerber. Als der Konflikt schließlich eskalierte, habe er die Polizei gerufen, um noch Schlimmeres zu verhindern.

Mehrfache illegale Reisen in Europa

Eine Abschiebung droht indes auch dem Angeklagten: Er floh bereits vor fünf Jahren über das Mittelmeer nach Europa und landete auf der Insel Lampedusa an. Dort, in Italien, wurde er schließlich als Asylbewerber anerkannt – was dem jungen Mann aber offensichtlich nicht gefiel. So reiste er 2012 nach Norwegen und zwei Jahre später, ebenfalls illegal, nach Schweden, um dort Asyl zu beantragen. Beide Länder schoben den Somalier allerdings wieder nach Italien ab, 2016 kam er schließlich nach Deutschland. Der Vorsitzende Richter mutmaßte: „Sie sind wohl nicht aus politischen, sondern eher aus wirtschaftlichen Gründen geflohen.“ Ob und wenn ja, wie lange der 30-Jährige vor einer drohenden Abschiebung in Haft muss, entscheidet das Landgericht voraussichtlich Mitte Oktober. Dann soll ein Urteil fallen.