Weil das Land Baden-Württemberg die Abschiebepraxis strenger handhabt, verlassen immer mehr Flüchtlinge freiwillig das Land. Diesen Schluss lassen die steigenden Zahlen bei der Rückkehrberatung in Stuttgart zu.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Die strengere Abschiebepraxis des Landes Baden-Württemberg gegenüber Flüchtlingen vom Balkan führt dazu, dass deutlich mehr Betroffene, deren Asylantrag abgelehnt wurde, freiwillig das Land verlassen. Ein Indikator dafür sind die bei der Rückkehrberatung in Stuttgart in den ersten Monaten dieses Jahres stark gestiegenen Zahlen. Dort geht man davon aus, dass noch ein weit größerer Teil der Menschen vom Westbalkan freiwillig in ihre Heimat zurückkehren würde, wenn man sie besser über die aktuelle Lage informieren würde.

 

Erst vor Kurzem sind in einem Sammelcharterflug vom Baden Airpark bei Karlsruhe 121 abgelehnte Asylbewerber in den Kosovo abgeschoben worden. Schon in den Monaten davor gingen von dort aus mehrere Maschinen nach Serbien und Mazedonien. In welchem Umfang jüngst auch Flüchtlinge aus Stuttgart und der Region davon betroffen sind, lässt sich nicht exakt sagen. Die aktuellen Zahlen für das Land zeigen aber die Tendenz: 1055 Abschiebungen registrierte man 2013, im vergangenen Jahr waren es 1211, in den ersten vier Monaten dieses Jahres schon 630, sagte ein Sprecher des Regierungspräsidiums in Karlsruhe. Für Stuttgart liegen keine Zahlen für die ersten Monate dieses Jahres vor. 2014 hat man beim Ordnungsamt aber 124 Fälle registriert, die aus hiesigen Unterkünften oder Wohnungen abgeschoben wurden. Die Jahre zuvor waren es jeweils knapp unter 100 Fälle.

Ein Drittel der Flüchtlinge stammen vom Westbalkan

Insgesamt 3262 Menschen waren Ende April in den 72 Unterkünften der Landeshauptstadt untergebracht. Von diesen stammten 598 aus den als sicher geltenden Balkanstaaten Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina. Dazu kommen 371 Flüchtlinge aus dem Kosovo, deren Anerkennungsquote bei nahezu null liegt. Das sind zusammen 969 Personen, somit liegt der Anteil von Menschen vom Westbalkan in den Unterkünften der Stadt bei rund einem Drittel. Vor einem Jahr waren es noch knapp ein Viertel, bei insgesamt 427 Flüchtlingen aus diesen Ländern.

Inzwischen aber gehen die Zahlen leicht zurück. Im April lag der Anteil der Menschen aus den betreffenden Ländern, die in Stuttgart ankamen, noch bei zwölf Prozent. Und der gestiegene Abschiebedruck führt offenbar dazu, dass immer mehr Flüchtlinge vom Balkan nach der Ablehnung ihres Asylantrags auch freiwillig das Land verlassen. Das stellt man bei der Rückkehrberatung der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW) in Stuttgart fest. „Wir haben in diesem Jahr schon 160 Rückkehrer beraten“, sagt Gert Lienig. Im ganzen Jahr 2014 waren es 180, und das war schon eine starke Steigerung. Und 90 abgelehnte Asylbewerber haben die Rückreise in den Westbalkan angetreten, für das gesamte Jahr rechnet Lienig mit 200. In früheren Jahren waren es insgesamt allenfalls 70.

Inzwischen stammen etwa 90 Prozent der Menschen, die der AGDW berät, aus Ländern des Westbalkans. Die klassischen Rückkehrer, die nach vielen Jahren zum Beispiel aus familiären Gründen in ihre Heimat zurückgehen und denen man verschiedene Rückkehrhilfen bieten kann, stellen nur noch eine Minderheit. Die Flüchtlinge vom Balkan bekommen freilich nur eine Fahrkarte und ein Vespergeld für die tagelange Rückreise.

Eine Klage hat keine aufschiebende Wirkung mehr

Diese Entwicklung sei darauf zurückzuführen, „dass die Behörden jetzt mit der Ausreisepflicht Ernst machen“, sagt Gert Lienig. „Das war in den vergangenen Jahren nicht immer der Fall.“ Auch nach der Ablehnung ihres Asylantrages seien nicht wenige einfach weiter geblieben, im Vergleich zu anderen Ländern seien die Menschen in Deutschland ja gut versorgt.

Der Flüchtlingsberater ist überzeugt, dass die Zahl der freiwillig Ausreisenden noch deutlich größer wäre, wenn diese besser über die neue Rechtslage informiert würden. Denn wer abgeschoben wird, erhält eine Einreisesperre für Deutschland, wer freiwillig geht, nicht. „Viele würden selbst gehen, aber sie verpassen, weil jetzt früher abgeschoben wird, den richtigen Zeitpunkt, sich zu melden“, sagt Lienig.

Nicht wenige der abgelehnten Asylbewerber vom Balkan wiegen sich in Sicherheit, weil sie über einen Anwalt Klage gegen ihre Abschiebung eingelegt haben. Diese habe aber bei den Menschen vom Balkan keine aufschiebende Wirkung mehr, weil deren Asylanträge ausdrücklich als „unbegründet oder offensichtlich unbegründet“ abgelehnt würden.

Romakinder blühen in Deutschland regelrecht auf

Gert Lienig ist der Ansicht, dass diese Gruppe von Flüchtlingen „im Asylverfahren falsch ist“. Was nicht heiße, dass man das Thema nur auf rechtliche Formalien reduzieren und die Ursachen für die „große Wanderungsbewegung“ ignorieren dürfe. So hat er festgestellt, wie schwierig die Rückkehr für Romafamilien etwa aus Serbien und Mazedonien sei, die oft sehr dankbar seien, weil sich ihre Kinder schon nach kurzer Zeit eingelebt hätten. „Gerade Romakinder blühen hier auf“, sagt Lienig, weil sie zur Schule gingen und keiner Diskriminierung ausgesetzt seien wie in ihren Herkunftsländern. „Für die Kinder würde sich hier eine Perspektive bieten.“

Der AGDW-Vertreter ist der Ansicht, die EU und Deutschland müssten auch für Kosovaren einen Zugang zum Arbeitsmarkt schaffen. Diese würden im Übrigen oft gut Deutsch sprechen, weil sie in den 90er Jahren schon einmal mit ihren Eltern während des Balkankrieges hier waren.