Das Atomkraftwerk Neckarwestheim I geht für immer vom Netz. Sechs andere Atomkraftwerke werden vorübergehend stillgelegt.

Stuttgart/Karlsruhe/Berlin  - Der Atommeiler Neckarwestheim I wird für immer stillgelegt. Das bestätigte der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus am Dienstag in einer Sondersitzung des Landtags. „Neckarwestheim I wird abgeschaltet, dauerhaft, und stillgelegt“, sagte er.

 

Zudem werde der Energiekonzern EnBW angewiesen, das Atomkraftwerk Philippsburg I für eine umfassenden Sicherheitsüberprüfung im Stillstand „unverzüglich“ vom Netz zu nehmen. Grundlage dafür ist der Beschluss der Bundesregierung, die sieben ältesten der 17 Atomkraftwerke in Deutschland vorläufig vom Netz zu nehmen.

Mappus: Zäsur für Umgang mit Kernenergie

Mappus bezeichnete das Erbeben in Japan als eine Zäsur für den Umgang mit Kernenergie in Deutschland und kündigte eine Debatte „ohne Denkverbote“ an. „Ein einfaches Weiter so kann es nicht geben“, sagte er. Gerade weil er für die Verlängerung der AKW-Laufzeiten eingetreten sei, sehe er für sich eine besondere Verantwortung, sich darum zu kümmern, wie man nach der Katastrophe Japan in Deutschland mit der Kernenergie umgehe.

„Was die Menschen in Japan jetzt erleben müssen, das stellt die Frage nach der Verantwortbarkeit der Kernenergie neu. Auch für mich ganz persönlich“, sagte er. Was in Japan passiert sei, habe ihn erschüttert und nachdenklich gemacht. „Und es lässt mich zweifeln an mancher Gewissheit, auf die ich vertraut habe. Auch das gebe ich offen zu“, sagte der Ministerpräsident.

Schweigeminute im Landtag

Die umstrittene Entscheidung zur Laufzeitverlängerung, für die er eingetreten sei, sei „sorgfältig und nach besten Wissen und Gewissen“ getroffen worden. Die Sicherheit der Menschen habe immer an erster Stelle gestanden. „Ich habe mich immer rational zur Kernenergie bekannt, weil ich ihren Nutzen gesehen habe“, sagte er.

Der Landtag hatte zu Beginn der aktuellen Debatte eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer der Naturkatastrophe in Japan eingelegt.

Die vorübergehende Abschaltung betrifft - neben Philippsburg I - Biblis A und B (Hessen), Isar I (München), Unterweser (Niedersachsen) und das ohnehin stillstehende AKW Brunsbüttel (Schleswig-Holstein). Die deutschen Atommeiler lieferten zuletzt rund 23 Prozent des Stroms.

Ein Sprecher des Umweltministeriums in Stuttgart sagte: „Wir erwarten nicht, dass man auf den roten Knopf drückt, sondern eher ein geordnetes Runterfahren.“ Schließlich müsse auch die Netzstabilität gewährleistet sein.

20 Prozent Stromerzeugung gehen verloren

Mit den beiden Meilern Neckarwestheim I und Philippsburg I würden dem Land mehr als 20 Prozent der Stromerzeugung verloren gehen - eine Lücke, die mit einer Erhöhung des Importstromanteils von derzeit zehn Prozent geschlossen werden soll. Atomstrom liefern dann noch Neckarwestheim II und Philippsburg II. Bislang entfiel auf die Kernkraft die Hälfte der Stromerzeugung im Land.

Die nach der japanischen Atomkatastrophe am Montag eingeleitete Sonderprüfung der vier Reaktoren hat nach Angaben des Umweltministeriums keine sicherheitstechnischen Defizite ans Licht gebracht: „Die gründliche Prüfung der Notstromeinrichtungen hat ergeben, dass diese in gegen Erdbeben und Überflutung gut geschützten Gebäuden untergebracht sind.“ Die Laufzeitverlängerung der Atommeiler werde für drei Monate ausgesetzt, sagte Merkel nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder mit Atomkraftwerken. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) bestritt, dass dieser Beschluss mit der bevorstehenden Landtagswahl zusammenhängt: „Ich mach' keine Kehrtwende.“ Er fügte hinzu: „Was wir tun, ergibt sich aus sich selbst heraus. Ich glaub', es ist die einzige Möglichkeit, es so zu machen, wie wir's machen.“ Er sprach von einem „emotionalen Ausnahmezustand“ für die Bürger angesichts der Bilder von der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima.

Bäumler: "Verlängerung ist tot"

In der Südwest-CDU wächst der Druck auf Mappus, in der Atomfrage schnell zu handeln: Das CDU-Vorstandsmitglied Christian Bäumler sagte der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart: „Die Verlängerung der Atomlaufzeiten ist tot - politisch und juristisch sowieso.“ Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) kommt derweil in Erklärungsnot, weil sie in den Jahren 2009 und 2010 meldepflichtige Vorfälle im AKW Philippsburg II verheimlicht haben soll. Die Grünen im Landtag sehen einen entsprechenden Verdacht bestätigt. Das Umweltministerium bestreitet dies zumindest in zwei Fällen und beschuldigt die Grünen eines „durchschaubaren Wahlkampfmanövers“.

Die Gemeinde Neckarwestheim verliert rund 250 Arbeitsplätze und mehrere Millionen Euro an Steuern, wenn Block I des Atomkraftwerks dauerhaft abgeschaltet bleibt. „Wir haben den Vorteil, dass wir uns schon lange mit dem Thema beschäftigen“, sagte Bürgermeister Mario Dürr (parteilos) der Nachrichtenagentur dpa. Neckarwestheim habe Rücklagen geschaffen. Es sei damit zu rechnen, dass die Zahl der Einwohner sinke, wenn der Betreiber EnBW einige der derzeit 800 Arbeitsplätze streiche.

Man dürfe sich nicht nur auf die Frage „Weiterbetrieb der Kernkraft ja oder nein“ beschränken, betonte die EnBW. Die Kernkraft sei Teil einer in Deutschland über Jahrzehnte gewachsenen Energiestruktur. Die Auswirkungen des Abschaltens vor Atommeilern müssten diskutiert werden. „Wir bieten daher der Politik einen offenen Dialog zur Zukunft der sogenannten Altanlagen an“, sagte EnBW-Chef Hans-Peter Villis. Ziel müsse ein breiter energiepolitischer Konsens sein. „Mit einem solchen Dialog könnte dann auch die Akzeptanz für den dringend benötigten Netzausbau und auch den Ausbau von Speicherkraftwerken in Deutschland erhöht werden“, sagte Villis.