Wehmut ist auch dabei: Bernhard Siegle, seit mehr als 22 Jahren Geschäftsführer bei Atrio Leonberg, verabschiedet sich an diesem Freitag in den Ruhestand.

Jetzt hat sich auch die letzte Phase des Einlernens seines Nachfolgers dem Ende geneigt. „Ich dachte, dass es leichter sei, loszulassen“, sagt Bernhard Siegle, der Noch-Geschäftsführer von Atrio, der sich an diesem Freitag mit einer offiziellen Stabübergabe an Markus Metz in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Mehr als 22 Jahre war der 64-Jährige Geschäftsführer des Atrio Leonberg, hat die frühere Behindertenhilfe zum innovativen Unternehmensverbund mit vielfältigen Angeboten weiterentwickelt.

 

Viele Jahre viel Herzblut in die Arbeit gesteckt

Atrio ist ein Kunstname, der sich aus den Anfangsbuchstaben Arbeit, Teilhabe, Regionale Angebote, Inklusion und Organisation zusammensetzt. Alles Aufgaben und Ziele, die sich das Unternehmen auf die Fahnen geschrieben hat. Gegründet wurde es 2012 aus der einstigen Behindertenhilfe Leonberg und den Werkstätten für Behinderte Leonberg. Aktuell hat es 330 Angestellte, bietet 300 Arbeitsplätze in Werkstätten und begleitet 200 Menschen im Wohnen. „Die Arbeit nimmt mich noch sehr gefangen“, sagte Bernhard Siegle in einem Gespräch mit unserer Zeitung vor einigen Tagen.

Viele Jahre hat er so viel Herzblut in seinen Beruf gesteckt, der im wahrsten Sinne des Wortes Berufung für ihn war. Er hat das Unternehmen mit seinen Ideen und Vorstellungen dorthin gesteuert hat, wo es momentan ist. „Für mich war es nicht nur Arbeitszeit bei Atrio, sondern auch Lebenszeit, meine Arbeit war mit Sinn gefüllt, so habe ich es immer erlebt. Ich konnte viel gestalten, das macht es auch so schwer, diesen Schritt nun zu Ende zu gehen.“

Als Geschäftsführer und Nachfolger von Karl Wurst kam der Remstaler im Jahr 2001 nach Leonberg. Zu dieser Zeit gab es nur die „beschützende“ Werkstätte in Leonberg und die Wohnanlage in Höfingen. Es folgten unzählige Projekte. 2004 wurde das Haus Atrio eröffnet und damit ein Förder- und Betreuungsbereich mit 18 Plätzen geschaffen. Weitere Wohnhäuser entstanden in Leonberg, Gerlingen, Ditzingen, Renningen und Weil der Stadt. Geschäftliche Partnerschaften wie mit Porsche oder den Leonberger Unternehmen Geze und Perma-Trade wurden unterzeichnet, das Café B21 in Eltingen und das Kreativwerk in Höfingen geschaffen.

Die Projekte haben sich entwickelt

Eine Vorstellung, wie das Unternehmen 22 Jahre später aussehen sollte, hatte Bernhard Siegle nicht, als er bei Atrio begann. „Die Projekte haben sich entwickelt, mit meinen Kolleginnen und Kollegen habe ich immer in Fünf-Jahres-Schritten gedacht, und wir bekamen stets tolle Unterstützung und Rückendeckung vom Aufsichtsrat.“ Und so habe sich auch Inklusion weiterentwickelt. Zumindest ein Stückchen. „Die Menschen mit Behinderung wohnen in Weil der Stadt und Ditzingen zentral mitten in der Stadt und nehmen am Leben teil. Ob sie akzeptiert werden, ist eine andere Geschichte“, sagt Bernhard Siegle.

Was trieb den Atrio-Geschäftsführer all die Jahre an? „Menschen mit Behinderung haben es verdient, vor Ort zu sein, sie sind sehr gewinnbringend, und Zweifel lösen sich in der Begegnung schnell auf, deshalb lohnt es sich, sich für sie einzusetzen.“ Für die Umsetzung mancher Bauprojekte habe er einen langen Atem gebraucht, Verwaltungen oder auch Gemeinderäte zu überzeugen. Da kommen ihm seine sportlichen Hobbys, Laufen und Radfahren, zugute. „Da hole ich mir meine Ausdauer“, sagt er und lacht.

Zwei Berufe erlernt

Bernhard Siegle hat zwei Berufe erlernt. Er absolvierte zunächst die praktische Ausbildung zum Verwaltungswirt, lernte dabei die Aufgaben und Probleme der kommunalen Verwaltung in seiner Heimatstadt Remshalden in der Praxis kennen, bekam unter anderem auch Einblicke in das Baurecht. „Das hat mir später bei sämtlichen Projekten sehr geholfen, ich habe die Seite der Verwaltung immer auch verstanden.“ Nach diesem Fachhochschulstudium folgte ein zweijähriger Zivildienst bei der Diakonie Stetten im Bereich Wohnen für junge Erwachsene. „Das war für mich eine tolle, sinnerfüllte und wegweisende Zeit.“ Dort lernte er auch seine spätere Frau kennen.

Den Entschluss, ein zweites Studium Sozialarbeit an der Fachhochschule Esslingen anzuschließen, fasste er während des Zivildienstes. Es folgten einige berufliche Stationen, die er meist nach vier Jahren wechselte, um etwas Neues zu starten: Er war Leiter der Sozialdienste bei der Paulinenpflege in Winnenden, danach beim Diakonischen Werk Württemberg in der Wirtschaftsberatung tätig.

Anschließend war er bei einer Stuttgarter Unternehmensberatung für soziale Einrichtungen beschäftigt, mit dem Schwerpunkt, Qualitätsmanagementsysteme aufzubauen. Mit Anfang 40, die beiden Kinder waren auf der Welt, wollte er noch einmal einen Neustart wagen. So landete er in Leonberg – und blieb dort mehr als 20 Jahre. Mit seiner Familie blieb er in Remshalden/Kernen wohnen, er pendelte jeden Tag und hat in dieser Zeit unendlich viele Hörbücher verschlungen.

Der Geschäftsführer macht einen klaren Schnitt

Seinen Schreibtisch im Atrio hat er aufgeräumt. Alle Aufgaben, die er noch auf der Liste stehen hatte, sind erledigt. Bernhard Siegle ist auch mit sich im Reinen. Für Siegle war klar, wenn er aufhört, dann mit einem klaren Schnitt. Ohne weitere Aufgaben oder Ehrenämter im Atrio. Damit habe sein Nachfolger Markus Metz „die Chance, Dinge neu zu denken, Neues zu machen. Das tut allen im Unternehmen gut“. So habe es auch sein Vorgänger gehandhabt, worüber er sehr dankbar war. „Für mich kommt die Zäsur – wichtig ist, dass es bei Atrio weitergeht.“

Seine Ruhestandspläne sind noch nicht in Stein gemeißelt. Doch eines steht bereits fest: Mit seiner Frau, die ab Ostern auch in Rente ist, will er reisen. Er wird sich wieder in der evangelischen Kirchengemeinde in Remshalden engagieren, wieder im Posaunenchor spielen. „Ich werde diese Zeit auf alle Fälle aktiv gestalten.“