In Paris beginnt die Verhandlung gegen die mutmaßlichen islamistischen Attentäter, die vor sechs Jahren 130 Menschen getötet haben

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Die Opfer haben fast sechs Jahre auf diesen Moment gewartet. Doch als Salah Abdeslam die ersten Worte sagt, ist bei vielen die Enttäuschung groß. „Zuerst will ich bezeugen, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass Mohamed sein Bote ist“, erklärt der mutmaßliche Attentäter ins Mikrofon. Er soll am 13. November 2015 mit mehreren anderen Männern zusammen die verheerende Anschlagserie in Paris mit 130 Toten begangen haben und ist vermutlich der einzige Überlebende der radikal-islamischen Gruppe. Am Mittwoch hat unter großen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gegen ihn und 19 andere Verdächtige begonnen.

 

Ein Kämpfer des Islamisches Staates

Samia Maktouf hat eine solche Aussage allerdings erwartet. Kurz vor dem Auftakt der Verhandlung in Paris hatte die Anwältin der Nebenkläger noch gesagt, dass sie „hofft, dass Salah Abdeslam reden wird“. Gleichzeitig befürchte sie aber, dass er den Prozess nutzen werde, um seine Verbindung zur Terrororganisation Islamischer Staat hervorzuheben. Sie sollte Recht behalten, denn befragt nach seinem Beruf antwortete der der 31 Jahre alte Franko-Marokkaner, er habe allen Berufen abgeschworen, um „Kämpfer des Islamischen Staates zu werden“.

Der Prozess in Paris hat am Mittwoch unter starken Sicherheitsvorkehrungen begonnen. „Die terroristische Bedrohung in Frankreich ist hoch, besonders in Zeiten wie dem Prozess um die Anschläge“, sagte Frankreichs Innenminister Gerald Darmanin dem Radiosender „France Inter“. Er habe alle Präfekturen aufgerufen, wachsam zu sein. Insgesamt seien mehr als 1000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, um die Gerichtsverhandlung im Justizpalast im Zentrum der Hauptstadt zu sichern.

Der Prozess ist wichtig für die Nation

Abdeslam war am Morgen in einem stark gesicherten Konvoi aus dem Gefängnis zum Gericht gebracht worden. Er hatte gut fünf Jahre dort in Isolationshaft verbracht und sich bislang nie detailliert zu den Taten geäußert.

„Die gesamte Welt beobachtet uns“, sagte Justizminister Eric Dupond-Moretti vor Beginn des Verfahrens. Die Ereignisse hätten sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben, fügte er hinzu.

In der Nacht des 13. November 2015 hatten Extremisten 130 Menschen getötet und Hunderte verletzt. In der Konzerthalle Bataclan richteten sie ein Massaker an. Sie feuerten auf Gäste in sechs Bars und Restaurants. Vor dem Fußballstadion, in dem gerade Frankreich gegen Deutschland spielte, sprengte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft.

Den Angeklagten droht lebenslange Haft

Justizminister Eric Dupond-Moretti hat das Verfahren am Mittwoch als „beispiellosen Justizmarathon“ bezeichnet. Der Prozess ist auf neun Monate angesetzt. Rund 1800 Klägerinnen und Kläger nehmen teil, dazu 330 Anwältinnen und Anwälte. In den ersten Wochen sollen Fachleute und die Polizei den Verlauf der Anschläge schildern. Ende September werden die Opfer gehört. Ab Anfang November sind die Vernehmungen der Angeklagten geplant. Im Mai 2022 sind die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung vorgesehen. Den meisten Angeklagten droht lebenslange Haft, so auch dem 31-jährige Salah Abdeslam. Auch er hatte in der Nacht eine Weste mit Sprengstoff getragen, sie dann aber nicht gezündet, sondern war geflüchtet. 2016 ist er in Belgien verhaftet worden. Den anderen Angeklagten wird Beihilfe zu den Attentaten vorgeworfen. Sie sollen Waffen und Autos besorgt haben oder die Angriffe mit organisiert haben.

Es geht um die kollektive Erinnerung

Frankreich wurde von den Attentaten tief erschüttert. Aus diesem Grund ist der Prozess nach Aussagen vieler Beobachter auch wichtig für die gesamte Nation. „Der Prozess soll es den Familien ermöglichen, zu verstehen, was passiert ist“, sagte der ehemalige Staatsanwalt François Molins dem Sender „RTL“. Es gehe aber auch darum, eine kollektive Erinnerung zu schaffen.

Aus diesem Grund wird die gesamte Verhandlung auch mit acht Kameras gefilmt und danach in einem speziellen Justizarchiv für die Nachwelt hinterlegt. Die historische Dimension des Prozesses erlaube diese ungewöhnliche Maßnahme, begründete der Präsident des Pariser Berufungsgerichts Jean-Michel Hayat die Aufnahmen. Gezeigt werde, wie eine wehrhafte Demokratie über Terroristen richte, die versucht hätten, den Staat anzugreifen.