Die Sperrzone hat einen Radius von 500 Metern, ein Gebiet mit mehr als 3000 Menschen müsste geräumt werden – wenn sich der mysteriöse Fund in Ludwigsburg tatsächlich als Bombe entpuppt, steht die Stadt vor der größten Evakuierungs-Aktion ihrer Geschichte.

Ludwigsburg - Jahrzehntelang lag die Bombe im Boden, in der Tiefe, gestört hat sie niemanden – und dann, ganz plötzlich, wird es hektisch. Feuerwehr, Polizei und Technisches Hilfswerk richten einen Krisenstab ein, Evakuierungs- und Notfallpläne werden aus den Schubladen gekramt, Sperrzonen werden eingerichtet. So ist das immer, wenn irgendwo in Deutschland ein Rest aus der dunklen Vergangenheit zum Vorschein kommt. So ist es jetzt auch in Ludiwgsburg. Noch ist gar nicht mal sicher, ob das, was bei den Bauarbeiten in der Südstadt tief im Boden gefunden wurde, tatsächlich ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg ist. Vielleicht handelt es sich auch nur um ein altes Rohr. Aber schon der kleinste Verdacht reicht, und die Maschinerie läuft an – und das ist im Zweifel lebenswichtig. „Die Sicherheit hat absoluten Vorrang“, sagt der Ludwigsburger Bürgermeister Konrad Seigfried.

 

Und deswegen rüstet sich die Stadt Ludwigsburg seit diesem Freitag für die größte Evakuierungs-Aktion ihrer Geschichte. Kurz vor Weihnachten wurde bei Bauarbeiten auf dem Gelände des Holzheizkraftwerks an der Eisenbahnstraße in sechs Metern Tiefe ein „nicht identifizierter Metallgegenstand“ geortet. Die Stadtwerke wollen dort einen Wärmespeicher bauen, und dass, bevor die Bagger anrücken, der Untergrund mit Sonden und Sensoren untersucht wird, ist heutzutage üblich. Meist finden die Fachleute nichts Besonders, in diesem Fall aber ergab eine Analyse der Messergebnisse, dass es sich bei dem Objekt eventuell um eine Weltkriegsbombe handelt. Am kommenden Freitag soll das Stück freigelegt werden – bis dahin bereiten Feuerwehr, Polizei und Technisches Hilfswerk die Evakuierung des Umfelds vor. Sollte sich der Verdacht bestätigen, wird der Blindgänger am Samstag, 12. Januar, entschärft – oder, wenn das nicht möglich ist, kontrolliert gesprengt. „Das ist jedoch die Ausnahme“, sagt Mathias Peterle vom Kampfmittelbeseitigungsdienst.

Die Evakuierungszone hat einen Radius von bis zu 500 Metern

In jedem Fall müssen, wenn es eine Bombe ist, am Samstag um 8 Uhr weit mehr als 1000 Wohnungen geräumt werden. Finden die Experten eine 50-Kilo-Bombe, umfasst die Sperrzone einen Radius von 300 Metern. Ist sie größer, wächst der Radius auf 500 Meter. Betroffen wären davon rund 3000 Personen in der Ludwigsburger Südstadt und am nördlichen Rand von Kornwestheim, darunter auch ein Altenheim.

Da sich der Fundort unweit der Gleise befindet, würde zudem der gesamte Bahn- und Zugverkehr an dieser Stelle zum Erliegen kommen. Die Lücke müsste voraussichtlich mit Ersatzbussen gefüllt werden, die Feinabstimmungen zwischen der Stadt, der Bahn und dem VVS laufen noch. Die Feuerwehr hofft, dass die Entschärfung bis Samstagnachmittag beendet und das Gebiet dann wieder freigegeben werden kann.

Noch ist das mysteriöse Objekt nicht identifiziert

Bisher haben die Fachleute das Objekt nur mittels Sonden und magnetischer Messungen lokalisiert, gegraben wurde dort noch nicht. „Es besteht daher keine akute Gefahr für die Bevölkerung“, versichert der Bürgermeister Konrad Seigfried. Zumal immer noch denkbar sei, dass es sich um einen harmlosen Gegenstand handle, etwa ein Rohr oder Reste eines alten Gebäudes. Wahrscheinlicher ist aber offenbar, dass tatsächlich eine Bombe im Boden liegt. „Es spricht einiges dafür“, sagt Seigfried.

Sehen Sie hier die möglichen Evakuierungsradien:

Ein Indiz ist die Größe des Objekts. Die 50-Kilo-Bomben, die im Zweiten Weltkrieg massenhaft abgeworfen wurden, sind 70 Zentimeter lang und 21 Zentimeter im Durchmesser. Nach Angaben des Kampfmittelbeseitigungsdiensts deuten die Messungen darauf hin, dass es sich in Ludwigsburg um diesen Typ einer Bombe handelt. „Gewissheit werden wir aber erst haben, wenn das Objekt frei liegt“, erklärt Peterle.

Auch der Fundort selbst nährt den Verdacht, dass es ernst werden könnte. Während etwa Stuttgart während des Luftkriegs in Schutt und Asche gelegt wurde, kam Ludwigsburg damals vergleichsweise glimpflich davon. Getroffen wurde die Stadt dennoch: Vor allem in einer Schneise, die sich von Eglosheim über die Süd- in die Weststadt zog – und das nun gefundene Objekt liegt innerhalb dieser Schneise.

Die Bewohner des potenziell gefährdeten Gebiets werden seit diesem Freitag mit Flugblättern und Briefen über die mögliche Evakuierung informiert, am 12. Januar werden zusätzlich Fahrzeuge mit Lautsprechern patrouillieren. Die Stadt bittet die Menschen, sich für den Tag „etwas vorzunehmen, damit sie sich erst gar nicht in der Wohnung aufhalten müssen“. Auch Firmengebäude müssen geräumt werden, alle Straßen im Umfeld werden gesperrt. Die Vorgabe lautet: Die Sperrzone muss frei von Menschen und Tieren sein. Sicherheitshalber wird im Beruflichen Schulzentrum am Römerhügel eine Notunterkunft eingerichtet.

Für die Anwohner wird eine Notunterkunft eingerichtet

Rund 500 Einsatzkräfte werden, falls es zur Evakuierung kommt, am Samstag vor Ort sein. Die Aktion ist nicht nur aufwendig, sondern auch teuer, wobei die exakten Kosten noch unklar sind. Das Grundstück, auf dem die mutmaßliche Bombe liegt, gehört den Stadtwerken, die dort einen Wärmespeicher bauen wollen. Sie werden nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten übernehmen müssen, den Rest trägt in solchen Fällen die öffentliche Hand.

Was für Ludwigsburg eine Premiere darstellt, kommt in anderen Städten, auch in der Region Stuttgart, durchaus häufiger vor. Erst im Dezember fand ein Dachdecker in Stuttgart eine Weltkriegsbombe im Gebälk, in Böblingen wurde im März 2018 eine Fliegerbombe entdeckt und unschädlich gemacht. Nach Angaben der Feuerwehr wurden allein in Baden-Württemberg seit dem Krieg 24 573 Bomben entschärft. Dass dabei etwas schief geht, ist extrem selten. Im vergangenen Mai explodierte in Dresden beim Entschärfen ein Teil einer Bombe, verletzt wurde niemand. Das letzte schwere Unglück ereignete sich 2010 in Göttingen, wo bei einer unkontrollierten Detonation drei Menschen starben.

Telefon
– Die Stadt richtet von Montag bis Samstag ein Bürgertelefon ein. Unter der Nummer 0 71 41/910 22 22 beantworten Experten Fragen zu der möglichen Evakuierung. Außerdem kann für Personen, die krank oder gehbehindert sind, ein Krankentransport angefordert werden.

Internet
– Auf der Internetseite www.ludwigsburg.de/achtung stellt das Rathaus weitere Informationen zur Verfügung. Dort wird auch bekanntgegeben, ob die Evakuierung nötig wird, zudem werden Fahrzeuge mit Lautsprechern das betroffene Gebiet abfahren. Im Netz und per Lautsprecher wird gegebenenfalls auch das Ende der Entschärfung verkündet.

Unterkunft
– Wer keine andere Möglichkeit hat, den Tag zu verbringen, kann die Notunterkunft in der Schule am Römerhügelweg 53 nutzen. Auch Haustiere sollen aus der Sperrzone entfernt werden.