Karl Friedrich Reinhard wurde in Schorndorf geboren, hat in Tübingen studiert – und machte zur Zeit der französischen Revolution links des Rheins Karriere: Er wurde dort ein berühmter Diplomat und Mittler zwischen den Kulturen.

Schorndorf - Wenn sich ein Mensch einem neuen Land zuwendet, aber das bisherige Geistesleben der Heimat im Gepäck trägt – welcher Nation darf er sich zugehörig fühlen ? Diese Frage hat den 1761 in Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) geborenen Karl Friedrich Reinhard zeitlebens beschäftigt. Der Theologe kam nach seinem Tübinger Studium 1787 als Hauslehrer nach Frankreich und geriet dort in den Sog der Französischen Revolution. In einer Zeit, in welcher das Land gesellschaftlich auf den Kopf gestellt wurde, stieg Reinhard zum Diplomaten auf und war sogar kurzzeitig Außenminister. Er diente der jungen Republik, danach Napoleon und schließlich dem König Ludwig XVIII. Reinhard gilt als einer der ersten berühmten Mittler zwischen den Kulturen.

 

Reinhards Geburtshaus in Schorndorf liegt nur einen Steinwurf von der Lateinschule entfernt, die er besucht, um sich dann in Denkendorf und Maulbronn auf das Theologiestudium in Tübingen vorzubereiten. Das dortige Stift erlebt er jedoch als Polizeistaat, in welchem „Faustrecht, Willkür, Klüngelei, Amtsmissbrauch und Korruption herrschten.“ Viele junge Gelehrte der damaligen Zeit denken freiheitlich, und Deutschland bietet ihnen keine geistige Heimat mehr. Den sprachbegeisterten Reinhard hält daher nichts rechts des Rheins. Er geht 1787 nach Bordeaux – in ein Land, in welchem der Hexenkessel der Revolution gerade anfängt zu brodeln.

Reinhard schließt sich dort einer Gruppe von Girondisten an, deren Literaturbegeisterung und aufklärerische Ideen er teilt. Sein Schicksalstag ist der 24. Juni 1791, als in Bordeaux bekannt wird, der König Ludwig XVI. sei aus dem revolutionären Paris geflohen. Die Girondisten, so heißt es später, hätten sich auf der Versammlung erhoben und geschworen, „frei zu leben oder zu sterben“. Reinhard fühlt sich mitgerissen. Er erklärt feierlich vor der Versammlung, „dass er sich von diesem Augenblick an als Franzose betrachte“.

Reinhard geht kurze Zeit später nach Paris, seine gebildete Art trifft auf Gegenliebe, er tritt eine Gesandtschaft als Diplomat in mehreren europäischen Ländern an. Welcher Nationalität er nun angehört, treibt ihn von da an um. Als er wegen eines Krieges 1793 nach Frankreich zurückkehren muss, erhält er die Nachricht, dass alle seine Weggefährten aus Bordeaux unter dem Schreckensregime Robespierres eingekerkert wurden. Kein deutsches Land würde ihm als Revolutionär Asyl gewähren, stellt Reinhard bei nüchterner Betrachtung fest. Zurückgekehrt nach Paris, beteuert er in einer Erklärung, er lege sein Los in die Hände jener, „die entscheiden sollen, ob ich auf den heiligen Titel des französischen Bürgers verzichten soll“. Die Guillotine bleibt ihm erspart – er wird als Diplomat nach Hamburg geschickt.

2Außenminister für einige Monate

Drei Jahre später folgt ein weiterer Zwiespalt: Reinhard lernt in der Hansestadt seine künftige Frau Christine Reimarus kennen. Eine Deutsche zu heiraten ist ihm als französischem Diplomaten eigentlich nicht gestattet. Reinhard unterlässt es daher, Frankreich seine Heirat im Jahr 1796 mitzuteilen. Sein Verhalten wird kritisch beäugt, schadet ihm aber nicht. 1799 darf er sogar für einige Monate als französischer Außenminister amtieren. Sein Ziehvater, der berühmte Talleyrand, hatte in einer unruhigen Phase die Bühne verlassen und Reinhard als Statthalter eingesetzt.

Sieben Jahre später ist Napoleon an der Macht und Reinhard nun in dessen Diensten unterwegs. Im Jahr 1806 muss er feststellen, dass er wegen der von Frankreich initiierten Kriege in Deutschland wenig beliebt ist. Aus diesem Zwiespalt erlöst ihn eine Lichtgestalt des Geisteslebens: Johann Wolfgang von Goethe, dem er in Karlsbad begegnet und mit dem er in Briefkontakt bleibt. In Goethes Weimar gebe es keine politische Berechnung, stellt Reinhard fest. Hätte er dies vorher gewusst, „so hätte mein Leben eine andere Wendung genommen“.

Reinhards Leben bleibt politisch: Er schließt sich Napoleon nach dessen Rückkehr 1815 nicht an, wird jedoch von preußischen Truppen interniert. Keiner seiner deutschen Freunde setzt sich für ihn ein. Dass der französische König Ludwig XVIII. Reinhards Freilassung erwirkt, rührt den Diplomaten. Als er jedoch 1832 den Ehrentitel Pair erhält, muss er zuvor erneut seine französische Staatsangehörigkeit nachweisen – sie war amtlich angezweifelt worden.

Am Ende sei Reinhard anerkannter französischer Bürger gewesen, schreibt der Historiker Jean Delinère. Die wahre Heimat habe er als Weltbürger im Geistesleben gefunden, „im letzten Bollwerk der Humanität gegen die allgemeine Barbarei“.

Dieser Text ist ein Teil einer großen Serie über Auswanderer aus der Region Stuttgart