Auf der Suche nach verschollenen Fossilien hat Günter Schweigert, der Kurator des Löwentormuseums, eine urzeitliche Krebsart entdeckt.

Stuttgart - Gerade mal sieben Zentimeter lang ist Coleia martinlutheri. In einer dunklen Steinplatte prangt das Fossil, seine Krebsscheren hält es beinahe symmetrisch rechts und links in die Höhe. Als Günter Schweigert vom Staatlichen Museum für Naturkunde das Foto mit dem Krebs vor sein Auge bekam, war dem Paläontologen sofort klar: „Hoppla, das ist etwas Neues.“ Das ist nun zwei Jahre her. Inzwischen weiß der ausgewiesene Spezialist für jurazeitliche Krebse, dass er recht hatte und per Zufall auf eine unbekannte fossile Krebsart gestoßen ist – ein einmaliger Fund in Deutschland.

 

Ursprünglich war der Kurator auf der Suche nach ganz anderen Fossilen, die wohl im Zweiten Weltkrieg verschollen sind. Schweigert machte sich auf den mühevollen Weg durch ein geologisches Puzzle, las die Veröffentlichung eines Königsberger Professors aus den 30er Jahren, der diese Krebsart zum ersten Mal erwähnt hatte, und kam darauf, dass die Fossilien einem seiner Studenten gehört hatten, der schließlich in Greifswald promovierte.

Das Fossil lagerte seit 1979 in Greifswald

In der Sammlung der Universität Greifswald waren die verschollenen Fossile zwar nicht, wie eine Suchanfrage zu Tage förderte. Dafür fanden die dortigen Wissenschaftler aber ein ungewöhnliches Objekt aus Eisenach (Thüringen). Das Fossil lagerte dort bereits seit 1979 unbeachtet in der Asservatenkammer. Gefunden hatte es der Paläontologe Werner Ernst bei Geländeaufnahmen in einem Neubaugebiet in Eisenach. „Das gut erhaltene Krebsfossil ist eine Besonderheit“, sagt Günter Schweigert.

Nicht nur, dass es in Eisenach ein sehr isoliertes Vorkommen von Gesteinen aus der Zeit des frühen Unterjuras – also von vor 195 Millionen Jahren – gibt. Ernst wusste auch, wie solch ein Fund zu behandeln ist. Der Krebs lag nämlich über Jahrmillionen in einer feuchten Gesteinsschicht. „Wäre er zu schnell getrocknet, wäre er in tausend Stücke zerfallen“, sagt Schweigert. Werner Ernst hüllte seinen Fund aber in feuchtes Zeitungspapier und ließ ihn ganz langsam trocknen. Erst dann übergab er ihn der Uni Greifswald. Es sollten noch mehr als 30 Jahre vergehen, in denen der heutige Spezialist Günter Schweigert erst Abi machte, studierte und sich schließlich auf Krebse spezialisierte.

Die Paläontologen haben sich per Telefon und Brief ausgetauscht

Als Schweigert schließlich mit seinem inzwischen pensionierten Kollegen Kontakt aufnahm, kamen die richtigen Paläontologen zusammen. „Werner Ernst wusste noch alles, als ob es gestern gewesen ist“, erzählt Schweigert. Gemeinsam haben sie nun an dem Fossil gearbeitet, sich per Telefon und Brief ausgetauscht. Schweigert musste den Fund mit allen bekannten Fossilien vergleichen. „In diesem Fall waren die Scheren so stark abweichend, dass sie zu keiner bekannten Art passen“, sagt der Wissenschaftler.

Und die Bedeutung des Fundes? „Das ist ein absolutes Unikat“, betont Schweigert. Aus der Zeit vor 195 Millionen Jahren gibt es aus Deutschland nichts Vergleichbares. Die neu gefundene Krebsart gehört zu der Gruppe der Vielschererkrebse, die es auch heute noch gibt. Die Nachfahren des Fossils leben heute in der Tiefsee und haben meist keine Augen mehr. Schweigert: „Sie gelten als lebende Fossilien.“ Übrigens ist Schweigert selbst auf den Namen von Coleia martinlutheri gekommen. Der Fundort Eisenach und die hoch erhobenen Scheren haben ihn gleich an Martin Luther erinnert.

Nun hofft der Paläontologe auf weitere Funde. Wer also – ob Wissenschaftler oder Hobbysammler – Fossilien von Krebsen hat, kann sich melden unter der Telefonnummer 89 36-1 47 oder per E-Mail unter guenter.schweigert@smns-bw.de.