Die Verwaltung will Bußgelder von bis zu 300 Euro verhängen, wenn es im Umfeld der Demonstrationen zu Verstößen in Bahnen und Bussen kommt. Die Ratsfraktionen geben ihr Rückendeckung.

Stuttgart - Schon lange ist in der Stadt keine Demo mehr so kontrovers diskutiert worden wie die seit ein paar Wochen laufenden sogenannten Grundrechte-Demos. Als kleine Mahnwache gestartet, haben sich hinter dem Initiator Michael Ballweg und seiner Initiative Querdenken 711 zuletzt am vergangenen Samstag knapp 10 000 Menschen versammelt. Das sehen viele aufgrund der aktuell immer noch andauernden Corona-Pandemie kritisch – ganz unabhängig von den Inhalten. Eine Umfrage unter den Teilnehmern zur Infektionsrate in ihren Kreisen hat zuletzt auch im Stuttgarter Rathaus Besorgnis verursacht – Michael Ballweg konnte die zuständigen Ämter nun aber mit einer Erklärung dazu beruhigen.

 

Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hat in einem Interview mit unserer Zeitung angekündigt, die Stadt werde die Auflagen für die Demo, deren Teilnehmerzahl durch eine Auflage der Stadt auf 10 000 beschränkt war, noch einmal kritisch überarbeiten – gerade auch im Blick auf die Teilnehmerzahl. Dabei spielten Erkenntnisse der zurückliegenden Demonstration und auch die Umfrage eine Rolle. Am Samstag hatten Polizei und Ordnungsamt auf dem Cannstatter Wasen keine nennenswerten Verstöße festgestellt. Weitgehend seien die Abstandsregeln eingehalten worden. Jedoch seien die Bahnen zur Veranstaltung extrem voll gewesen, sodass zumindest bei An- und Abreise die Sicherheitsabstände nicht garantiert waren. Auch seien viele Besucher des Wasens ohne Maske in der Bahn gewesen, obwohl für Bahnen wie für Geschäfte seit Wochen mindestens ein einfacher Mund-Nasen-Schutz Pflicht ist.

Eine Umfrage unter den Teilnehmern wirft Fragen auf

In der Umfrage hatte sich der Demo-Veranstalter Ballweg nach Covid-19-Erkrankungen in den Reihen der Teilnehmer erkundigt. Rückblickend nach der Demo vom 2. Mai stellte er diese Frage. Drei Prozent kreuzten an, dass sie erkrankt und positiv getestet worden seien. Das konnte man zunächst so lesen, als seien die Menschen mit der Infektion auf der Demo gewesen. Das hätte eine Gefahr dargestellt. So aber habe er die Frage nicht gemeint, erläuterte Ballweg. „Es geht darum, wer im Anschluss, also nach dem 2. Mai 2020, erkrankt ist“, fügte er nun der Umfrage hinzu, die in einem Kanal der Nachrichten-App Telegram geführt wird.

Der Stadt gegenüber habe er dargelegt, dass die Personen gebeten werden, sich zu melden. Ein Arzt soll dann Details über ihren Gesundheitszustand erheben, teilt Ballweg auf Nachfrage unserer Zeitung mit. Bisher habe sich aber niemand gemeldet, obwohl etwa 50 Personen die Frage mit „Ja“ beantwortet hatten. Das beruhigte die Verantwortlichen im Rathaus etwas. Denn hätte die Umfrage erhoben, wer trotz festgestellter Erkrankung auf die Demo gekommen ist, hätte man daraus eine Gefährdung ablesen können.

Warten auf den Versammlungsbescheid

Die Stadt hat noch keinen neuen Auflagenbescheid für die Demo am 16. Mai ausgestellt, am Donnerstag lief noch ein Kooperationsgespräch zwischen dem Veranstalter und der Verwaltung. Die Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vor. Wohin es gehen könnte, hatte sich schon am Mittwoch angedeutet, als der Verwaltungsausschuss sich mit der Problematik befasste. OB Kuhn und Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) kündigten an, dass in den öffentlichen Verkehrsmitteln kontrolliert werden solle, ob die Fahrgäste der Schutzmaskenpflicht nachkommen. Bei Verstößen könne man unter diesen Umständen, bei so einer „atypischen Störung“, Bußgelder bis zu 300 Euro verhängen.

Die Überlegungen gingen auch dahin, den Einsatz von mehr Ordnern zu verlangen und sie zu Mund- und Nasenschutz zu verpflichten. Die Stadträte Hannes Rockenbauch (SÖS) und Martin Körner (SPD) rieten dazu, noch weiter zu gehen und von allen Demonstranten Gesichtsschutz zu verlangen, obwohl dies im Land unter freiem Himmel bisher nicht vorgeschrieben ist. Zur Begründung sagte Rockenbauch, am 9. Mai sei vor der Bühne ein Pulk von mehreren 100 Menschen zu beobachten gewesen, die nah zusammenstanden und sich nicht geschützt hätten. OB Kuhn fand die Maskenpflicht auf dem Gelände rechtlich aber „schwierig“. Ordnungsamtsleiterin Dorothea Koller sagte zudem, man wolle das falsche Signal einer Sicherheit vermeiden, die es durch die Masken dort nicht gäbe. Wichtig sei, dass die Teilnehmer überall Abstand halten.

Werden nur noch deutlich weniger Teilnehmer zugelassen?

Ein anderer Knackpunkt war, wie viele Teilnehmer erlaubt sein sollen. Die Verwaltung erwog in den vergangenen Tagen, am Samstag deutlich weniger als 10 000 Menschen zuzulassen. Die SPD riet, notfalls auch nur 1000 Teilnehmer zu erlauben. Matthias Oechsner (FDP) und Christian Walter (Puls) dagegen fanden das keinen gangbaren Weg, weil vielleicht mehr Menschen kämen und die Polizei damit umgehen, vielleicht massiv intervenieren müsste. Alexander Kotz (CDU) gab auf jeden Fall Rückendeckung: Die Verwaltung solle das Nötige tun und ruhig auch eine neue Niederlage vor Gericht riskieren, sagte Kotz in Anspielung darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Stadt bereits einmal zur Zulassung der Demo verurteilt hatte. Die Fraktionsvertreter waren sich weitgehend einig in der Verurteilung des „Verschwörungswahns“ (Rockenbauch), den manche Demonstranten offenbarten. Und auch darin, „uns die Erfolge beim Kampf gegen das Virus nicht kleinreden und gefährden zu lassen“, wie es Andreas Winter (Grüne) sagte.

Kuhn und Schairer waren dann klar in ihrer Ansage: Demonstrieren dürfe man, der Sinn sei hier zu hinterfragen. Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln gebe es keinen rechtsfreien Raum, da herrsche Maskenpflicht. Schairer: „So wie am 9. Mai wird die Demonstration nicht noch einmal ablaufen.“ Wenn ein Veranstalter seiner Verantwortung nicht gerecht werde, könne er für unzuverlässig erklärt und die Versammlung verboten werden.