Die Bedenken sind nicht alle ausgeräumt. Trotzdem wollen die Regierungsfraktionen an diesem Donnerstag EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien zustimmen – nun kommt es vor allem auf Frankreich an.

Berlin - Es ist noch ein langer Weg, bis Albanien und Nordmazedonien Mitglieder der Europäischen Union werden können – vom Jahr 2025 ist gelegentlich die Rede. Jetzt erfolgt jedoch ein großer Schritt in diese Richtung. „Der Bundestag wird an diesem Donnerstag der Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien zustimmen“, kündigt der SPD-Europaexperte Christian Petry an, nachdem es im Vorfeld eine koalitionsinterne Verständigung mit der Union gegeben hat. Damit kann Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Europäischen Rat Mitte Oktober ihre Zustimmung geben. Das positive Signal aus Berlin soll – das ist die Hoffnung im Auswärtigen Amt – jetzt auch die noch zögernden EU-Staaten Dänemark, Frankreich und die Niederlande von einem Ja zu den Balkanstaaten überzeugen.

 

Die positiven Entwicklungsansätze dort sind unübersehbar. Allein schon die Bezeichnung „Nordmazedonien“ ist Ausdruck dessen, dass der über Jahre politisch lähmende Namensstreit mit Griechenland überwunden worden ist. Das Land habe sich, so heißt es im entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen, „in einer inklusiven und offenen politischen Atmosphäre weiter grundlegend verändert“. Es gebe „anerkennenswerte Erfolge“ beispielsweise im Kampf gegen die Korruption. Auch im Falle von Albanien werden „die Reformanstrengungen des Landes“ und die „umfassende Justizreform“ gewürdigt, die zur Überprüfung von mehr als 700 Richtern geführt hat. Viele von ihnen wurden bereits vom Dienst suspendiert, wenn eine Verstrickung mit dem Organisierten Verbrechen nachgewiesen werden konnte.

Die Bedenken sind dennoch auch in Berlin vorhanden – was schon dazu geführt hatte, dass die versprochene Entscheidung auf dem Brüsseler Juni-Gipfel verschoben werden musste. So wird der Bundestag feststellen, dass in Nordmazedonien gerade im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit „noch Defizite bestehen“. In Albanien gibt es in diesem Bereich sogar noch „zahlreiche Defizite“, neue unabhängige Institutionen im Justizbereich sind zwar geschaffen worden, „jedoch noch nicht arbeitsfähig“, wie es in der Beschlussvorlage heißt. Noch mehr Sorge bereitet den Europapolitikern in der Koalition, dass manche Nationalisten in Tirana weiter den Traum von „Großalbanien“ träumen, das die albanische Bevölkerung in Albanien, im Kosovo und in Mazedonien umfassen soll. Die Koalitionsfraktionen geben der Regierung deshalb mit auf den Weg, dass solche Bestrebungen, wenn sie denn weiterverfolgt werden sollten. „zu einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen führen müssten“. Wie überhaupt der Bundestag seine Zustimmung an eine Reihe von Auflagen und einen klaren Fahrplan für Albanien bindet. Demnach darf es zur ersten förmlichen Beitrittskonferenz oder der konkreten Eröffnung von Verhandlungskapiteln erst kommen, wenn beispielsweise eine Wahlrechtsreform Gesetzeskraft erlangt oder gegen die abgesetzten Richter und Staatsanwälte auch Strafverfahren eingeleitet worden sind.

Das war nicht zuletzt für die Union Voraussetzung für die Zustimmung, die in einer Fraktionssitzung am Dienstagabend bei 28 Gegenstimmen beschlossen wurde. „Ein wenig Bauchschmerzen habe ich angesichts der noch nicht ausreichenden Reformfortschritte immer noch“, räumt Gunther Krichbaum, der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag ein, „aber wir haben nun klar messbare Auflagen für die jetzt beginnenden Gespräche formuliert, sodass ich mit der Zustimmung leben kann.“ Sein Fraktionskollege Peter Beyer begrüßt die „differenzierte Lösung“, die jetzt gefunden wurde. „Wir machen den Weg frei für EU-Beitrittsgespräche frei, was ein unglaublich wichtiges Signal für die Region Westbalkan ist“, so Beyer weiter: „Wir gehen zugleich nicht blauäugig vor und formulieren im Fall Albanien noch einige Bedingungen“. Der Sozialdemokrat Petry verweist darauf, dass die Beitrittsgespräche, während derer sich die Länder immer weiter an das EU-Recht anpassen müssen, „zu einem entscheidenden Motor für Reformen und Stabilität in der Region werden“ könnten.

Es geht beim Ja einerseits um die Glaubwürdigkeit der Gemeinschaft, die bei den Mazedoniern seit 2005 und bei den Albanern seit 2014 im Wort steht – seither sind die beiden Länder offiziell Beitrittskandidaten. „Beide Länder haben schon weite Wege zurückgelegt, und jetzt darf die EU ihre Versprechen nicht brechen“, sagt die europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Franziska Brantner. Es geht aber um noch mehr: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nennt die Entscheidung „richtig aus geopolitischen Gründen“. Ohne glaubwürdige EU-Perspektive, meint auch die FDP-Politikerin Renata Alt, „werden sich diese Staaten enttäuscht von uns abwenden und Unterstützung in Russland, China und den Golfstaaten finden“.

Am 15. Oktober soll beim EU-Ministerrat in Luxemburg die förmliche Entscheidung fallen, die die Staats- und Regierungschefs zwei Tage später übernehmen würden. „Jetzt kommt es vor allem auf Frankreich an, wo die Bedenken noch ausgeprägter sind als in Deutschland“, sagt Krichbaum. Nicht ausgeschlossen wird, dass es notfalls nur grünes Licht für Nordmazedonien, nicht aber für Albanien gibt.