Urmel, Jim Knopf, Räuber Hotzenplotz: Generationen von Kindern sind mit den Figuren der Augsburger Puppenkiste aufgewachsen. Alles begann mit dem Wehrmachtssoldaten Walter Oehmichen, der in Calais ein altes Marionettentheater findet. Der Rest ist Geschichte.

Augsburg - Diese Holzköpfe haben bei Generationen von Kindern für leuchtende Augen gesorgt. 70 Jahre nach ihrem ersten Auftritt sind die Marionetten der Augsburger Puppenkiste längst ein nationales Kulturgut. Doch der Jahrestag am 26. Februar wird nicht groß gefeiert. „Wir wollen die 70 Jahre nicht so hochhängen“, sagt Puppenkistenchef Klaus Marschall. Er will erst das richtige Jubiläum zum 75. Geburtstag im Jahr 2023 zelebrieren. „Wir wollen nicht alle fünf Jahre eine große Fete feiern.“ Marschall leitet das Familienunternehmen in dritter Generation.

 

Die Erfolgsgeschichte beginnt mit dem Schauspielerpaar Rose und Walter Oehmichen, das sich in Düsseldorf kennengelernt hatte und wegen eines Bühnenengagements am Stadttheater nach Augsburg gekommen war. Bereits während des Zweiten Weltkrieges gab es einige Aufführungen mit einem Puppentheater, das der Wehrmachtssoldat Oehmichen im französischen Calais entdeckt hatte. Doch ein großer Teil der Ausstattung fiel 1944 alliierten Bombenangriffen zum Opfer.

Das junge Fernsehen setzt auf Oehmichens Puppen

Wenige Monate nach Kriegsende beginnt das Ehepaar mit dem Wiederaufbau seiner Marionettenbühne. Genau vier Jahre nach den verheerenden Bombenangriffen auf Augsburg wird am 26. Februar 1948 als Premierenstück das Märchen „Der gestiefelte Kater“ gezeigt. Die Puppenkiste wird schnell überregional bekannt, 1949 gibt es ein erstes Gastspiel in Frankfurt am Main, viele Städte folgen.

Auch das junge Fernsehen setzt auf die handgeschnitzten Puppen aus Bayern. Im Januar 1953 flimmern sie erstmals über die Mattscheiben. Es ist eine Produktion des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) in Hamburg, kurz darauf startet die legendäre Zusammenarbeit der Augsburger mit dem Hessischen Rundfunk.

Eine der ersten großen Produktionen war die „Muminfamilie“. In den folgenden Jahrzehnten entstehen TV-Klassiker wie „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ und „Urmel aus dem Eis“.

Der Erfolg von „Jim Knopf“ sucht seinesgleichen: Anfang der 60er Jahre wurde das Buch von Michael Ende das erste Mal auf die Puppenbühne gebracht, 1976 entstand die bekannte Neuverfilmung in Farbe. Bis in die 90er Jahre waren die Wiederholungen nicht aus den Programmen der ARD und später auch dem Kinderkanal wegzudenken.

Inzwischen ist längst eine Diskussion darüber entbrannt, ob solche Serien noch zur Lebenswelt der Kinder heute passen. Als die öffentlich-rechtlichen Sender die einstmals so beliebten Marionetten aus dem Programm verbannen wollten, kritisierte dies 2012 der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) scharf: „Über 400 Aufführungen der Stücke der Augsburger Puppenkiste vor Ort pro Jahr beweisen, dass diese Geschichten nach wie vor die Menschen erreichen“, sagte er damals.

Besucherzahlen, von denen andere nur träumen können

Marschall verweist darauf, dass bei Aufführungen durchschnittlich 95 Prozent der Plätze belegt seien - Werte, von denen andere Theaterleiter träumen. Das 2001 eröffnete Museum meldete vor wenigen Wochen die millionste Besucherin, ein Mädchen aus München. „Insgesamt haben wir im Haus pro Jahr um die 160.000 Besucher“, erklärt Marschall. Die Puppenkiste habe ein sehr gemischtes Publikum, Fans von jung bis alt. „Das einzige Publikum, das wir nicht erreichen, sind Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren.“

Dies ist auch im Museum „Die Kiste“ zu beobachten. Nicht nur Familien mit Kindern, ganze Seniorengruppen besuchen das Haus und schwelgen in Erinnerungen. In der Ausstellung kann man dann neben den bekannten Protagonisten wie Mama Wutz und Professor Habakuk Tibatong auch noch einmal die Plastikfolie bewundern, die bei den Fernsehserien regelmäßig als Meer-Ersatz zum Einsatz kam und sich bei fast allen Zuschauern ins Gedächtnis gebrannt hat - eine Erfindung von HR-Kameramann Horst Thürling.

Eingängige Melodien

Neben den charmanten Inszenierungen haben bis heute auch die eingängigen Songs der Puppenkiste einen großen Stellenwert für den Erfolg. Insbesondere das Lummerland-Lied wurde zum Ohrwurm. Die Gruppe Dolls United landete damit noch 1995 einen Dancefloor-Hit und bei Toren des Fußball-Bundesligisten FC Augsburg tönt natürlich ebenfalls „Eine Insel mit zwei Bergen“ aus den Stadionlautsprechern.

Überhaupt sind die hölzernen Stars an den Fäden längst Maskottchen und Sympathieträger der bayerisch-schwäbischen Stadt. Kein Wunder, dass seit einigen Monaten ein grüner Kasperl - eine der dienstältesten Marionetten der Kiste - als Ampelmännchen an einer Augsburger Fußgängerampel den Verkehr regelt.

Nachdem die Fernsehzeit der Marionetten inzwischen begrenzt ist, setzt Marschall nun auf das Kino. In den vergangenen beiden Jahren brachte die Puppenkiste zwei Weihnachtsfilme heraus, die in der Adventszeit auf Hunderten Leinwänden in ganz Deutschland und den angrenzenden Ländern zu sehen waren. Nun möchte Marschall 2018 den dritten Streifen drehen. „Wir wollen gerne die noch junge Tradition weiterführen“, sagt er. Marschall arbeitet daran, die Finanzierung zu sichern und dann die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens kindgerecht zu verfilmen.