Zum 75-Jahr-Jubiläum der Stuttgarter Zeitung stöbern wir im Archiv und präsentieren die originale Berichterstattung früherer Zeiten. Dieses Mal: Das Konzert der Boygroup „New Kids on the Block“ am 9. Mai 1991 in Stuttgart.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Stuttgart - „Das war unser größter Einsatz seit Bestehen der Schleyer-Halle. Wir haben mehr als 300 meist weibliche Besucher versorgen müssen, die in Ohnmacht gefallen waren oder die eine Kreislaufschwäche hatten.“ Hans-Joachim Schmittgen, Pressesprecher des Deutschen Roten Kreuzes, konnte gestern das, was sich am Vorabend in der Schleyer-Halle abgespielt hat, noch gar nicht richtig begreifen. Mehr als 12000 vorwiegend weibliche Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren hatten seit Wochen dem Konzert ihrer Lieblinge, der New Kids On The Block entgegengefiebert.

 

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Daß die hübschen Jungs, deren Bedeutung für die Rock-Geschichte eher gering ist, bei Auftritten für Massenhysterien sorgen, wie man sie zuletzt wohl nur in den sechziger Jahren bei den Beatles erlebte, hatte sich auch bis nach Stuttgart herumgesprochen.

Schleyer-Halle wird bereits morgens belagert

Die Verantwortlichen waren gewappnet: Das Rote Kreuz hatte 35 Einsatzkräfte, darunter zwei Ärzte, vor Ort. Der Veranstalter vervierfachte den Ordnungsdienst und sperrte die Brücke vor dem Haupteingang weiträumig ab.

Die Belagerung der Schleyer-Halle begann schon um sieben Uhr in der Früh. Zwei Stunden später hätte man eine kleinere Halle mit den anwesenden Fans füllen können. Während einige Anhänger am Mittag vor dem Hotel „Graf Zeppelin“ darauf hofften, einen Blick aus nächster Nähe auf ihre Lieblinge werfen zu können - und sich schließlich mit Autogrammen von Lothar Späth, der im „Zeppelin“ einen Vortrag hielt, zufriedengeben mußten -, hatten sich um 16 Uhr schon 4000 Fans der New Kids On The Block vor der Schleyer-Halle versammelt.

Aufwärmhalle wird zum Lazarett umfunktioniert

Mit dem frühzeitigen Öffnen der Tür begann die Schwerstarbeit für die Ordner und die Rotkreuz-Helfer. Schon bald war abzusehen, daß der Sanitätsraum in der Schleyer-Halle nicht ausreichen würde, die zahlreichen Anhänger aufzunehmen, die Opfer ihrer Begeisterung, der stickigen Luft und des Gedränges vor der Bühne wurden. Kurzerhand wurde die Aufwärmhalle unter der Haupthalle in ein Lazarett umgewandelt. Die Hallenleitung stellte Matratzen zur Verfügung. Mehrmals in der Minute brachten Helfer neue Ohnmächtige oder Mädchen mit Weinkrämpfen zur Versorgung.

Bis zur 165. Person hat das Rote Kreuz die Anschriften der Behandelten notiert. Danach wurde nur noch gezählt: weitere 153 Opfer blieben so namenlos. Schwerer verletzt wurde glücklicherweise niemand.

Ein Mädchen wird viermal mit Kollaps zu den Sanitären gebracht

Frische Luft und der feste Wille, schließlich doch noch etwas von dem Ereignis, auf das man sich seit Wochen gefreut hat, mitzubekommen, tun bekanntlich Wunder. Kaum erholt, stürzten viele sofort wieder in die Halle. Manch eine Anhängerin überschätzte dabei offensichtlich die eigenen Kräfte: „Ein Mädchen haben die Ordner viermal zu uns gebracht“, erzählt Schmittgen, und seine Stimme klingt dabei immer noch ungläubig.

Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um einen Text, der am 10. Mai 1991 in der Stuttgarter Zeitung erschienen ist. Die Rechtschreibung wurde weitgehend im Original belassen.