Früher haben DJs in Diskotheken Platten aufgelegt. Heute werden einige von ihnen wie Superstars gefeiert und treten vor zigtausend Tanzwütigen auf.

Stuttgart - Etwa 8,4 Millionen Euro hat der Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche im Jahr 2014 verdient – tja, das kommt eben davon, wenn man sich in der Automobilbranche verdingt. Anton Zaslavski jedenfalls dürfte bei dieser Summe wohl nur milde lächeln. Der deutsch-russische Spätaussiedler kam 1992 als Dreijähriger nach Kaiserslautern – 23 Jahre später nennt er sich DJ Zedd und wurde vom US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ jüngst auf ein Jahreseinkommen von rund 17 Millionen Dollar taxiert. Damit gilt er als Spitzenverdiener unter den deutschen Knöpfchendrehern, rangiert aber noch klar hinter Kollegen wie David Guetta aus Frankreich (37 Mio). Spitzenreiter: der Schotte Calvin Harris mit 66 Millionen Dollar.

 

Kaum ein anderes Gewerbe hat im vergangenen Jahrzehnt einen solchen Boom erlebt wie das, was einst als schnöde Plattenauflegerei begann. Inzwischen bewegt die Branche horrende Summen, ihre Spitzenkräfte sind Großverdiener einer ganz neuen Sparte der New Economy.

Die Plattenaufleger sehen sich als Musiker

Auch etliche deutsche Soundtüftler wie Felix Jaehn, Robin Schulz oder Paul Kalkbrenner sind erfolgreich in der Szene unterwegs. Wobei beim Umgang mit den Begrifflichkeiten Vorsicht geboten ist. Nein, lässt etwa die Promotionagentur von Kalkbrenner verlauten, als DJ sehe sich der gebürtige Leipziger keinesfalls, sondern als Musiker. Tatsächlich: die Grenzen zwischen den Jobprofilen sind fließend. DJs sind heute mal Plattenmixer, mal Produzenten, mal Interpreten – und oftmals alles gleichzeitig. Und die Unterhaltungsbranche zahlt gut für die Stars an den Mischpulten und Laptops.

In-Clubs überweisen den Zugpferden der Branche für ihre Livesets durchaus Gagen im mittleren fünfstelligen Bereich – pro Auftritt wohlgemerkt. Auch Plattenfirmen machen viel Geld dafür locker, damit DJs der Musik von Stars wie Madonna, Beyoncé oder Coldplay als Produzenten ein zeitgemäßes Sounddesign verpassen. Nicht mehr hip und im Trend zu sein in der Popkultur käme schließlich weitaus teurer.

Nächster, logischer Schritt: die DJs arbeiten gleich auf eigene Rechnung und nehmen als Digitalmusiker selbst Platten auf. Als Schlüssel zum Erfolg dient auch hier das Internet, wo neue Tracks auf Plattformen wie Spotify sowie in die einschlägigen Social-Media-Kanäle eingespeist werden. „Das Netz hat einen großen Anteil an der momentanen Entwicklung“, meint auch Alexander „Ali“ Schwarz vom Stuttgarter DJ-Duo Tiefschwarz. „In Zeiten von Soundcloud oder Youtube ist es viel einfacher geworden, sich selbst zu vermarkten.“

Auch Niklas Worgt, in der Branche als Dapayk und mit seiner Ehefrau, dem Fotomodel Eva Padberg, als Dapayk & Padberg bekannt, hat den Wandel hautnah miterlebt. „Früher gab es ein paar Plattenläden, gute Discs waren schwer zu bekommen und schnell vergriffen. Und man musste jahrelang üben, um einen guten Mix hinzubekommen. Mit der Digitalisierung kann man sich nun jeden Titel in Sekunden auf die Festplatte ziehen, und Computerprogramme nehmen dir das übungsintensive Tempoangleichen ab. Nach zehn Minuten Einarbeitungszeit kann heute jeder Sechsjährige ein DJ sein.“

Kaum hochgeladen, zieht ein neuer Track im digitalen Universum aufgrund unzähliger „Likes“ oder File-Sharings im Idealfall dann Kreise wie ein Kieselstein, der ins Wasser geworfen wird. Schließlich hat die Kundschaft via Smartphone und Tablet ihr Ohr permanent am Puls der Zeit. Und sie wird immer internationaler. Was in den frühen achtziger Jahren in den USA mit den Genres Techno und House begann, griff wenig später auf den deutschsprachigen Raum, England, Frankreich und die Beneluxstaaten über. Inzwischen hat das Partyfieber von Südamerika bis Asien und Australien die ganze Welt erfasst. Irgendwo wird also immer gefeiert – und mit Billig-Airlines reisen Raver günstig wie nie zu den Hot Spots der Clubkultur. „Easyjet-Rave-Tourismus“, kommentiert Ali Schwarz von Tiefschwarz trocken.

So hat die Branche im Zeitraffertempo einen massiven Strukturwandel vollzogen. Die DJs wurden von Dienstleistern zu Unternehmern, in deren Umfeld sich neue Geschäftsfelder entwickelten. Spezielle sogenannte Booker vermitteln die DJs an die veranstaltenden Clubs, Agenturen organisieren Partys, und die Künstler selbst beschäftigen ganze Teams an Licht- und Tonspezialisten, Marketingleuten, Rechtsanwälten und Social-Media-Experten.

Auf Ibiza muss man einfach auflegen

Fragt sich nur: Wo kommt eigentlich das ganze Geld her? Die Gästeschar (bei großen Raves zehntausend oder mehr Besucher) muss jedenfalls ordentlich in die Tasche greifen fürs Tanzvergnügen. Ticketpreise von fünfzig Euro aufwärts für angesagte Events sind die Regel, geht es etwas exklusiver zu, wird’s schnell mal dreistellig. Wer etwa einen VIP-Tisch für David Guettas „F*** Me I’m Famous“-Party im Ibiza-Kultclub Pacha buchen möchte: macht 550 Euro für zwei Personen – ein paar Drinks immerhin inklusive. „Ibiza ist ein zentraler Punkt auf der Landkarte, wenn es um die Potenzierung von Wahrnehmung und Popularität eines DJs geht“, weiß Schwarz. „Für eine Karriere als kommerzieller DJ ist die Insel eine der Plattformen überhaupt.“

Zusätzliches Geld pumpt die Konsumgüterindustrie in den Kreislauf. So leistet sich etwa der Brausebrauer Red Bull eine eigene Music Academy, sponsert Events, Workshops und Studiofortbildungen. Auch Automobilhersteller, Elektronikkonzerne und Modefirmen wissen längst um die hedonistische Clubklientel, die den perfekten Dreiklang aus Kaufkraft, Konsumfreude und Markenbewusstsein verkörpert, und umwirbt sie mit üppigen Budgets.

Doch das ganz große Geld als DJ macht nur, wer Hits liefert und sich ein vermarktbares Image zulegt. „Früher stand der DJ in der Ecke und hat seinen Job gemacht“, erinnert sich Dapayk. „Dann wurde er zum Rockstar erklärt und auf hohe, gut einsehbare Bühnen gestellt. Heute sind Erscheinung, Show und Social-Media-Power ganz wichtige Faktoren.“ Wer all das zu bieten hat, wird entsprechend hofiert. Der Rest muss mit Gagen im mittleren dreistelligen Bereich leben. „Am schwierigsten ist das Mittelfeld der Szene“, erklärt Ali Schwarz. „Die Acts dort sind etabliert und wollen ihre Preise hochhalten – sind aber eben auch schon länger dabei und nicht mehr der ‚Hot new Shit‘. Und dann machen ihnen jede Menge Newcomer zu weit geringeren Gagen den Platz streitig.“

Ach ja, um Musik geht es ja auch noch. Zu besichtigen gibt es momentan die wohl unweigerliche Ankunft von Techno, Trance und House im Mainstream unter dem Etikett EDM, „Electronic Dance Music“. Kaum ein Video ohne Bikini-Mädels, kaum eine Show ohne Feuerwerk, kaum ein Track ohne „Four to the floor“-Rhythmus – gut weghörbar muss der Stoff sein, und effektvoll zu inszenieren.

Wenn die Musik dem Showdown entgegensteuert: erst dann explodiert der Club so richtig. Die Energie der Masse trifft auf das Ritual einer Messe – und der DJ als Hohepriester an den Reglern sorgt für den erlösenden Kick, der wie ein Quasi-O(h)rgasmus wirkt. „Grundsätzlich haben die Guettas und van Dyks dieser Welt mit dem klassischen DJing nicht sehr viel zu tun“, meint Ali Schwarz. „Die Las-Vegas- und Ibiza-Shows gehören aber genauso zum Spiel wie das Burning-Man-Festival oder das Berghain.“ Denn: „Ohne Sven Väth kein David Guetta, ohne Underground kein Overground, ohne Disco kein House, ohne Pop kein Techno. Ein Schlüsselbegriff ist für mich Authentizität.“

So spaltet sich die Szene immer weiter auf: hier der Underground, die verratzten Clubs, wo „elektronischer Rock ’n’ Roll“ voll knochiger Grooves den Ton angibt; dort die großen Shows mit oft geradezu familienfreundlichen Soundlandschaften. Dazwischen: einer wie Kalkbrenner, der von Techno bis Trance und Pop nimmt, was ihm gefällt, und die Bestandteile collagiert. Für seinen Track „Sky and Sand“ ließ er schon 2008 seinen Bruder Fritz mit einer klassischen Soul-Stimme ans Mikrofon und landete einen Volltreffer. Der Energiekonzern RWE kaufte das Stück später für einen TV-Spot ein. Summe? Unbekannt. Aber irgendwo kommen all die Millionen für DJ Zedd & Co. ja schließlich her.