Nach 15 Jahren wird das Magazin Neon eingestellt. Vor einem Jahr abonnierte unsere Autorin das Heft und ist damit die Ausnahme: Sie kam, als die Mehrheit ging. Eine Hommage an ein Magazin, das für sie bis zuletzt den Zeitgeist der Jugend traf.

Stuttgart - Am Montagmorgen fischte ich die letzte Neon Ausgabe des Gruner + Jahr Verlags aus meinem Briefkasten. Bei den Worten „Die finale Ausgabe“ auf der Titelseite sträubten sich die Haare auf meinen Unterarmen und eine Mischung aus Traurigkeit und Dankbarkeit breitete sich unter meiner Haut aus. Ich war darauf vorbereitet gewesen. Die Chefredakteurin Ruth Fendt verabschiedete sich bereits im April von den Lesern mit den Worten: „Ihr seid zu wenige geworden. Denjenigen, die sich verabschiedet haben, sind nicht genügend Jüngere gefolgt“.

 

Ohne es zu wissen sprang ich im Februar 2017 auf ein sinkendes Schiff auf und wurde zur Neon-Anhängerin, als die meisten Leser das Magazin bereits aufgaben. Nach Verlagsangaben lag die Auflage 2011 bei rund 237 000 Exemplaren. Seit dem ging es bergab, zuletzt wurden noch etwa 58 000 Exemplare verkauft.

Eines der letzten 58 000 Hefte liegt nun neben meinem Bett, darunter 17 weitere Ausgaben. Mehr werden es nie werden und mein Plan, den Stapel irgendwann als Nachttisch zu nutzen, ist gescheitert. Das unterste Heft vom Februar 2017 trägt den Titel „Ich will dich!“. Ich war damals 20 Jahre alt, für mein Journalismus-Studium nach Stuttgart gezogen und auf der Suche nach neuen Weggefährten. Mit dem Magazin fand ich den ersten im Kiosk am Hauptbahnhof.

Eigentlich sollte ich erwachsen werden

Zunächst befand ich mich in einer Testphase: Mit dem Studium und mit der Zeitschrift. Ich zweifelte anfangs an der Wahl meines Studiengangs und die Neon kaufte ich nur ab und zu, wenn ich Lust hatte. Meine damalige Einstellung passte zu dem Motto des allerersten Hefts aus dem Jahr 2003: Eigentlich sollten wir erwachsen werden. Dieses „eigentlich“ war auch Anfang 2017 noch sehr präsent in meinem Leben: Ich fühlte mich überrumpelt, musste Entscheidungen treffen, zu denen ich irgendwie noch nicht bereit war und wollte mich auf nichts festlegen, obwohl ich sollte. Ich hatte Angst vor Entscheidungen: aus Angst, sie im Nachhinein zu bereuen.

Nach einiger Zeit merkte ich aber, dass ich die Zeitschrift nicht mehr nur wollte, sondern brauchte. So abonnierte ich, als viele kündigten. Neon lies mich in einem rappelvollen Bus am Montagmorgen auflachen, über umfassende Reportagen nachdenken und sprach mir Mut zu, neue Chancen zu ergreifen. Vor allem aber half sie mir, über mein Leben zu reflektieren, diente in vielen Situationen und bei Fragen wie: „Gehen oder bleiben?“ als Ratgeber. Sie bestärkte mich in meinem Berufswunsch Journalismus, der sich erst durch die Zeitschrift festigte.

Von meinen Freunden wurde das Heft oftmals als „Liebesmagazin“ abgestempelt. Aber eine Neon beinhaltete mehr als diese eine Rubrik, deren Aufmacher oftmals auf dem Cover prangte. Mit den Kategorien Wilde Welt, Politik, Liebe, Wissen, Zuhause und Freizeit deckte die Zeitschrift eine große Bandbreite ab und versuchte, allgegenwärtige Fragen junger Erwachsener zu beantworten: Wie meistere ich Bewerbungsgespräche? Wie werde ich glücklich in meinem Job? Ist mein Partner der Partner fürs Leben?

Ein Vorwurf der anderen Medien: Das Magazin, das für den Zeitgeist der Jugend steht, würde diesen heutzutage nicht mehr treffen. Eineinhalb Jahre nach meiner ersten Neon begegnen mir auf dem Weg in’s Erwachsenwerden – auf dem Weg zu Karriere, Einkommen und Familie – noch immer dieselben Fragen zu eben diesen Themen.

Ist die Neon das erste Internetopfer?

Warum verabschiedeten sich so viele Leser also bereits vor dem letzten Heft „Mach Schluss“?

Eine Erklärung der Chefredakteurin Ruth Fendt lautet, dass die heute 20-Jährigen neue Begleiter gefunden hätten, vor allem Online. Die Zeit hat ze.tt, der Spiegel bento und die Süddeutsche jetzt.de. Stern versucht die Neon nun ebenfalls ins Netz zu verlagern. Dorthin, wo hohe Klickzahlen die Themenwahl mitbestimmen und der Rahmen für umfassende Reportagen mit ausdrucksstarken Bildern oftmals begrenzt scheint.

Die Alternative soll offenbar das neue Reportagenheft der Stern-Familie „JWD - Joko Winterscheidts Druckerzeugnis“ sein. Es lag der letzten Ausgabe der Neon bei. Allerdings ist die Zielgruppe klar definiert: Mitte 20, männlich.

Und so bleibt für mich nur erneut der Blick ins Kioskregal – und die Suche nach einem Weggefährten, mit dem ich vielleicht doch noch erwachsen werde.