In Baden-Württemberg sind kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres noch mehr als 38 000 gemeldete Ausbildungsplätze nicht besetzt. Sorgen bereiten vor allem die Hauptschüler.

Wenige Wochen vor dem Start des neuen Ausbildungsjahres sind in Baden-Württemberg noch gut die Hälfte der gemeldeten Ausbildungsstellen unbesetzt. „Die Chancen für Kurzentschlossene sind hervorragend“, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut im Anschluss an das Spitzengespräch Ausbildungsbündnis. „In allen Berufen und in allen Regionen im Land gibt es noch offene Stellen“, fügt Christian Rauch, Chef der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg, hinzu.

 

Mehr als 73 500 Ausbildungsplätze wurden der Behörde zum Start des Ausbildungsjahres am 1. September gemeldet, das sind 6188 Stellen mehr als im vergangenen Jahr. Damit sei das Vorkrisenniveau fast wieder erreicht, freut sich Hoffmeister-Kraut (CDU): Das sei „eine gute Nachricht“. Der Wermutstropfen: Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber ist weiter rückläufig – und liegt derzeit bei 45 338 (minus 1038 Stellen). Rein rechnerisch kommen damit 1,6 Ausbildungsstellen auf jeden Bewerber. Zum Vergleich: 2019 lag dieser Wert noch bei 1,3. Laut Hoffmeister-Kraut besteht die Gefahr, dass – wie bereits in den vergangenen Jahren – viele Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. Dabei brauchen Wirtschaft und Verwaltung dringend qualifizierte Fachkräfte.

Schön für die Industrie- und Handelskammern (IHK) im Land ist, dass das Interesse an diesen Berufen wieder gewachsen ist. Nach Rückgängen in den beiden Coronajahren wurden bis Ende Juni im Südwesten wieder 1,6 Prozent mehr Ausbildungsverträge unterzeichnet. Dagegen liegt das Handwerk – das während Corona bei den Ausbildungen zulegen konnten – bei den unterschriebenen Verträgen derzeit noch um 5,9 Prozent unter Vorjahr. Beide Kammern haben das Niveau von vor Corona bis jetzt nicht erreicht.

Die Ausbildungsquote bei Hauptschülern liegt bei 25 Prozent

Sorgen bereiten dabei allen Teilnehmern des Spitzengesprächs Ausbildungsbündnis vor allem die Hauptschüler. Sie „bewerben sich nicht, weil sie sich keine Chancen ausrechnen“, nennt Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) die Beweggründe der jungen Menschen. „Wir dürfen niemanden zurücklassen“, mahnt sie. Rauch glaubt, ein Umdenken in den Unternehmen festzustellen. „Ich höre aus der Wirtschaft, dass man nicht mehr so auf Schulnoten wie in der Vergangenheit schaut“, sagt er.

„Die Betriebe sind bereit, ihre Azubis eng zu begleiten“, sagt auch Hoffmeister-Kraut und ruft die Jugendlichen auf: „Nutzen Sie die Chance“, egal welche Voraussetzung vorliege. Die Ausbildungsquote bei den Hauptschülern liegt bei etwa 25 Prozent. Zudem wies Maren Diebel-Ebers, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Baden-Württemberg, auf die massiven Passungsprobleme hin. Viele junge Menschen würden vor Ort den geeigneten Ausbildungsplatz nicht finden.

Im Coronajahr haben viele ihren Start in die Ausbildung verschoben

Dass die Schere zwischen Bewerbern und angebotenen Ausbildungsplätzen in diesem Jahr weiter aufgehen würde, war nicht unbedingt zu erwarten. Das hat mit der Entwicklung in den vergangenen Jahren zu tun. Nicht zuletzt wegen Corona haben viele junge Menschen den Start ihrer Ausbildung verschoben. So war im vergangenen Jahr die Befürchtung groß, dass in den Folgejahren diese Altbewerber zusätzlich auf den Markt drängen und die dann angebotenen Ausbildungsplätze nicht ausreichen könnten. Bisher ist diese Entwicklung jedoch ausgeblieben.

Die Beteiligten des Spitzengesprächs waren sich weitgehend einig, dass wegen der coronabedingten Einschränkungen einige junge Menschen Schwierigkeiten hatten, für sich eine berufliche Perspektive zu entwickeln und einen passenden Ausbildungsplatz zu finden. „Wir haben bereits zahlreiche Angebote zur beruflichen Orientierung aufs Gleis gesetzt“, so Hoffmeister-Kraut. Ziel müsse sein, die jungen Menschen möglichst früh mit den Betrieben zusammenzubringen. Dazu sollen die Praktikumswochen Baden-Württemberg beitragen, die erstmals landesweit für Jugendliche ab 15 Jahren durchgeführt werden. Aktuell würden rund 3000 Betriebe etwa 180 000 Praktikumstage anbieten; die Anmeldung dazu erfolgt online (www.praktikumswoche-bw.de).

Im Internet findet sich zudem ein Orientierungstest, der junge Menschen bei der Suche nach dem Beruf unterstützen will. Bisher gab es diesen Test nur für angehende Studierende; in diesem Jahr wurde er erstmals um Ausbildungsberufe erweitert. Damit soll nicht zuletzt auf die Gleichwertigkeit von Ausbildung und Studium hingewiesen werden – was in der Vergangenheit nicht immer so gegeben war. Vielleicht hoffen die Verantwortlichen auch, dass sich der eine oder andere Abiturient statt für ein Studium doch für eine berufliche Ausbildung entscheidet.