Was gibt es noch für besondere Geschäfte in der Stuttgarter Innenstadt? Wir waren zu Besuch im Schachdepot – der einer der letzten Läden seiner Art ist.

S-West - Sizilianische Verteidigung“ oder „Fighting the London System“: Diese Buchtitel klingen auf den ersten Blick eher nach politischen Brisanzthemen oder strategischer Kriegsführung. In Wirklichkeit widmen sie sich einem Thema, das für Eingeschworene so weit von einem Spiel entfernt ist wie Fußball für die ganz harten Fans: Schach: Es geht in den Büchern einzig und allein um Schach. Sie türmen und stapeln sich im Schachdepot in der Gutbrodstraße, dem einzigen Schachladen der Stadt – und einem der letzten in der gesamten Republik. Geführt wird er von Sotirios Stavridis (46), einem ruhigen, in Stuttgart aufgewachsenen Griechen.

 

Der trubelige Westen bleibt in diesem kleinen Refugium einfach draußen

Betritt man dieses kleine Refugium, geht Bemerkenswertes vor sich. Der trubelige Westen bleibt vor der Ladentür. Die Welt des Schachs ist geruhsam, geduldig und leise. „Im Kopf kann es dabei aber ziemlich wild zugehen. Regelrecht stürmisch wird es dann“, sagt Stavridis mit einem Lächeln, das nur Kundige der Materie nachvollziehen können.

Schon klar: Schach ist ein intensives Spiel, das den Kontrahenten teils über Stunden hinweg alles abverlangt. Und irgendwie kennt die Begrifflichkeiten ja auch jeder. Schachmatt, Rochade, Bauernopfer – alles Bonmots im Sprachgebrauch. Wer Schach aber wirklich verstehen will, muss sich lange damit auseinandersetzen. Seit 13 Jahren betreibt er das Schachdepot, hatte es damals von seinem Vorgänger übernommen, der den Laden 1994 noch an anderer Stelle um die Ecke eröffnet hatte. Heute hortet Stavridis Bücher, Software, aber auch Schachbretter und Figuren. Er wirkt glücklich als Hüter über die Könige, Damen, Bauern und Türme. „Schach ist ehrlich“, sagt er und seine Augen glänzen dabei. „Es ist kein Glücksspiel, lässt sich nicht manipulieren. Das gefällt mir.“

Die Leidenschaft für Schach entstand in einer Kneipe im Westen

Bei aller Begeisterung wollte er ursprünglich eine andere Richtung einschlagen. Er studierte Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurswesen, kam aber selbst in seiner Studentenstadt Leipzig nicht los von den schicksalhaft miteinander verwobenen Figürchen. Wie auch? Schach ist sein großes Hobby, seit er es von einigen leidenschaftlichen Schachspielern in der Kneipe seines Onkels im Westen gelernt hat. Die Kneipe lag auf seinem Heimweg vom Schickhardt-Gymnasium. Manchmal zog da sogar ein württembergischer Schachmeister seine Figuren über das Brett, was auch auf den jungen Stavridis nicht ohne Wirkung blieb. „Mich beeindruckte, dass er dich nicht einfach nur schlagen wollte; er wollte dir etwas beibringen“, sagt er bewundernd über seinen Mentor.

Die Verlockung, das Hobby zum Beruf zu machen, war bald sehr groß. Größer als Bedenken über die Wirtschaftlichkeit. Und heute kennt er die meisten Kunden mit Namen. Die Schachwelt ist klein und verschworen. Selbst die Profispieler können nur mit Müh und Not von ihrem Sport leben, trainieren auch schon mal bei ihm. Noch gibt es Vereine in Stuttgart, Stavridis selbst ist bei den Stuttgarter Schachfreunden, die sich seit 1879 duellieren.

Zwischen Spiel, Wissenschaft und Training

In Sachen Beliebtheit und Attraktivität dümpelt Schach in Deutschland mehr oder weniger vor sich hin. Stavridis kann das nicht nachvollziehen. Für ihn ist Schach eine Wissenschaft – und ein wertvolles Training obendrein: „Wer Schach spielt, kann sich besser und länger konzentrieren.“ Und wenn er über Schachzüge redet, über „berührt – geführt“ oder die Neuregelung der Rochade, wird er regelrecht lebhaft, gestikuliert, macht seine Begeisterung spürbar. Denn ob Novize oder Profi: Wer sich am Schachbrett gegenüber sitzt, lernt sich sehr gut kennen. Status und Herkunft sind egal, es geht nur noch um die Begegnung.

Vom Kleinkind bis zum über 90-Jährigen, vom Amateur bis zum Profi reicht sein Kundenstamm, der seine kompetente, ehrliche und ausführliche Beratung schätzt. Vor allem Bücher und Software werden von den Vereinsspielern nachgefragt, vor Ostern, Konformationen oder Weihnachten sind es Schachbretter. Die Verkäufe laufen zu gleichen Teilen online und über die Ladentheke. Und der nächste Boom? „Wir warten noch auf einen deutschen Weltmeister“, sagt er lächelnd. Ob der eine Schachwelle auslöst, wie einst Boris Becker im Tennis, ist fraglich. Zu gönnen wäre es Stavridis und den Schachfreunden allemal.