Im frühen zweiten Jahrhundert nach Christus bauten die Römer auf dem Hallschlag einen aufwendige Unterbau für eine Straße. Seit der Ausgrabung 2012 werden die Funde untersucht. Jetzt gibt es Ergebnisse – und eine große Hoffnung.

Stuttgart - Man weiß schon einiges über die Römer in Bad Cannstatt, die im frühen zweiten Jahrhundert nach Christus über dem Neckar ein Reiterkastell anlegten. Darum wuchs dann rasch eine bedeutende Siedlung auf halber Strecke zwischen den damaligen Provinzhauptstädten Augsburg und Mainz. Zweierlei ist aber unbekannt: Wann genau kamen die Römer hierher, und wie nannten sie Cannstatt? Einer Antwort auf diese Fragen ist man durch Ausgrabungen im Jahr 2012 im Sparrhärmlingweg 6 näher gekommen, deren Ergebnisse die Archäologin Sarah Roth von der Universität Freiburg jetzt auf Einladung des Vereins Pro Alt-Cannstatt vorgestellt hat.

 

Einzigartige Holzkonstruktion

Doch der Reihe nach: Am Sparrhärmlingweg, gegenüber dem Steigfriedhof und gut hundert Meter vom einstigen Römerkastell entfernt, wurde vor acht Jahren die neuapostolische Kirche für ein Achtfamilienhaus platt gemacht. Dass die Bauarbeiter dort auf römische Spuren stoßen würden, überraschte nicht; was die Archäologen des Landesamts für Denkmalpflegedann aber fanden, gilt in ihren Kreisen als „kleine Sensation“, so Roth: ausgedehnte Holzkonstruktionen, mehr als 250 Einzelhölzer auf einer Fläche von 120 Quadratmetern. „Eine vergleichbare Fundstelle gibt es in Baden-Württemberg vielleicht noch in Osterburken“, sagt Roth mit Blick auf die Römerstadt im Neckar-Odenwald-Kreis. Doch das, was in Cannstatt gefunden wurde, sei „in Dimension und Bauweise aber einzigartig“.

Ins römische Cannstatt, zunächst 150 Jahre ein wichtiger Limes-Grenzort, dann 100 Jahre eine an Bedeutung verlierende Siedlung im Hinterland des nach Osten vorgerückten Limes, kamen mit den Soldaten Familienangehörige, Händler und Handwerker, die sich vor der Kaserne niederließen. Die Fläche nur 60 Meter westlich des Kastells, dort, wo heute der Sparrhärmlingweg ist, „war ein Filetgrundstück“, wie Roth sagt. Allerdings war dort wohl auch ein kleiner Tümpel oder eine Mulde, in der sich Regenwasser sammelte – ein gänzlich ungeeigneter Untergrund für eine nach Westen führende Straße und an deren Rand stehende Häuser.

Unterbau für Straße und Gebäude

Doch die Römer wussten sich zu helfen: sie stabilisierten den Untergrund mit der ausgedehnten Holzkonstruktion, deren Plattformen den Unterbau für die römische Hauptstraße und – durch eine hölzerne Wasserrinne getrennt – für ein am Straßenrand errichtetes Gebäude war. Auf die mit einem Nut-Steck-System (vergleichbar dem heute praktizierten „Berliner Verbau“) verbundenen Hölzer wurde dann Kies und Schotter geschüttet. „Die Holzkonstruktion war kein Fußboden, der begangen oder befahren wurde, sie hatte nur den funktionalen Zweck, den Untergrund unter der Straße und den Gebäuden zu befestigen“, betont Roth. Einzigartig ist der Fund auch deshalb, weil die Holzbohlen in dem dauerfeuchten Untergrund und abgeschlossen von jeder Luftzufuhr konserviert wurden. Roth: „Das kann man mit Moorleichen vergleichen.“

Die gut erhaltenen Hölzer erlaubten es mit Hilfe der Jahresringe das Alter genau zu bestimmten – eine Zeitspanne von 111 bis 130 nach Christus. „Die Römer sind also spätestens 111 nach Christus nach Cannstatt gekommen“, folgert Roth. Das sei das bislang älteste Datum für einen Fund aus der römischen Siedlung. Die oft genannte Jahreszahl von 90 nach Christus beruhe nicht auf einem konkreten Fund, sondern orientiere sich ungefähr am Bau des Neckarlimes. Nach Roths Einschätzung muss die Unterkonstruktion etwas später als die jüngste Holzdatierung, also nach 130 nach Christus, gebaut worden sein. Dafür sprechen auch andere Funde der Grabung wie Keramikreste, Tierknochen und Gegenstände aus Buntmetall.

Was erzählt das Lieblingsfundstück?

Das Lieblingsfundstück der Archäologin ist aber ein – für einen Laien – unscheinbares Stück Holz, etwa 14 Zentimeter lang, mit einer rechteckigen Vertiefung im Innern. Dort war früher Wachs, in das die Römer mit einer Art Druckstift Texte schrieben – ein römisches Schreibtäfelchen. Das Wachs ist natürlich weg, aber Roth hofft, dass sich beim starken Drücken des Stiftes ein Teil des Textes auch ins Holz ritzte, was nun mit modernen wissenschaftlichen Methoden wieder sichtbar gemacht werden könnte. Noch ist das Schreibtäfelchen in der Werkstatt, „aber vielleicht entdecken wir einen Text mit dem römischen Namen Cannstatts“, hofft Roth: „Das wäre eine Sensation.“