Eigentlich erwarteten die Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege auf dem Areal neben der St. Anna Klinik nur vereinzelte Gräber: Jetzt haben sie ein ganzes Gräberfeld entdeckt – mit interessanten Funden.

Stuttgart - Der Untergrund in Bad Cannstatt erweist sich immer mehr als Fundgrube für die Archäologen: Eine Woche, nachdem auf dem Hallschlag die Überreste von massiven römischen Steinhäusern vorgestellt wurden, präsentierte das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart nun auf der anderen Neckarseite beim Augsburger Platz eine Vielzahl von Steinplattengräbern aus dem siebten Jahrhundert. „Das ist ein veritabler Friedhof aus der Merowingerzeit“, sagt Dr. Jonathan Scheschkewitz vom Landesdenkmalamt. Die Gräber lägen dicht an dicht. „Bad Cannstatt war im Frühmittelalter das Zentrum der Region“, sagt der Experte. Er erhofft sich von der nun folgenden wissenschaftlichen Untersuchung und Auswertung der Knochen und Gegenstände weitere Aufschlüsse über das frühmittelalterliche Leben am Neckar.

 

Überrascht vom Ausmaß

Unerwartet waren beide Funde nicht, überrascht haben sie dann aber doch. Dass auf dem Hallschlag nur wenige hundert Meter vom früheren Römerkastell entfernt römische Spuren entdeckt würden, war klar, mit Steinhäusern als Zeugnisse einer Luxussiedlung von Wohlhabenden hatten die Archäologen aber nicht gerechnet. Ähnliches passierte am Augsburger Platz auf dem Areal zwischen Oberer Waiblinger Straße und der St.-Anna-Klinik. Zwar fand man dort in den 1930er Jahren bereits einige frühmittelalterliche Gräber und erwartete nun weitere vereinzelte Funde. Doch mittlerweile legten die Experten um die Grabungsleiterin Hannah Witte seit Ende Mai ein ganzes Gräberfeld frei: Schon gut 35 Gräber seien freigelegt, mindestens 20 weitere würden wohl folgen, sagt Witte.

Stiftung plant Pflegeheim

Das Landesdenkmalamt nimmt das Areal deswegen unter die Lupe, weil die St.-Anna-Stiftung Ellwangen dort in den nächsten Jahren ein Alten- und Pflegeheim errichten will. Dafür wird nicht nur ein Teil des Gartens benötigt, sondern auch das Areal an der Oberen Waiblingen Straße, auf dem heute noch zwei Wohnhäuser stehen. „Wir sind noch in der Vorplanung“, sagt Katja Wagner von der St.-Anna-Stiftung Ellwangen. Deshalb ist auch noch genug Zeit für die Grabungen, die wohl erst im September beendet werden.

Das Gräberfeld am Augsburger Platz ist eines von mehreren in Bad Cannstatt. „Hier war im Frühmittelalter ein Hotspot“, sagt Scheschkewitz, „Stuttgart spielte da keine Rolle“. Es habe wohl nicht nur einzelne Höfe, sondern mehrere Siedlungen gegeben, die Menschen hätten als Bauern gearbeitet. In den Gräbern wurden die Skelette von Männern, Frauen und Kindern gefunden. Auch Grabbeigaben waren beigelegt: Waffen, Messer, Pinzetten, Werkzeuge aus Knochen und Fingerringe.

Grabräuber waren aktiv

Allerdings entdeckten die Archäologen auch Schächte von Grabräubern: Bei den Männern im Bereich der Hüfte, weil dort die Waffen, zumeist das Sax, ein langes, einschneidiges Messer, vermutet wurde; bei den Frauen im Brustbereich, weil dort die wertvollen Gewandspangen angebracht waren. Dass in manchen Gräbern viele und in anderen wenige Beigaben gefunden wurden, führt Scheschkewitz aber nicht nur auf den ausgeprägten Grabraub in der damaligen Zeit zurück, sondern auch darauf, dass die Stellung der Personen und ihr Alter bei der Ausstattung eine Rolle spielte: „Die Bestattungen waren ein soziales Ereignis, bei der auch die Macht einer Familie gezeigt wurde.“

Spuren der Römer

Unter den gefundenen Gräbern sind auch mehrere Steinplattengräber, die aus großen Travertinblöcken gebaut worden waren – und darauf waren auch römische Inschriften zu entziffern. Diese Quader, aber auch klassische Mauersteine aus römischer Produktion bezeugen, dass sich die Menschen beim Grabbau an den Resten römischer Bauten bedient haben.