Die Krawalle und ihre Folgen: im Ausland wachsen Zweifel am Sicherheitskonzept Londons, nachdem Sportveranstaltungen abgesagt werden mussten.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Die "New York Times" hat dieser Tage "einen dunklen Schatten" zusammen mit den Rauchwolken der englischen Straßenkrawalle über London aufziehen sehen. Von den Inselunruhen überschattet waren, im Urteil der Amerikaner, die Olympischen Spiele, die im nächsten Sommer an der Themse abgehalten werden sollen.

 

Nach den Ausschreitungen der letzten Tage müsse Großbritannien die Welt erst einmal davon überzeugen, dass keine Wiederholung der Krawalle im kommenden Juli und August die Spiele ruinieren werde, fand das Blatt. Auch die "Washington Post" sprach davon, den Londonern sei durch die Gewalttätigkeiten international "enormer Schaden zugefügt worden".

Im chinesischen Fernsehen wurde bereits diskutiert, ob es sicher genug sei, nächstes Jahr nach London zu reisen. Peking habe immerhin an allen Fronten für die Sicherheit seiner Besucher gesorgt.

"Bei uns dreht sich alles um die Kids"

In London selbst räumt man ein, dass die Krawalle das Image der Stadt beträchtlich angekratzt haben. Straßentumulte und Plünderungen wenige Kilometer vom Olympischen Park entfernt waren das Letzte, womit der Austragungsort des Mammutsportfests 2012 identifiziert werden wollte. "Das ist ganz schön beschissen für London und Olympia, es sieht natürlich nicht gut aus", so der Vizebürgermeister Kit Malthouse.

Der Mayor selbst, Boris Johnson, musste aus seinem Kanadaurlaub zurück ins entflammte London fliegen. Er schäme sich dafür, sagte Johnson, dass eine Minderheit der Londoner dem Ansehen der Stadt rund um den Planeten auf solche Weise habe schaden können.

Eine gewisse Ironie besteht darin, dass London vor sechs Jahren die Spiele vor allem mit dem Hinweis auf ihren Nutzen für die heimische Jugend und die Aufwertung von Problemvierteln an Land gezogen hatte. Flotte Videoprogramme und Graffitisymbole mit sportbeseelten Teenagern und Kindern unterstrichen den Anspruch der Briten gegenüber der Konkurrenz. "Bei uns dreht sich alles um die Kids", sagte der damalige Londoner Bürgermeister, Johnsons Vorgänger Ken Livingstone.

Das IOC vertraut den britischen Behörden

Nun haben die "Kids", die sich Anfang der Woche ihre Adidas-Schuhe auf wenig sportliche Weise aus geplünderten Läden besorgten, den schönen Schein zerstört. In London drehte sich plötzlich wirklich alles um die Jugend: Freilich anders, als sich Livingstone das vorgestellt haben mochte. Soziale und wirtschaftliche Probleme, die Olympia mindern sollte, sind der Themsestadt jedenfalls hartnäckig erhalten geblieben.

Im Zuge von Rezession und Sparmaßnahmen sind außerdem Jugendzentren geschlossen und Schulsportprogramme radikal reduziert worden. Nur wenige Jugendliche vor Ort glauben, unmittelbar von den Olympischen Spielen zu profitieren. Selbst eine Sportlerin und "olympische Botschafterin" Britanniens, die 18-jährige Chelsea Ives, fand sich diese Woche unter den Plünderern - und vor Gericht.

Ungerührt hat sich bisher aber das Internationale Olympische Komitee angesichts der jüngsten Ausschreitungen gegeben. Das IOC sprach den britischen Behörden sein Vertrauen aus. Man sei "zuversichtlich", dass diese im Bereich Sicherheit "gute Arbeit" leisten würden. Der Olympiakoordinator für Sicherheitsfragen in London, Chris Allison, versprach, in aller Ruhe Bilanz zu ziehen.

Veranstaltungen während olympischer Testphase abgesagt

Man habe schon vorher die Möglichkeit öffentlicher Unruhen "als eins der offenkundigen Risiken in die Planung einbezogen", sagte Allison. Es sei gegenwärtig noch "zu früh", um aus den Straßenkrawallen Lehren zu ziehen.

Tony Travers, Fachmann für kommunale Planung an der London School of Economics, sieht hingegen Probleme für die nötige Polizeipräsenz: "Man kann sich ja vorstellen, wie überfordert die Polizei wäre, wenn so etwas während der Spiele passierte." 12000 Polizisten, mehr als das Doppelte der normal verfügbaren Zahl, hatten die Veranstalter für die Dauer der Spiele eingeplant. Im Augenblick stehen aber 16.000 Polizisten in den Straßen Londons "Anti-Riot-Wache". "Während der Spiele", sagt Travers, "wäre es nicht so einfach, andere Großereignisse abzudecken."

Peinlich war es für die Austragungsstadt, ausgerechnet während der ersten olympischen Testphase eine Reihe sportlicher Veranstaltungen absagen zu müssen. Mit 200 IOC-Funktionären in der Stadt, blieb der Polizei wegen Krawallgefahr nichts anderes übrig, als mehrere Fußballspiele abzublasen, darunter das Freundschaftsspiel zwischen England und Holland im Wembley-Stadion - einem der Austragungsorte bei Olympia.

Ob am Samstag ein vorolympisches Radrennen quer durch London stattfinden kann, war noch fraglich. Ein Beachvolleyballturnier wurde fortgesetzt. Risiken wollen die Veranstalter natürlich nicht eingehen. Aber kapitulieren wollen sie vor aller Welt auch nicht.