Nach schweren Ausschreitungen in zwei Pariser Bezirken wächst die Sorge, der eskalierende Nahostkonflikt könne weiter auf Frankreich übergreifen.

Paris - Der Krieg im Gazastreifen scheint Frankreich schon erreicht zu haben. Innenminister Bernard Cazeneuve ist am Montag in der Pariser Vorstadt Sarcelles eingetroffen, um sich selbst ein Bild vom Ausmaß der Zerstörung zu machen. Der Minister hat rußgeschwärzte Ruinen inspiziert, Trümmerfelder durchschritten. Bei einer Solidaritätskundgebung für Palästina war hier am Vortag „die antisemitische Gewalt eskaliert“, wie der Minister sagte. Der wütende Mob versuchte, von Gendarmen mit Wasserwerfern und Tränengasgranaten verteidigte Synagogen des Ortes zu stürmen. Er plünderte jüdische Läden, zündete einen koschere Lebensmittel feilbietenden Supermarkt an. Die Polizei meldete ingesamt 18 Festnahmen.

 

Am Samstag waren bereits im Pariser Viertel Barbès jüdische Geschäfte in Flammen gestanden. „Das sind antisemitische Taten, man muss die Dinge beim Namen nennen“, sagte Innenminister Cazeneuve. Laut Roger Cukierman, dem Vorsitzenden des Repräsentativen Rats Jüdischer Einrichtungen in Frankeich, geht es nicht mehr um Politik. Man rufe auf den Straßen von Paris nicht mehr „Tod den Israeli“, man rufe „Tod den Juden“.

Verbot von Pro-Palästina-Demonstrationen

Die Eskalation lässt im Pariser Regierungspalast die Alarmglocken schrillen. Sechs Millionen Muslime und 600 000 Juden leben in Frankreich. Kein anderes Land der EU beherbergt mehr sich zu Koran oder Thora bekennende Bürger. Wenn der Nahostkonflikt auf ein europäisches Land übergreift, dann auf Frankreich. Die Hoffnung der Regierung, ein nach ersten Ausschreitungen erlassenes Verbot von Pro-Palästina-Demonstrationen werde zur Beruhigung der Lage beitragen, hat sich nicht erfüllt.

Das Verbot scheint den Konflikt sogar noch angeheizt zu haben. So mancher der in Vorstadtgettos abgedrängten Nachfahren arabischer Einwanderer sieht sich in dem Gefühl bestätigt, dass er und seinesgleichen in Frankreich nicht mitreden dürfen – und protestiert erst recht. Bereits vor den jüngsten Ausschreitungen hatten Rabbiner über wachsende Feindseligkeit geklagt. Im vergangenen Jahr war die Quote nach Israel auswandernder französischer Juden um 70 Prozent gestiegen. In diesem Jahr werden noch mehr Rückkehrwillige erwartet.

Radikale Minderheiten sabotieren das Zusammenleben

Das heißt nicht, dass Frankreichs Muslime geschlossen Front machen würden gegen jüdische Mitbürger. Kleine radikale Minderheiten sind es, die im konsequent weltlichen französischen Staatswesen das gedeihliche Zusammenleben der Religionsgemeinschaften sabotieren. Rund 20 000 Demonstranten hat die Polizei bei palästinensischen Solidaritätsbekundungen der vergangenen Tage gezählt. Selbst wenn sämtliche Teilnehmer Muslime gewesen wären, hätten sie lediglich 0,3 Prozent der Glaubensgemeinschaft gestellt. Kleine, sich von den Demonstrationszügen lösende Gruppen waren es dann, die vereint mit Stadtguerilleros und Linksradikalen eine Schneise der Zerstörung schlugen.

Ohnedies sind Frankreichs Muslime alles andere als eine geschlossene Gemeinschaft. Im öffentlichen Leben zeigen sie wenig Profil. Da ist keine Partei oder Lobby, die sich als islamisch definierte. Der Islamkenner Gilles Kepel befürchtet dennoch, dass sich die Spirale der Gewalt weiter drehen wird. Vergeblich hätten junge Islamisten versucht, mit Verweis auf das Leid des syrischen Volkes eine Woge des Mitgefühls und Zorns loszutreten, sagt Kepel. Mit dem Krieg im Gazastreifen tue sich aus Sicht der Nachwuchs-Dschihadisten nun eine willkommene, neue Chance auf, das Volk zu mobilisieren – eine Chance, die sie entschlossen nutzen wollten.

Polizei prüft anti-Israelische Demo in Berlin

Parolen:
Polizei und Staatsanwaltschaft untersuchen nach den anti-israelischen Demonstrationen in Berlin, ob dabei gerufene Parolen volksverhetzend und damit strafbar waren. Derzeit werde noch der Sachverhalt geprüft, sagte ein Polizeisprecher am Montag. Politiker verschiedener Parteien haben antisemitische Parolen von arabisch-palästinensischen Demonstranten scharf kritisiert. Die Behörden ermitteln gleichzeitig gegen einen islamischen Hassprediger, der bei einer Ansprache in der Al-Nur-Moschee im Stadtteil Neukölln zum Kampf gegen Israel und die Juden aufrief. Der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) betonte: „Die Polizei wird unter Wahrung des Rechts auf Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit gegen antisemitische Äußerungen konsequent vorgehen.“

Angriffe
: Am Samstag musste die Berliner Polizei einen Juden vor Angriffen aus einer arabischen Demonstration gegen Israel schützen. Bei einer Kundgebung am Donnerstag riefen zahlreiche arabisch-palästinensische Demonstranten unter anderem: „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf’ allein“. Die Polizei war dort stark vertreten, wurde aber nicht aktiv. In Berlin sind bis Ende der Woche sieben weitere Demonstrationen zum Krieg in Gaza angemeldet, darunter auch eine Kundgebung anlässlich des iranischen „Al-Kuds-Tag“ am Freitag, an dem die Rückeroberung Jerusalems gefordert wird. Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von einer „Explosion an gewaltbereitem Judenhass“. Antisemitismus dürfe nicht verschwiegen, sondern müsse thematisiert und entschlossen bekämpft werden. Die jüdische Organisation American Jewish Committee betonte: „Der Aufruf zum Mord ist mit nichts zu rechtfertigen.“