Nach den Krawallen in der Nacht zum Sonntag ziehen die Sicherheitsbehörden Bilanz. Während die Ermittlungen laufen, beginnt schon die Planung, wie man derlei Ereignisse künftig verhindern kann.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Der Polizeipräsident Franz Lutz und sein Stellvertreter Thomas Berger haben schon viel erlebt in ihrer Dienstzeit. Lutz ist seit 46 Jahren Polizist, Berger seit 30. Aber Ausschreitungen und Angriffe auf die Polizei wie in der Nacht zum Sonntag in Stuttgart, das haben sie noch nicht erlebt. Angefangen habe alles, als gegen 23.30 Uhr ein 17-jähriger Mann am Eckensee wegen eines Drogendelikts, das er begangen haben soll, kontrolliert wurde. Mehr als 200 Personen gingen da auf die Polizei los. Den Einsatzkräften gelang es in der ersten Phase nicht, das einzudämmen. So schwappte die Welle der Wut über auf die Königstraße, die marodierende und aggressive Gruppe wuchs auf bis zu 500 Personen an, schildert Thomas Berger, der in der Nacht dabei war. Dann bildeten sich Kleingruppen, die plündernd und zerstörerisch durch die Straßen zogen. Bei den Ausschreitungen, an denen bis zu 500 Personen beteiligt waren, seien 19 Beamte verletzt worden, einer war dienstunfähig, sagte Stuttgarts stellvertretender Polizeichef Thomas Berger.

 

Marodierende Gruppen ziehen zerstörerisch und plündernd durch die Stadt

An 30 Geschäften in der Innenstadt wurden Scheiben und Inventar beschädigt, acht seien geplündert worden. 12 Polizeiautos wurden beschädigt, ein paar davon erlitten Totalschaden und sind nicht mehr zu gebrauchen. Auch ein Rettungswagen wurde demoliert. Das ist die vorläufige Bilanz der Nacht. 24 junge Männer nahm die Polizei fest, von ihnen kamen sieben am Sonntag vor den Haftrichter. Zwölf hätten ausländische Pässe, die andere Hälfte seien Deutsche Staatsbürger. Gegen die Beteiligten an den Ausschreitungen werde laut der Staatsanwaltschaft unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzungsdelikten, Widerstands gegen die Polizei und wegen tätlicher Angriffe auf Beamte ermittelt. Die Polizei hat die 40-köpfige Ermittlungsgruppe „Eckensee“ eingesetzt, die nun unter anderem eigene Aufnahmen der Beweissicherung, Bodycambilder und die zahlreichen Filme von Augenzeugen und Beteiligten in den sozialen Medien auswertet.

Die Lage sei bald sehr unüberschaubar gewesen, sagt Berger. Der Polizeihubschrauber war für viele Bürgerinnen und Bürger das Zeichen, das etwas nicht stimmte in der Landeshauptstadt: Mehrere Stunden lang kreiste er über der Innenstadt. Gegen 2.30 Uhr war der Polizeipräsident Franz Lutz nicht mehr im Urlaub: Seine Kollegen hatten ihn im Allgäu erreicht und er machte sich auf den Rückweg. Erst gegen 4.30 Uhr sei die Lage vollständig unter Kontrolle gewesen.

Die Polizei ist von der Welle der Gewalt und der Aggressivität gegen ihre Beamtinnen und Beamten überrascht worden. Doch ganz unvorbereitet war sie nicht. Aufgrund von Vorfällen an den zurückliegenden Wochenenden habe man die Präsenz stark erhöht, sagt der Polizeipräsident Franz Lutz. „Eine ganze Hundertschaft mehr, also doppelt so viele Kräfte wie an einem normalen Wochenende“, sei eingesetzt gewesen. Diese 200 Polizisten aus Stuttgart reichten noch nicht. Verstärkung aus dem Umland musste her, knapp 300 waren es am Ende. Seit Ende Mai war es mehrfach zu Zwischenfällen gekommen, bei denen sich mehrere Hundert Menschen gegen die Polizei stellten, sich den Ansagen widersetzten, Beamte beleidigten und mit Gegenständen bewarfen. Weil aufgrund des seit vier Wochen wieder in der Innenstadt tobenden Partylebens mit weiteren Attacken dieser Welt zu rechnen gewesen sei, habe man sich für die Verdopplung der Zahl der Polizistinnen und Polizisten entschieden.

Die Tatverdächtigen sind junge Männer aus der Eventszene

Die Aggressoren, überwiegend männlich, rechnet die Polizei der sogenannten Eventszene zu, die am Wochenende zum Feiern in die Innenstadt komme. Diese Gruppe sei bunt gemischt. Deutsche, Deutsch mit Migrationshintergrund, Ausländer, Geflüchtete seien dabei. Der Oberbürgermeister Kuhn warnt davor, die Beteiligung von Migranten nun ausländerfeindlich auszulegen. Das Verhalten sei inakzeptabel, egal, ob Deutsche oder Migranten dahinter steckten. „Es wird jetzt schnell heißen ,Die Ausländer sind schuld’, das werde ich klar zurückweisen. Wenn nun jemand fordere, „dass wir unsere Liberalität aufgeben, dann sage ich ganz deutlich: Das wollen wir nicht“, sagte Kuhn.

Die Polizei müsse nun verhindern, dass es erneut zu solchen Szenen komme. Das bestätigten Kuhn und die Vertreter des Polizeipräsidiums. An der Strategie werde in den kommenden Tagen gearbeitet. Berger und Lutz machten deutlich, dass man sehr stark mit vielen Kräften präsent sein müsse. Lutz richtete auch einen Appell an junge Bürgerinnen und Bürger, die in den sozialen Netzwerken verfolgten, was in der Stadt geschah: „Ich bitte Sie, sich ganz klar davon zu distanzieren, was da geschehen ist.“ Man dürfe auch in den sozialen Medien die Gewalt gegen die Polizei nicht verharmlosen. Auch wenn die Polizei mit ähnlichen Ausschreitungen ein Stück weit gerechnet habe, so müsse aber auch klar sein, dass das „nicht die normale Stuttgarter Partynacht“ sei, sagte der Oberbürgermeister. Es müsse den Beteiligten klar sein, dass sie mit solchen Aktionen auch „die Freiheit der Stuttgarter Sommernacht“ gefährdeten, so Kuhn.