Am Stuttgarter Naturkundemuseum zeigt die Ausstellung „Baubionik“, wie Wissenschaftler über Fachgrenzen hinweg zusammen arbeiten. Ihr Ziel: die Konstrukuktionsprinzipien von Tieren und Pflanzen für neue technische Lösungen zu nutzen.

Stuttgart - Wie von Geisterhand bewegen sich die 36 Lamellen-Elemente der drei Tonnen schweren Konstruktion, welche die Eingangshalle des Stuttgarter Naturkundemuseums im Schloss Rosenstein ausfüllt. Technik im Naturkundemuseum? Die jetzt eröffnete Ausstellung „Baubionik“ macht es möglich – und das ganz im Sinne des Ausstellungs-Mottos „Biologie beflügelt Architektur“. Denn Vorbild für das neuartige Verschattungssystem für Fassaden namens Flectofold ist die Natur: die unter Wasser lebende fleischfressende Pflanze Wasserrad, auch Wasserfalle genannt, deren Fallen wie die Speichen eines Wasserrades angeordnet sind.

 

Die Fallen selbst können sich blitzschnell schließen – und das ohne Gelenk. Die beiden Fallenhälften sind durch eine Mittelrippe miteinander verbunden, die im fangbereiten Zustand gerade ist. Die Falle schließt sich, wenn sich die Mittelrippe durchbiegt – was vermutlich durch Druckänderungen in den Zellen der Rippe bewerkstelligt wird. In der Ausstellung sind die Fallen technisch nachgebaut, wobei sich hier die Verschattungselemente – also die Fallenhälften – durch Pressluft schließen. Dazu ist nur ein geringer Druck von 0,04 bar erforderlich.

Vom Computer-Modell zum Prototypen

In der Bionik-Ausstellung sowie im Begleitbuch schildern die beteiligten Forscher anschaulich, wie Biologen, Bauingenieure und Materialwissenschaftler gemeinsam vom „Ideengeber“ Wasserrad zunächst zum Computer-Modell und dann zum Prototypen für eine neuartige Verschattungtechnik kommen. Sie geben dabei Einblicke in die laufende Forschung sowohl der Biologen als auch der Ingenieure – ein für eine Ausstellung durchaus ungewöhnlicher Ansatz. „Wir wollen mit dieser Ausstellung nicht nur die Ergebnisse wissenschaftlich transparent darstellen, sondern auch den Weg, der dorthin führt“, betont Johanna Eders, die Leiterin des Museums.

Bemerkenswert ist außerdem, dass das Naturkundemuseum sowohl mit seiner biologischen Forschung als auch mit dieser Ausstellung Teil des großen Sonderforschungsbereiches „Biologisches Design und integrative Strukturen“ ist. An diesem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt sind insgesamt 15 interdisziplinäre Forschungsgruppen an den Universitäten Stuttgart, Freiburg und Tübingen, dem Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Bauphysik sowie dem Naturkundemuseum beteiligt.