Die Sonderschau „Schamlos?“ im Theodor-Heuss-Haus widmet sich der „Sexualmoral im Wandel“. Sie geht dabei auch auf die Geschlechterrollen ein.

Stuttgart-Nord - Jede Generation hat ihre Aufreger: „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef sorgte in den 1950ern für einen Aufschrei der Empörung. Dann kamen die Pille, die Studentenrevolution und Oswald Kolle, und die Prüderie war Schnee von gestern – vorerst. Wie schnell das gehen kann, zeigt nun die Sonderschau „Schamlos? Sexualmoral im Wandel“ im Theodor-Heuss-Haus. Stuttgart ist die erste Station der Wanderausstellung, die durch lokales Material ergänzt wird. Wie sich zeigt, ist Sexualmoral ein weites Feld – zum Denkanstoß gereichen die handverlesenen Exponate aber alle Mal.

 

Denn das Theodor-Heuss-Haus wäre nicht das Theodor-Heuss-Haus, wären die Ausstellungsstücke nicht auch beredte Zeugnisse ihrer Zeit. Besonders deutlich wird das bei den Geschlechterrollen, die für BRD und DDR gesondert dargestellt werden. Während draußen das Wirtschaftswunderland blüht, sind die Frauen im Westen an den Herd zurückgekehrt, dafür sorgte auch die Rechtsprechung: Verheiratete Frauen verloren ihre Arbeit, sie waren ja versorgt. Die SED warb zeitgleich in einer anderen Welt mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Wobei es auch in der DDR nur darum ging, in die gesellschaftliche Norm zu passen, die fein säuberlich im „Sittlichkeitsratgeber“ definiert war.

Ausstellung garantiert „Weißt Du noch?“-Momente

Interessant ist der Rundgang auch, weil mit ihm eine Mahnung einhergeht: Jede Entwicklung ging augenscheinlich mit einer Gegenbewegung einher. Auf die sexuelle Befreiung folgte Aids und die erneute Stigmatisierung von Homosexualität. Nach der Wende verschwanden die Kinderkrippen aus dem Alltag, „Schlüsselkinder“ schauten traurig von Plakaten und das Frauenbild war zunehmend rückwärts gewandt: Heute verdienen Frauen immer noch deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen und die aktuelle Diskussion um sexuelle Übergriffe beweist, dass längst noch nicht alles klar ist zwischen den Geschlechtern.

Andererseits garantiert die Ausstellung echte „Weißt Du noch?“-Momente: Das Fernsehduell von Alice Schwarzer und Verona Feldbusch im Jahr 2001 ist so ein Meilenstein. Die original Lila-Latzhose mit den feministischen Buttons war das Symbol der Frauenbewegung. Dazu kommen Zeitschriftentitel wie Streiflichter der Mediengeschichte. Und die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ hat auch schon mal beim Western-Comic über das Ziel hinaus geschossen, buchstäblich.

Geschlechterrollen im Hause Heuss

In der ständigen Ausstellung entdeckt man auch, wie man es eigentlich im Hause Heuss mit den Geschlechterrollen seiner Zeit hielt: Elly Heuss-Knapp unterrichtete auch als verheiratete Frau, warb für das Frauenwahlrecht und kandidierte 1918/19 auch selbst für die Nationalversammlung. In einer Zeichnung koordiniert sie entspannt, was in der Sonderausstellung später zum Spagat wird: Die Frau zerreißt sich zwischen Familie und Beruf und der Mann kommentiert das mit „Du wolltest es ja nicht anders“. Die Museumspädagogin Christiane Ketterle weist darauf hin, dass die Ausstellung für Besucher ab 12 Jahren freigegeben ist; für das Medienterminal, in dem Aufklärungsfilme auf „50 Shades of Grey“ treffen, müssen Erwachsene einen Zugangscode am Empfang holen. „Klar weiß ich, dass Kinder das alles problemlos im Internet finden“, sagt sie, aber man sei sich seinem Auftrag im Theodor-Heuss-Haus bewusst. Insbesondere in Sachen „Sexualmoral im Wandel“.

Info Die Sonderausstellung im Theodor-Heuss-Haus, Feuerbacher Weg 46, ist bis 8. April 2018 dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Am 19. November findet von 10 bis 18 Uhr der Familientag „Ich bin ich und du bist du” statt, mit Führungen für Erwachsene und kreativem Kinderprogramm. Am 26. November gibt es von 14 Uhr an eine offene Führung durch die Sonderausstellung. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.stiftung-heuss-haus.de.