Die Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall zeigt unter dem Motto „Mexicanidad“ Bilder aus Mexiko.

Schwäbisch Hall - M exiko ist mehr als Frida Kahlo: Mit fünf Künstlern stellt die Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall die moderne Kunst dieses Schwellenlandes vor, das sich im 20. Jahrhundert aus indianischen und spanisch-mediterranen Elementen neu erschuf. Gut dreihundert Werke aller traditionellen Gattungen geben Einblick in eine farbenfrohe Welt, hinter der sich eindringliches Nachdenken verbirgt. Dieses Mexiko entfaltet ein Fest für die Augen und beweist zugleich, dass es das Menschsein mehr und anders umfasst, als Europa es wahrhaben will.

 

Mit Diego Rivera (1886–1957) begann die Wiedergeburt Mexikos aus dem Geist der Kunst. Nach solider akademischer Ausbildung reiste der Hochbegabte von 1906 an durch Europa und reüssierte im Handumdrehen in allen zeitgenössischen Stilen, von den beseelten Naturformen Cézannes über den Fauvismus bis zum Kubismus der Pariser Freunde. Dabei verliert er nie sein kolossales Eigengewicht und seine sicher zupackende Farbigkeit („Bauernhöfe“, Öl auf Leinwand, 1914; „Stilleben“ 1917). Die revolutionäre Regierung rief 1921 Rivera, den bekennenden (doch bald dissidenten) Kommunisten, aus Europa zurück: seine Bilder sollten nationale Begeisterung verbreiten und seine Malergenossen mitziehen.

Er verdankt der italienischen Frührenaissance viel

Tatsächlich kam die von Rivera inspirierte Schule des „Muralismo“, der monumentalen Freskomalerei im öffentlichen Raum, zu Weltruhm. An mehreren Motiven, die als Lithografien verbreitet wurden, fällt ins Auge, wie viel er dabei dem Studium der italienischen Frührenaissance verdankt. Menschenzüge dringen aus tiefem Bildraum auf uns zu; die „Lehrerin auf dem Land“ sitzt im staunenden Kreis, als wäre es Jesus im Tempel; und „Mutter und Kinder“ schmiegen sich zur klassischen Pyramidenform (1934). Mühelos weiß der Maler plastische Eindringlichkeit mit heiterer Anmut zu verbinden, wie einst Paolo Uccello. Aus dessen geordnetem Gewimmel scheint der perspektivisch wohlverkürzte Schimmel direkt zum Bauernführer Zapata gesprungen zu sein (1932). Stets spielt Rivera mit formalen Echos („Kohlverkäufer“ 1956), und so ist seine politische Kunst viel raffinierter als der „sozialistische Realismus“ sowjetischer Prägung.

Auch als Porträtmaler hat Rivera nichts verlernt, seit er 1909 im „Pikador“ eine paradigmatische Verkörperung selbstbewusster, tatkräftiger Männlichkeit schuf. Als er 1942 die schöne Frau des Filmproduzenten und Sammlers Gelman porträtiert, gießt er die schlanke Rotblonde diagonal aufs Sofa über den ganzen Bildraum. Ihr bodenlanges weißes Kleid, bis zum Knie geschlitzt, öffnet sich ebenso oval und lasziv wie die um sie herum drapierten Callas: ein Sexsymbol, neben der Madame Recamier wie eine keusche Vestalin erblasst.

Frida Kahlo (1907–1954), seit 1929 mit Rivera in turbulenter Ehe verbunden, war von dieser Huldigung wenig erbaut. Auf ihrem Porträt (1943) ist Natasha Gelman vor Missmut kaum wiederzuerkennen. Der teure Pelz, die Diamantohrringe, die aufgestylten Locken, das kontrastarme Beige, der leere Hintergrund, alles symbolisiert kalten Protz und Macht. Distanziert erscheint auch ihre Freundin Alicia Galant, auf dem, wie Kahlo angab, „ersten professionellen“ Porträt von ihrer Hand (1929): hier aber ist es die Distanz einer ätherischen Erscheinung in der Tradition des Manierismus, mit überlängten Proportionen und gesuchten, in aubergine- und schwarz-türkisen Nuancen changierenden Farben. Viel näher heran holt sie Dona Rosita Morillo (1944), die mit dem Strickzeug vor blühende Kakteen gesetzt ist und in erdigen Farben und weißem Haar stille Würde verströmt. Kahlos zentrale Selbstporträts inszenieren ihr Leben als Kunstwerk. Sie feiert das indianische Erbe, ihre Liebe, aber auch die Schmerzen. Die Bilder spannen sich zwischen therapeutischer Selbstfindung und surrealistischer Beschwörung, was ebenso zu ihrer mythischen posthumen Karriere beitrug wie Kahlos existenzialistische Selbstbestimmtheit.

Eine expressive Wirklichkeit der Farbe

Rufino Tamayo (1899–1991) eröffnet eine wesentlich lyrische Weltsicht, eine sensitiv erspürte, expressive Wirklichkeit der Farbe. Wie kleine Diamanten strahlen die „Himmelskörper“ (1946) in einem kristallgleichen Gittergerüst, das den Mikro- und Makrokosmos der Natur verbindet. Die europäische Trennung von Subjekt und Objekt hat sich mit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs erledigt. Vielmehr betonen Farb- und Formkorrespondenzen die Verwandtschaft aller Natur. Sogar die „Zuckermühlen von Veracruz“ (1966) teilen die Poesie von Tamayos hochdifferenzierter Violettpalette, und sein Porträt von Natasha Gelman (1948) entrückt sie in träumerische Abwesenheit.

Der 1940 geborene Francisco Toledo, heute der wichtigste mexikanische Künstler, zehrt von seiner zapotekischen Indioherkunft. Seine tiefsinnige Tiermythologie demonstriert vom Aquarell über Keramik bis zur Skulptur die Überlebenskraft der animalischen Geschöpflichkeit, die von Geist und Macht unterschätzt wird. In warmen Ockertönen und festlichem Blau preist er den Eros und das alle künstlichen Grenzen überschreitende Leben.

Adolfo Riestra (1944–1989) befreit Mexikos Kunst erneut. Die westliche Moderne hatte die endlich wiederentdeckte präkolumbische Kunst rein ästhetisch gewürdigt, als wären es Formen ohne historischen Gehalt. Riestra aber glorifiziert die Sinnstiftung der aztekischen Vergangenheit. In experimenteller Steigerung des Kunsthandwerks baut er große Statuen ohne tragendes Gerüst aus Tonwülsten auf (Churrito-Frau mit erhobenen Armen, 1982). Er schließt an die uralten, teils naturnahen, teils geometrisierten Figurengefäße an und formt außerdem Gestalten in Trance, deren runde Münder zugleich schreien, singen und weinen.