Die neue Ausstellung im Muse-O in Gablenberg erzählt Geschichten aus der Textilherstellung im Stadtbezirk Stuttgart-Ost. Die Strickwarenfabrik Kübler beschäftigte in ihren besten Zeiten bis zu 1500 Menschen. Zusätzlich gab es im Osten um 1955 fast 230 Schneidereien.

S-Ost - Stuttgarts berühmtestes „tapfere Schneiderlein“ hat seine Wurzeln im Osten. Es ist Rudolf Kreitlein, der seine erste Schneiderei bis 1956 in der Wunnensteinstraße 50 in Gablenberg betrieb. Später zog Kreitlein nach Degerloch – so richtig berühmt wurde er aber nicht wegen seiner modischen Kreationen, sondern vor allem wegen seiner Nebentätigkeit als Schiedsrichter. Bei der Fußball-WM 1966 in England pfiff Kreitlein das Viertelfinalspiel zwischen England und Argentinien, das turbulent verlief. Als er Argentiniens Kapitän Antonio Rattin vom Platz stellen wollte, brauchte er dafür die Hilfe der Polizei. Einen Tag nach dem Skandalspiel erfanden Kreitlein und der Schiedsrichterbetreuer Ken Aston die Gelbe und die Rote Karte.

 

Das ist eine der vielen Geschichten, die in der neuen Ausstellung im Stadtteilmuseum Muse-O in Gablenberg erzählt werden. Die Schau trägt den Titel „Für Kleider leben“ und versucht, einen Überblick über die Textilherstellung im Stuttgarter Osten zu geben. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre war Stuttgart ein großes Textilzentrum. Der Schwerpunkt der Produktion war in Stuttgart-Ost.

230 Schneidereien im Osten

In der Hochzeit des Schneiderhandwerks um das Jahr 1955 herum existierten es im Osten fast 230 große und kleine Schneidereien. Wichtige Arbeitgeber waren außerdem die großen Trikot-, Korsett- und später Textilfabriken. Julius Schmidt & Cie. (Isco) in der Haußmannstraße beschäftigte in Glanzzeiten 500 Mitarbeiter, Kübler an der Ostendstraße sogar bis zu 1500 Menschen.

Der größte Textilhersteller in Stuttgart-Ost war die Strickwarenfabrik Paul Kübler & Co. Das spätere Großunternehmen erwuchs Anfang des 20. Jahrhunderts aus einer kleinen Strickerei, die mit Knabenanzügen erfolgreich war. Nach Stationen in der Kronprinz-, der Silberburg- und der Wilhelmstraße wurde im Jahr 1910 ein vom Untertürkheimer Architekten Heinrich Maas entworfener Neubau in der Ostend-straße 106 bezogen.

Die gute Qualität wurde zum Verhängnis

Das wichtigste wirtschaftliche Standbein von Kübler war von etwa 1920 bis zur Schließung der Produktion im Jahr 1973 die berühmte Hanna-Unterhose. Einen Namen machte sich Kübler allerdings auch durch die schon Ende der 1920er Jahre begonnene Produktion von Damenkleidern. Hochwertige Kleidung von der Stange war damals ein Wagnis, weil das Bekleidungsverhalten der Menschen bis in die 1960er Jahre hinein ganz anders war als heute. Wer damals gut gekleidet sein wollte, ging nicht etwa ins Kaufhaus, sondern zum Schneider. So erklärt sich auch die hohe Zahl an Schneidereien bis zu dieser Zeit nicht nur in Stuttgart. Kübler wagte es trotzdem und hatte damit auch Erfolg. Zum Verhängnis wurde dem Unternehmen am Ende die hohe Qualität und damit auch Haltbarkeit der eigenen Produkte. Billigimporte aus Italien setzten der Branche zu. Schon in den 1960er Jahren wurde Kurzarbeit eingeführt, doch 1973 war die Schließung besiegelt.

Das Gebäude der Strickwarenfabrik in der Ostendstraße gibt es heute noch und ist als Kübler-Areal bekannt. In den einstigen Nähmaschinensälen arbeiten heute unter anderem die Kreativen des Studios Pixomondo, das im vergangenen Jahr für die visuellen Effekte in dem Kinofilm „Hugo Cabret“ einen Oscar bekommen hat.

Infos zur Ausstellung

Kooperation
Die Ausstellung „Für Kleider leben“ wurde von Gabriele Bauer-Feigel für den Museumsverein Ost recherchiert und erarbeitet. Bauer-Feigel betreibt in Granheim auf der Schwäbischen Alb das kleine Mode-Museum Feigel (www.modemuseum-feigel.de).

Öffnungszeiten
Die Eröffnung ist am Sonntag, 18. November, um 16 Uhr, im Muse-O, Gablenberger Hauptstraße 130. Geöffnet ist samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr (www.muse-o.de). Der Eintritt kostet 2 Euro.