Maria Speck stellt in der Stadtteilbibliothek in Stuttgart-Stammheim aus und kommt dabei der Welt zwischen den Zeilen auf die Spur.

Stammheim - Man liest auf dem Tablet oder auf dem eReader, aber für die meisten Menschen ist es undenkbar, ein Buch wegzuwerfen oder auch nur zu beschädigen. Weil es einfach mehr ist als die Summe seiner Buchstaben und Seiten. In der Stammheimer Stadtteilbibliothek stellt Maria Speck nun Arbeiten zwischen Buchobjekt und Scherenschnitt aus und nimmt mit in eine Welt jenseits des Satzspiegels. In der Löwenzahn zu einem Symbol der Vergänglichkeit wird und das eigentlich Wichtige ausgerechnet in den Wortabständen wohnt.

 

Von der ersten Sekunde an fällt die merkwürdig schwebende Atmosphäre in Maria Specks erster Einzelausstellung auf. Stürzt und vergeht hier etwas, oder steigt es empor, federleicht? Im Obergeschoss der Stadtteilbibliothek entdeckt man den Lebenszyklus eines Löwenzahns: Blätter, Blüten, Pusteblumen, die Samen an ihren Schirmchen. Nur, dass alles unwirklich auf den Kopf gestellt ist. Überdies hat die in Stammheim ansässige Kunstlehrerin die Bilddetails in der Scherenschnitt-Technik und aus zweierlei Papiergrund herausgearbeitet und miteinander verwoben. Aus Hintergrund wird Vordergrund und umgekehrt – und aus „Fallen“, so der Bildtitel, wird Entschweben.

Exponate im Treppenhaus

Einige Arbeiten feiern die Sprache, wie der Scherenschnitt eines Gedichts von Rose Ausländer, – und andere gerade das, was zwischen den Wörtern unsichtbar bleibt. Den Ausschlag gab ein Zitat aus den Tagebüchern von Max Frisch: „Was wichtig ist, ist das Unsagbare, das Weiße zwischen den Worten“ heißt es da, und „Die Sprache ist wie ein Meißel, der alles weghaut, was nicht Geheimnis ist, und alles Sagen ist Entfernen“. Maria Speck hat, wie in einer archäologischen Ausgrabung, das Drumherum um die Buchstaben freigelegt, teilweise nach Form und Größe geordnet und in Schaukästen zusammengestellt.

Schon im Treppenhaus ist man zuvor auf einzelne Buchseiten gestoßen, deren Zuschnitt die Stufen der Ausstellungsumgebung widerspiegeln: Aus den oft trivialen Texten hat Maria Speck nur wenige Worte stehen lassen, mit eigentümlich poetischer Aussage: „Alles schief“ ist geblieben, „Ach“ und „Mensch“. Manchmal hält der Satzspiegel noch alles zusammen, manchmal sind auch diese Grenzen aufgehoben und das Ergebnis wirkt umso luftiger. Das Arbeiten mit Büchern, die oft aus dem Flohmarktregal der Stammheimer Bibliothek stammen und nun quasi wieder heimkehren, sei aber durchaus eine Gradwanderung, und werde von so manchem auch als Frevel wahrgenommen. Maria Speck betont, es gehe aber nicht darum, Unschönes einfach zu zensieren und wegzuschneiden. Vielmehr gehe es um eine Verdichtung und um „eine respektvolle Reduktion des Sprachmaterials“. In anderen Worten: Bitte nicht zu Hause oder mit dem Büchereibestand probieren.

Drei Mal für Ausstellung angefragt

Und noch einen Zwischenraum überbrückt die Werkschau: die leitungsfreie Zeit der Stadtteilbibliothek nach dem völlig überraschenden Tod von Leiterin Pia Fielbrandt. Bei ihr hatte Maria Speck zum ersten Mal nach einer Ausstellung gefragt und dabei eine weitere, kunstfertig beschnittene Seite vorgelegt: „Was fehlt dir?“, fragte dieses Blatt, und, weiter unten: „Nichts, gar nichts eilt.“ Noch zwei Mal musste sie sich vorstellen, bei Stellvertreter Peter Marus und nun bei der neuen Leiterin Caroline Föll. Jedes Mal rannte sie mit ihren Wort-Ausgrabungen offene Türen ein und präsentiert sie nun auch öffentlich – ein Glück.

Info Die Ausstellung „Zwischen-Wort und -Raum“ ist bis 27. April in der Stadtteilbibliothek Stammheim, Kornwestheimer Straße 7, zu sehen. Geöffnet ist dienstags bis freitags von 14 bis 19 Uhr sowie an den Samstagen von 10 bis 13 Uhr.