Ist es wichtig zu wissen, ob ein Architekt schwul oder eine Architektin lesbisch ist? Eine Ausstellung in Stuttgart und ein umfangreiches Buchprojekt sagen: Aber sicher! Über das Coming-out der Architektur und die Debatte über „Gay Architects“.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Architekten sind schon ein besonderes Völkchen. Einerseits ist es ihnen sehr wichtig, als kreative Schöpfer ihrer Bauten und Werke mit ganzer Persönlichkeit wahrgenommen zu werden. Aber wenn es um die Frage geht, ob der eigene Kollege schwul oder die Kollegin lesbisch ist, reagieren viele eher abwehrend: Ist das nicht zu privat? Ist das wirklich relevant? Hat das denn irgendwas mit der Arbeit zu tun?

 

Die aktuelle Ausstellung in der Stuttgarter Galerie Wechselraum des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten macht just diese Fragen zum Thema – wobei der Titel „Das Coming-out der Architektur“ auf eine provokante Weise aber doch nicht eingelöst wird. Denn das internationale Architektenkollektiv, das hier ausstellt, bleibt letztlich doch anonym und ist nur unter Künstler-Sammelnamen aktiv: The Queer Architect.

Eher eine Kunstaktion als eine Themenausstellung

Uwe Bresan, einer der Initiatoren der Ausstellung, berichtet von anhaltender Diskriminierung schwuler Mitarbeiter oder lesbischer Mitarbeiterinnen in vielen Büros – Grund sei die Angst vor möglicher ablehnender Reaktion bei potenziellen Bauherren oder im Alltag auf der Baustelle mit den Handwerkern. Die Schau im Wechselraum muss demnach im Gegensatz zu den anderen Projekten und Themen, die sonst hier verhandelt werden, zunächst einmal das Unsichtbare sichtbar machen und das Anonyme beim Namen nennen. Sie ist darum eher Kunstaktion und Installation als die übliche Werkschau: The Queer Architect kombinieren Ansichten berühmter Bauten oder bekannter Stadtansichten mit erotischen Bildmotiven und verfremden so das scheinbar Bekannte zu etwas neu zu Entdeckendem.

Die Ausstellungsmacher Iassen Markov und Julian Friedauer wiederum drapieren dies auf knallfarbigen Fantasie-Baumodellen und erweitern die Perspektive so um eine entscheidende Frage: Queere Architektinnen und Architekten wird es mit Sicherheit überall in den Büros dieser Welt geben. Aber gibt es darum auch eine spezifisch queere Architektur?

Prominentes Personal

Hier verspricht ein quasi als Katalog dienendes neues Sachbuch Aufschluss, das Uwe Bresan gemeinsam mit dem Frankfurter Architekturhistoriker Wolfgang Voigt herausgegeben hat: „Verborgene Räume, verschwiegene Biografien“ versammelt eine höchst stattliche Reihe queerer Architekten „vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“, vom Schöpfer der Wiener Hofoper, Eduard van der Nüll, über die überhaupt allererste als Frau in Deutschland tätige Architektin Emilie Winkelmann bis hin zu den beiden Hamburg prägenden Stadtbauräten Fritz Schumacher und Gustav Oelsner. Dabei ist das Ziel des Buches, „Role Models“ vorzustellen, also hier und heute aktiven queeren Architekten Vorbilder als Orientierung für ihr eigenes Selbstbewusstsein zu liefern – dieses Outing-Modell begleitet die schwule und lesbische Emanzipationsdebatte in Deutschland seit den 1990er Jahren. Was die Autoren dagegen widerlegen wollen, ist die Vorstellung, es gäbe tatsächlich einen spezifisch queeren Baustil – dagegen spreche gerade die ungeheure Breite der Formensprache bei den im Buch vorgestellten Architekten: „Es wäre naiv anzunehmen, man könne einem Gebäude oder einem Interieur ansehen, welche sexuelle oder bloß geschlechtliche Identität sein Entwerfer besitzt oder besaß.“

Man ahnt, dass die Debatte darüber damit eher eröffnet als bereits beendet ist.

Die Ausstellung und das Buch

Sc hau Die Ausstellung ist noch bis zum 26. September zu sehen im BDA-Wechselraum, Friedrichstraße 5, S-Mitte, Di–Fr 15–18 Uhr.

Buch
Zur Finissage am 26. 9. stellen Wolfgang Voigt und Uwe Bresan um 19 Uhr ihr Buch vor: „Schwule Architekten/Gay Architects“; Verlag Wasmuth & Zohlen, Berlin. 304 Seiten, 39,80 Euro.