Frankfurt ist in den 1920er Jahren ein Gravitationszentrum des Aufbruchs gewesen, steht aber bis heute im Schatten des Bauhauses. Eine Schau im Deutschen Architekturmuseum und die aktuelle Krise auf dem Wohnungsmarkt holen es jetzt ins Licht.

Frankfurt - Ein ironischer Zufall will es, dass im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zurzeit zwei Ausstellungen zusammentreffen, die deutsche Geschichte wie in einer Nussschale präsentieren: unten die Schau über das neue Alte Frankfurt, ein Stock darüber die Ausstellung über das alte Neue Frankfurt. Im Erdgeschoss wird gezeigt, wie die Stadt die Verwüstungen durch Krieg und Nachkriegsmoderne mit einer teilrekonstruierten Altstadt kuriert hat. 2018 stand Frankfurt mit diesem groß angelegten Stadtreparatur-Experiment bundesweit im Fokus der Aufmerksamkeit und einer zuweilen schrillen Debatte über die Legitimität solcher Rückholungen von Geschichte. In diesem Jahr nun rücken gleich drei Frankfurter Museen – neben dem Architekturmuseum auch das Museum für Angewandte Kunst und das Historische Museum – in einer gemeinsamen Initiative zum Bauhaus-Jubiläum die tragende Rolle in den Blick, die die Mainmetropole beim Aufbruch in die Moderne spielte.

 

Aus heutiger Sicht steht das Neue Frankfurt allerdings im Schatten des mythisch verklärten Bauhauses, das zu seinem hundertsten Geburtstag allenthalben als die alleinige Geburtsstätte einer globalen Kultur der Moderne glorifiziert wird. Doch neben Weimar und Dessau gab es in den zwanziger Jahren noch ein anderes Gravitationszentrum der Erneuerung: eben Frankfurt, wo ein tatkräftiger Oberbürgermeister und sein ebenso zupackender Baudezernent Maßstäbe im Siedlungsbau setzten. Es könnte sehr gut sein, dass die Pioniere vom Main angesichts der aktuellen Demonstrationen gegen Wuchermieten und Wohnungsmangel, von Hausbesetzungen und Forderungen, die Immobilienkonzerne zu enteignen, wieder mehr öffentliche Beachtung erfahren. Dass Politiker und Leitartikler es sich zu leicht machen, die Rufe nach Vergesellschaftung von Grund- und Wohneigentum zu verteufeln oder gar die Forderung erheben, den Enteignungsparagrafen im Grundgesetz zu kassieren, weil die scheuen Investoren sonst verschreckt und keine neuen Wohnungen mehr gebaut würden – auch das kann man vom alten Neuen Frankfurt lernen. Das kapitalistische Monopoly-Spiel ist nicht alternativlos.

Architekt der Stuttgarter Markthalle

Wolfgang Voigt, zusammen mit Dorothea Deschermeier Kurator der Ausstellung „Neuer Mensch, neue Wohnung – Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925-1933“, unterstreicht, dass die Stadt „kein Planet des Bauhauses“ gewesen sei, „sondern ein eigener Stern mit eigener starker Energie“. Dessen Protagonisten lernt man gleich am Eingang der Schau kennen: Ludwig Landmann, von 1924 bis 1933 Oberbürgermeister der Stadt und politischer Wegbereiter des Neuen Frankfurt, und daneben Ernst May, mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteter Leiter des Hochbauamts und Architekt der baulichen und sozialen Umgestaltung Frankfurts zur exemplarischen Großstadt der Moderne. Das Foto zeigt ihn mit breitem Lachen und Fliege, der damals unverzichtbaren Insignie seiner Profession – unverkennbar ein Ärmelhochkrempler und Macher par excellence.

Zur Seite stand ihm Martin Elsaesser, Architekt der Stuttgarter Markthalle und ehemaliger Professor der TH Stuttgart, den Landmann als Stadtbaudirektor berief und mit der Leitung der Abteilung E – Großbauten betraute. Hinzu kam eine schlagkräftige Truppe von Mitarbeitern, jungen, avantgardistisch gesinnten Architekten aus dem In- und Ausland, die das ehrgeizige Wohnungsbauprogramm von Mays Superbehörde in die Tat umzusetzen halfen.

Denn das war das vorrangige Ziel: auf die drückende Wohnungsnot der Nachkriegszeit mit einem städtischen Bauprogramm zu reagieren, das innerhalb von zehn Jahren die Errichtung von 10000 neuen Wohnungen für Arbeiter und kleine Angestellte vorsah, die übrigens nicht selten aus der baufälligen Altstadt kamen, heute nagelneuer Wohnort mit Romantikfaktor für Besserverdiener. Tatsächlich wurden unter Mays Regie sogar 12000 Einheiten gebaut. Rückblickend musste Walter Gropius, der Gründungsdirektor des Bauhauses, zugeben: „Während wir, seine Kollegen, im wesentlichen an den neuen Theorien und nur auf dem Papier arbeiten konnten, verstand es May, die Macht der öffentlichen Stellung mit großem Mut für die Verwirklichung der neuen Ideen zu nutzen.“

1933 war Schluss

Masse und Klasse schlossen sich im Neuen Frankfurt dabei nicht aus, im Gegenteil. Vor allem die in den Anfangsjahren auf den Reißbrettern des Hochbauamts entstandenen und in fabelhaften Holzmodellen zu sehenden Siedlungen wie die Römerstadt mit ihren langen, geschwungenen Linien aus standardisierten Reihenhäusern sind in die Landschaft geradezu spielerisch hineinkomponiert. In Niederrad, wegen seiner gestaffelten Baukörper bekannt als Zickzackhausen, waren die Häuser mit Sonnenterrassen und mit der von Margarete Schütte-Lihotzky entwickelten Frankfurter Küche ausgestattet. Im Innenhof konnten die Kinder im Sommer planschen, es gab eine zentrale Wäscherei und eine eigene Radiostation.

Wirtschaftskrise und steigende Baukosten erschwerten zu Beginn der dreißiger Jahre die Arbeit jedoch zunehmend. Da halfen dann auch die schematische Zeilenbauweise wie in Westhausen, industrielle Vorfertigung der Bauteile und Typisierung der Grundrisse nicht mehr viel. Und 1933 war ohnehin Schluss. Landmann wurde von den Nazis ins Exil getrieben, wo er 1945 den Hungertod starb, Ernst May war schon vorher zusammen mit einigen Mitarbeitern seiner Behörde einer Einladung in die Sowjetunion gefolgt und dann nach Afrika emigriert.

Vom Neuen Frankfurt lernen!

Hält das Neue Frankfurt Lehren für die Gegenwart bereit? Mit spekulativ kletternden Bodenpreisen hatte auch May schon zu kämpfen, er aber verfügte über das Mittel der Landenteignung. Heute ist das den Städten weitgehend verwehrt, doch solange eine aktive Liegenschaftspolitik den Grund und Boden nicht dem Markt entzieht, solange Erbbaurecht und Bodenfonds, Modelle genossenschaftlichen und gemeinnützigen Wohnens nur Ausnahmefälle bleiben, kann noch so viel gebaut werden, ohne dass es ein Entrinnen aus dem Spekulationskreislauf gibt.

Das Neue Frankfurt taugt daher auch heute noch sehr wohl als Vorbild für die umfassende politische Initiative einer Kommune in einer Situation dramatischen Wohnungsmangels. Die Stadt hat darum unter der Überschrift „Wohnen für alle – Das Neue Frankfurt 2019“ eine Initiative gestartet, mit der sie an ihre glorreiche Baugeschichte anknüpfen will. Auf dem Hilgenfeld im Frankfurter Norden soll ein neuer Stadtteil mit 850 Wohnungen entstehen, wo die preisgekrönten Entwürfe eines Wettbewerbs für bezahlbares Wohnen realisiert werden. 40 Prozent beträgt darin der Anteil des geförderten Wohnraums, 15 Prozent der Anteil der genossenschaftlichen Projekte. Die Wettbewerbsarbeiten stellt das Deutsche Architekturmuseum jetzt in einer weiteren Ausstellung vor. Frankfurt gestern – heute – morgen: wahrhaftig ein flotter Dreier!

„Neuer Mensch, neue Wohnung – Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925-1933“, bis 18. August. „Wohnen für alle – Das Neue Frankfurt 2019“, 13. April bis 23. Juni. „Die immer neue Altstadt – Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900“, bis 12. Mai. Alle Ausstellungen im Deutschen Architekturmuseum, geöffnet Di – So 11 – 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr.