Drei Stuttgarter erkunden, wie der Punk in die Stadt kam und was davon übrig ist. Für ihre Schau haben sie ganz tief in den Archiven gewühlt und zeigen eine Jugendkultur, die der Stadt auf ganz eigene Weise den Spiegel vorhält – bis heute.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Punks? Das sind doch die Typen in Lederjacken, die am Kleinen Schlossplatz Passanten belästigt haben und in besetzten Häusern wohnten. Und da gibt’s doch diese Bands, Wizo und Normahl. Viel mehr dürfte den meisten zum Stichwort „Punk in Stuttgart“ kaum einfallen.

 

Norbert Prothmann, Barny Schmidt und Simon Steiner wollen das ändern – mit ihrer Ausstellung „Wie der Punk nach Stuttgart kam“, die am Freitag im Württembergischen Kunstverein eröffnet. Es ist der erste Versuch, diesen Teil der regionalen Musikgeschichte konzentriert festzuhalten. Zur Ausstellung erscheinen in der Edition Randgruppe ein Buch und auf dem Plattenlabel Incognito Records eine Zusammenstellung mit gut vierzig Songs aus dieser Zeit. Dazu ist ein mehrtägiges Festival mit Bands von damals und heute geplant.

Warum aber sollte man sich mit der lokalen Ausprägung einer aus England importierten Subkultur beschäftigen, die etwa in Berlin oder Hamburg viel sichtbarer wurde als in Stuttgart?

Eine Antwort: die Art und Weise, wie vor allem junge Männer in der Region Stuttgart sich die rohe, oft mit einfachsten Mitteln erzeugte Ästhetik von Punk angeeignet haben, wirkt in der Rückschau so faszinierend wie fremd. Auf dem Sampler zur Ausstellung schnarrt etwa der Sänger von Ätzer 81 in „Stuttgart Kaputtgart“ stark schwäbelnd „Betonstadt, Betonstadt, ich hab deine Mauern satt!“

Die Herbärds zersägen in „Arbeitslos“ aus 1983 erst im Stile eines Jimmy Hendrix das Deutschlandlied und grölen danach eine biergetränkte Hymne auf das Leben der Erwerbslosen – von denen es selbst in den damals schwierigen Zeiten in Stuttgart nur vergleichsweise wenige gab.

Die Gruppe Dreimalcurrywurstundpommes skandiert in einem Livemitschnitt immerfort „Bitte geh weiter, lieb’ mich nicht“ und bringen das Publikum zunehmend gegen sich auf. Was nach einer Kunstperformance in irgendeiner großstädtischen Galerie klingt, wurde 1981 in Weilheim aufgenommen.

Ein neuer Blick auf Stuttgart

Solche Aufnahmen und die in der Ausstellung gezeigten Magazine, Plakate und Bilder sollen dem Blick auf das Stuttgart der Jahre 1977 bis 1983 – darauf beschränkt sich die Schau – einen neuen Aspekt hinzufügen. Die damalige Punkszene wurde von der Stadt geprägt und hielt ihr zugleich den Spiegel vor. Punk war das gelebte Dagegensein in einer zumindest für Heranwachsende öden Gegend: überall nur Konformität und Materialismus – und in den Jugendhäusern bekifft-lethargische Hippies. „Stuttgart brennt vor Langeweile“ steht auf einem Schild, das der Normahl-Sänger Lars Behsa auf der Königstraße in die Kamera hält. Der Fotograf ist Germar Rehlinger, der einst per Kleinanzeige im „Musikexpress“ Gleichgesinnte suchte und so die Szene mitgründete.

Bruddeln und selber machen – so unähnlich sind sich Schwaben und Punks nicht, findet Simon Steiner. Die Stuttgarter Punks haben eben nicht nur gemeckert und, wie der Ausstellungsmacher sagt, „Mülleimer vollgepinkelt“. Sie haben auch mit selbst gemachten Konzerten und Szenemedien gegen die Langeweile angekämpft. Nicht zuletzt, so Steiner, „waren viele Songtexte kokettierend politisch“. Auf viel Gegenliebe stießen die Punks, die zwischen Karlsplatz, Kleinem Schlossplatz und der „Spinne“ auf dem Unigelände ihre Anti-Ästhetik zur Schau stellten, nicht: „Auf der Straße bekamen wir Sprüche zu hören, die das Wort ‘vergasen’ enthielten“, erinnert sich Germar Rehlinger. „In manchen Ecken Stuttgarts brauchtest du dich als Punk nicht blicken lassen“, ergänzt Norbert Prothmann.

Kein Wunder, dass vom Punk in Stuttgart nur wenige Stuttgarter etwas mitbekamen: „Wenn irgendwo ein Konzert stattfand, hat sich das meistens am Kleinen Schlossplatz herumgesprochen und alle sind dann dorthin gefahren“, erinnert sich Prothmann. Plattenveröffentlichungen waren die Ausnahme; vielleicht konnte man ein paar Kassetten direkt bei den Bands kaufen. Mit ganz viel Glück ließ Stefan Siller einen während seiner Montagabendsendung „Schlafrock“ ins SWR-Funkhaus ein und ließ spontan eine der Kassetten im Radio laufen.

Flippern mit den Stuttgart-Punks

Es war Simon Steiners Impuls, die Anfänge von Punk in Stuttgart näher zu beleuchten. Das hatte er schon Anfang der Achtzigerjahre für seine Zulassungsarbeit getan; nach seiner Pensionierung griff der Lehrer das Thema wieder auf. Allerdings war Steiner gar kein Punk – keine Kleinigkeit in einer Zeit, in der sich Jugendkulturen deutlich voneinander abgrenzten. „Ich habe zu den Punks aufgeschaut“, erinnert sich der mit 63 Jahren Älteste im Kuratorenteam, „immerhin durfte ich ab und zu mit ihnen flippern“. Noch heute, nach rund 100 Interviews mit Mitgliedern der damaligen Szene, imponiere ihm „der Wille, etwas zu bewegen und selbst zu machen“.

Aus der Kuratoren-Trias war nur Norbert Prothmann, 52, eine Zeit lang Mitglied der Punkszene. Er half Steiner mit einer hundertseitigen, aus dem Kopf heruntergeschriebenen Unterlage und, wichtiger noch, beim Kontakteknüpfen mit den alten Haudegen, denen bis heute nichts über Stallgeruch geht. Der Dritte im Bunde, Barny Schmidt (56), ist zwar einer der profiliertesten Sammler von Punkplatten in Deutschland, hielt sich zwischen 1977 und 1983 aber nicht in seiner schwäbischen Heimat auf. Als die drei auf Uli Schwinge vom Verlag Edition Randgruppe stießen, überzeugte der sie davon, die Ausstellung hübsch und den Katalog dazu opulent zu gestalten. Das dafür nötige Kleingeld, fast 20 000 Euro, kam per Crowdfunding zusammen.

... und wo der Punk hinging

Um den Anschluss an die Jetztzeit zu schaffen, nimmt die Ausstellung auch in den Blick, wo der Punk nach seiner ungestümen Anfangszeit hinging. Mit den Punks der ersten Generation verabschiedeten sich um 1983 die Bürgersöhne aus der Szene; ihren Platz nahmen Straßenpunks aus anderen sozialen Schichten ein, die einen wesentlich roheren Stil und nicht zuletzt einen exzessiveren Drogenkonsum pflegten.

Von dieser zweiten Generation hat buchstäblich kaum jemand überlebt. Die Punk-Pioniere indes traten nicht, wie man vermuten möchte, einen Marsch durch die Institutionen an. Sie blieben vielmehr, so der Eindruck der Ausstellungsmacher, sich selbst treu. Man denke an Micha Schmidt oder Ralf Sandner, die bis heute Punkbands aus aller Welt auf die Stuttgarter Bühnen holen, an Georg „GAW“ Wittner, der das Jugendhaus Mitte leitet, an die bis heute aktive Band Normahl oder den Musiker Michael „Morscher“ Mörsch, der für manches Stuttgarter Straßenfest die Bands bucht. Sie alle waren Teil jener Szene, die in den selten gelüfteten Kellern eine Gegenwelt zur blitzblank geputzten Beton- und Autostadt schuf – und die, wie der kürzlich veröffentlichte Punk-Sampler „Kaputtgart“ mit 19 aktuellen, politischen Punksongs aus der Region zeigt, bis heute nicht verschwunden ist. „Man läuft einfach anders durch die Stadt, wenn man weiß, dass irgendwo im Untergrund noch etwas ist“, glaubt Norbert Prothmann.

Den Brückenschlag zum Jetzt soll auch das Begleitprogramm zur Ausstellung leisten. In einer Podiumsdiskussion am 21. September geht es darum, wie die Jugend als Punk bis heute Biografien prägt. Ein dreitägiges Festival bringt vom 29. September bis 1. Oktober dann Bands von damals – darunter die eingangs erwähnten Herbärds oder die bereits dem Wave zuzuordnende Familie Hesselbach – mit Gruppen von heute zusammen, darunter das Human-Abfall-Nebenprojekt Säulen des Kosmos oder die in der Queerszene verwurzelte Band Ursus.

Damals wie heute machen Punks das meiste selbst und ohne große Budgets. Sie leben eine politische Haltung vor, sie bruddeln und sie schaffen. Insofern hat nicht nur der Punk etwas mit Stuttgart gemacht, sondern auch Stuttgart sein eigenes Punkbiotop geschaffen – oder, wie Norbert Prothmann sagt, ein Pilzgeflecht, von dem hier und da mal etwas an die Oberfläche dringt. Die Szene mag sich schon immer vor allem um sich selbst gedreht haben und Stuttgart galt und gilt nicht als Punk-Hochburg. Dass das hier niemanden auch nur ansatzweise juckt, ist für sich genommen schon wieder Punk.

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