Die Fotografin Regina Schmeken ist an die Tatorte der Terrorzelle NSU zurückgekehrt. In ihrem Bilderzyklus „Blutiger Boden“ zeigt sie Orte, an denen der Hass gewonnen hat. Für die Künstlerin und die Angehörigen gehört dies zur Erinnerungsarbeit.

Berlin - Die Liegnitzer Straße in Nürnberg liegt nicht weit vom einstigen Parteitagsgelände der NSDAP entfernt. Hier veröffentlichten die Nationalsozialisten 1935 die „Nürnberger Rassegesetze“ die dem „Schutze des deutschen Blutes und der Deutschen Ehre“ dienen sollten. Am 9. September 2000 stellte Enver Simsek hier am Morgen auf seinem Standplatz seinen weißen Kleinbus ab und baute seinen Blumenstand auf. Als er im Laderaum seines Transporters stand, schossen zwei Männer aus ihren Pistolen acht Kugeln in den Kopf, die Arme und die Schulter des Kaufmanns. Sie fotografierten den Sterbenden in seinem Blut auf der Straße liegend. Dann gingen sie weg.

 

Der Asphalt, auf dem Enver Simsek lag

Drei Bilder, großformatig, schwarz-weiß, eng beieinander, zeigen 17 Jahre später die Parkbucht in der Liegnitzer Straße. Überscharf ist das grobe Korn des Asphalts zu erkennen, auf dem Enver Simsek gelegen haben muss, Autos brausen in der Unschärfe vorbei, es ist nicht auszuschließen, dass es auch damals so war. Die Farbe der Seitenstreifen bröckelt vom Straßenbelag. Und einen kurzen, schmerzhaften Moment lang denkt man bei den großen Regenpfützen, bei ihren fast schwarzen Rändern an Blut. Aber Blut könnte den milchigtrüben deutschen Winterhimmel nicht spiegeln, und so entsinnt sich die eigene Wahrnehmung, dass der Horror nur eine Assoziation sein kann. Denn diese Bilder schaut man mit dem Wissen um den Ort an, der hier zu sehen ist.

„Blutiger Boden“ heißt die Ausstellung, die von diesem Samstag an im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen ist: Die Fotografin Regina Schmeken, die für die „Süddeutsche Zeitung“ arbeitet, hat sich zur Aufgabe gemacht, die Tatorte des NSU aufzusuchen und sich genau anzusehen. Binnen drei Jahren fuhr sie mehrfach an die Orte, an denen zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen getötet und 22 Menschen verletzt wurden. Die Opfer der „Hinrichtungen“, wie Schmeken die Morde nennt, waren neun Männer türkischer und griechischer Abstammung, sowie eine deutsche Polizistin.

Orte, an denen Blut geflossen ist

In der nüchternen Sprache des Historikers beschreibt der Kurator Gorch Pieken, den Bilderzyklus: „Zu sehen sind Tatorte von Morden und Mordversuchen, Orte in Deutschland, an denen Nazis wieder „rassenbiologische Selektionen“ durchführten.“ Pieken hat die Ausstellung ursprünglich für sein Haus, das Militärhistorische Museum in Dresden, initiiert.

Gezeigt werden also Orte, an denen Blut geflossen ist, an denen der Hass gewonnen hat. Das Verstörende ist: Man sieht das nicht. „Das Beklemmendste an diesen Fotografien ist, dass auf ihnen weder die Mörder noch die Mordopfer zu sehen sind“, schreibt der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger im Begleitbuch. Stattdessen dokumentiert sich etwas anderes, nämlich eine Erinnerung, die verschluckt wurde von der Bereitschaft, den Horror zu verdrängen. Besser kann man die zentrale Frage nicht abbilden, deren Antwort für dieses Land immer noch aussteht: Wie konnte es eigentlich sein, dass die Behörden über elf Jahre zu insgesamt zehn Mordtaten keine andere Theorie entwickelten als die, wonach Migranten in Streitigkeiten untereinander verwickelt waren? Wie konnte es sein, dass Angehörige von Opfern über so viele Jahre zudem noch mit schlimmen Verdächtigungen leben mussten?

Die Sorge, dass die Erinnerung verblasst

Und wie kann es sein, dass allein der Zufall dazu führte, dass am 4. November 2011 Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aufhörten, in Deutschland Menschen hinzurichten, denen sie das Recht aufs Menschsein absprachen? Der Eisenacher Rentner Egon Stutzke machte an diesem Tag die Polizei auf das nach einem Bankraub gesuchte Fluchtfahrzeug aufmerksam, einen Campingbus. Nur deshalb flog die Terrorzelle auf, die sich selbst Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nannte. Seitdem versucht die Republik das aufzuarbeiten, was der Schriftsteller Feridun Zaimoglu in einem Essay für den Ausstellungskatalog die „Geschichte einer großen Beschädigung“ nennt.

Beschämend nennt Barbara John die Tatsache, dass so lange im Umkreis der Opfer nach den Tätern gesucht worden sei. „Wenn es sich um zehn deutsche Kleinunternehmer gehandelt hätte, glauben Sie, das wäre auch passiert?“, fragte die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen am Freitag bei der Pressekonferenz zur Ausstellung. Gemeinsam mit Töchtern, Söhnen, Witwen, Eltern der Ermordeten besucht sie seit ein paar Jahren die Tatorte – eine Erinnerungsarbeit, die denen, die ein Leben lang leiden werden, hilft. Zu den Sorgen, die die Angehörigen haben, gehört, dass mit der Schließung der Gerichtsakten auch das öffentliche Interesse versiegt, dass die Erinnerung verblasst und die Opfer mit ihren Geschichten im deutschen Alltag versinken. Die Bilder, so John, könnten eine Barriere gegen das Vergessen sein.