Seit fast 70 Jahren kümmert sich der Schuhmacher Erwin Weiler aus Aich um das Schuhwerk seiner Mitmenschen. Auch im stolzen Alter von 90 Jahren denkt er noch lange nicht ans Aufhören. Ein Nachfolger ist ohnehin nicht in Sicht.

Aichtal - „Schuster bleib bei deinen Leisten!“ lautet eine Lebensregel aus dem reichen Zitatenschatz des Volksmunds. Erwin Weiler aus dem Aichtaler Stadtteil Aich im Kreis Esslingen hat den Ratschlag derart beherzt, dass er ihn sozusagen schon ein paar Mal erfüllt hat: Seit 68 Jahren steht er im Kirchweg 28 – hinterm Rathaus und unterhalb des Kirchbuckels – in der Werkstatt des gleichnamigen Schuhgeschäfts. Und trotz seiner 90 Lebensjahre denkt der joviale Mann noch längst nicht ans Aufhören.

 

Überraschen schon die reinen Daten in der Vita Weiler, so ist auch dieses Bekenntnis erstaunlich: „Im Grunde genommen wollte ich nie Schuhmacher werden.“ Das Faible des gebürtigen Aichtälers, dessen Vater Jakob 1923 das Geschäft gegründet hat, wies eindeutig in Richtung Fliegerei. Doch Kriegs- und Nachkriegszeit mit all ihren Nöten und Entbehrungen sowie familiäre Rücksichtnahmen hinderten letztlich solche Wünsche am realen Abheben.

In der Werkstatt riecht es nach Leder und Kleber

Als 16-Jähriger wurde Erwin Weiler im Herbst 1944 zum Arbeitsdienst eingezogen. Anschließend diente er auch noch beim regulären Militär und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wegen seines jugendlichen Alters freilich nur kurzzeitig. So konnte der junge Mann aus dem Aichtal seine zuvor unfreiwillig unterbrochene Lehre beim Nürtinger Orthopädie-Schuhmachermeister Wilhelm Irland, von dem er heute noch mit Hochachtung spricht, fortsetzen. 1950 übernahm Erwin Weiler die väterliche Werkstatt, zu der dann später noch der heutige Laden kam.

Wer die Werkstatt betritt, wird vom typischen Gerüchemix aus Leder und Kleber empfangen. Hatte Erwin Weiler als Stift beim Meister Irland noch gelernt, ganze Schuhe anzupassen und anzufertigen, so stehen heute Besohlungen sowie Reparaturen und kleinere Ausbesserungen im Mittelpunkt. Und dazu ist noch alles da: Das Werkzeug und Geräte wie die Ausputzmaschine, die Schärfmaschine oder die Schuhweitungsmaschine; ein bisschen hat sich mittlerweile freilich auch musealer Charme eingeschlichen, etwa bei der Singer-Nähmaschine mit Fußantrieb aus dem Jahr 1938, einem Erbstück vom Vater.

Musealer Charme

Und stolz zeigt Erwin Weiler einen bestens erhaltenen zwiegenähten und seitengeschnürten Schuh im Haferlstil. Ein Paar davon hatte er seiner Frau Maria, einer Metzgerstochter mit Mädchenname Feller aus Ochsenwang, als nachträgliches Hochzeitsgeschenk gefertigt. Aus Weilers Klassikabteilung stammt auch die 40 Jahre alte Eigenkreation eines Männerhalbschuhs, bei dem eine Lederschnalle quer über den Rist nicht nur zusätzlichen Halt bietet, sondern auch die Extravaganz betont.

Früher war es nicht Erwin Weilers Sache, in der Werkstatt auf Kundschaft zu warten. So leitete er in den 70er Jahren etliche Jahre beim Großhandelsunternehmen Schempp in Scharnhausen die Schuhabteilung, danach führte er in der einstigen Schuhtreff-Filiale in Nellingen Regie. Und auch beim Reparaturservice war Weiler um neue Ideen nicht verlegen: Per VW-Bus klapperte er die Kundschaft ab.

Schließlich folgte ein berufliches Kapitel, dem der umtriebige Mann schlankweg das Etikett „Fahrer und Hausknecht“ verpasste. Erst bei der Volksbank in Esslingen, dann bei den Sparkassen in Kirchheim und danach in Esslingen hielt der Schuster die mobilen Obliegenheiten am Laufen und machte sich auch in praktischen Dingen nützlich. Nach Feierabend wartete dann daheim im Aicher Kirchweg die Schuhmacherwerkstatt auf ihn.

Kein Nachfolger in Sicht

Und war schon Vater Jakob vom Gemeinderat bis zur Milchgenossenschaft mit vielen Ämtern betraut, so trat auch Filius Erwin in vergleichbare Fußstapfen. Nach 40 Jahren in verantwortlicher Position verließ er die Feuerwehr als Ehrenkommandant, ein Jahrzehnt lang stärkte er die SV-07-Fußballer in Sturm und Mittelfeld. Kurzflugreisen mit den Feuerwehrkameraden sind nach wie vor wichtig für den Erwin, denn so begegnet er seiner wahren Leidenschaft, der Fliegerei.

Zu Höhenflügen in Sachen Zukunft der kleinen Schuhgeschäfte auf dem Land sieht der Mann aus Aich freilich keinen Anlass und gibt sich keinen Illusionen hin. Das gelte ganz generell, aber auch im speziellen Fall seiner Familie. Denn unter den Nachkommen findet sich kein Nachfolger.