Vier Räder, die die Welt bedeuten: Autos sind nicht nur zum Fahren da. Sie dienen auch als Freiheits-, Status- und Sexsymbol, als Spielzeug, Zerstörungsmaschine und Lifestyle-Ikone. Eine kleine Kulturgeschichte aus der Welt von Opel Manta, Citroën D. S. und DeLorean DMC-12.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Es vergeht derzeit kaum ein Tag ohne neue schlechte Nachrichten rund um das deutsche Automobil, ohne weitere Neuigkeiten von finsteren Betrügereien und windigen Absprachen hinter den Kulissen. Je nach Tagesform und Sichtweise sitzen die Verantwortlichen entweder in den Vorstandsetagen oder in der Politik. Oder sie stecken eh alle unter einer Decke.

 

Erstaunlich wenig ist bisher vom Verbraucher die Rede. Ist er bei all diesen mobilen Machenschaften wirklich immer nur das Opfer, das kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen muss, wie fern von ihm lauter Fehlentscheidungen getroffen werden? Ist er wirklich so unbeteiligt, wenn er sich bei allem öffentlich bekundeten Umweltbewusstsein im Alltag die Lust an der, ähem, „sportlichen Fahrweise“ dann doch nicht nehmen lassen will? Wenn er saubere Luft natürlich zu schätzen weiß, bei der Treibstoffwahl dann aber doch schlicht sparen will? Und wortreich zu begründen weiß, warum ein moderner Großstädter heutzutage ohne SUV einfach nicht auskommt?

Kein anderes Fortbewegungsmittel hat dem Menschen bisher mehr individuelle Mobilität verschafft als das Automobil. Und zu keinem Fortbewegungsmittel pflegen wir ein vertrackteres Verhältnis als eben zum Auto. Stehen wir im Stau, hassen wir es (jedenfalls all jene von seiner Sorte, die vor uns stehen). Bleibt uns in der S-Bahn vor lauter Enge die Luft weg, sehnen wir uns nach der Einsamkeit in seinem Innern. Sitzen wir drin und machen die Tür zu, fühlen wir uns wie zu Hause. Wir behaupten zwar, das Auto sei für uns reines Mittel zum Zweck, ein Nutzobjekt, ein Gegenstand rein kühler, vernünftiger Überlegungen. Aber in Wirklichkeit ist es ein Objekt unserer Liebe und Verehrung. Ein Lustobjekt. Ein Fetisch.

Kunst und Kultur wissen schon lange davon. Film und Literatur, Theater, Pop und Philosophie – sie sind alle schon mit ihrem Publikum Auto gefahren. Wer etwas vom Mythos des Fahrens, des Aufbruchs, des Unterwegsseins, aber auch der Zerstörung, des Untergangs wissen will, findet auf dieser Seite reichlich Trieb-, pardon: Treibstoff. Ach, wir könnten so vernünftig mit dem Auto umgehen. Aber es hängt einfach zu viel daran. So haben sie leichtes Spiel mit uns.

Freiheit: Weg! Weg! Weg!

Nichts wie weg, hinfahren, wo es besonders hübsch ist: Das Auto hat die Bürger in ungekanntem Maß befreit. Das Ausbrechen der Bebop-infizierten Beatniks, wie es Jack Kerouac im Roman „On The Road“ (1957) beschrieb, wäre ohne Autos kleiner ausgefallen, auch das Festival im entlegenen Woodstock (1969), dessen Größe es zum Symbol gemacht hat für eine bürgerliche Befreiungsbewegung. Das Kino schickte Selbstsucher aus in Roadmovies, Bildungsromanen der Gegenwart: Arthur Penn sein Gangsterpärchen in „Bonnie and Clyde“ (1967), Michelangelo Antonioni zwei Rebellierende in „Zabriskie Point“ (1970), Wim Wenders einen Desillusionierten und ein verlorenes Mädchen in „Alice in den Städten“ (1974). Heute endet die Freiheit oft im Stau, weil zu viele hinwollen, wo es besonders hübsch ist. Die Verheißung schwindet, doch die Erinnerung an sie bleibt allzu süß. Klimawandel? Feinstaub? Nichts wie weg. (ha)

Sex: Stufenlos verstellbare Erotik

Die nach hinten stufenlos verstellbaren Vordersitze dienen natürlich eigentlich nur dazu, auf sehr langen Fahrten mal bequeme Rast und ein entspannendes Nickerchen machen zu können. Millionen Autofahrende und ihre Beifahrer/-innen sollen die Liegewiese aber auch schon für andere Dinge genutzt haben. Ganz abgesehen von Generationen junger Menschen, die hier nach erfolgreicher Führerscheinprüfung im Schutz der Karosserie und der Zentralverriegelung endlich mal in Ruhe ein bisschen knutschen konnten. Das Auto ist ein möglicher Ort der Lust und selbst ein Lustobjekt. Es kann ja wohl kein Zufall sein, dass sich immer noch auf bestimmten Kalenderblättern leicht oder gar nicht bekleidete Damen auf Kühlerhauben rekeln. Oder ist denen beim Fahren nur so unglaublich heiß geworden? Quod erat demonstrandum. (schl)

Zerstörung: Der Lack ist ab

Protest auf der Straße hat einen wahren Feind: das Auto. Zieht die marodierende Meute durch die Stadt, brennen Wagen so dramatisch, als seien Filmregisseure am Werk gewesen. So innig die Liebe zum Auto sein mag, so leidenschaftlich wird zugleich die Lust an seiner Zerstörung ausgelebt. Von „Blues Brothers“ bis „Alarm für Cobra 11“ – brennende Kisten sind der Inbegriff für Action. Auch auf deutschen Bühnen werden regelmäßig ausrangierte Blechkarossen demoliert, denn kein anderer Gegenstand lässt sich so süß und schmerzhaft zerstören wie der Fetisch Auto, der im Grunde das verlängerte Ich ist. Zumindest das einiger Männer, weshalb die Videokünstlerin Pipilotti Rist ihren feministischen Siegeszug an Autos exekutierte – und mit einer großen Blume bewaffnet genüsslich Autoscheiben zertrümmerte. (adr)

Mythos: Von der Göttin zum Golf

„Dreckschleuder!“ Würde man es wagen, einer Göttin so etwas ins Gesicht zu sagen? In makelloser Schönheit vom Himmel herabgestiegen, so feierte einst der französische Kulturphilosoph Roland Barthes den Citroën D. S., französisch ausgesprochen: la Déesse, die Göttin. Welcher Philosoph würde es heute noch wagen, die Mythologisierung des Autos so auf die Spitze zu treiben? Zum Wesen des Göttlichen gehört die Entweihung. Es wird in Besitz genommen als Medium kleinbürgerlicher Beförderung. In Deutschland wandelt sich die Göttin zum Golf. Florian Illies zeichnete im Namen des VW-Dauerbrenners das Bild einer Generation, die aufgewachsen im „vielleicht langweiligsten Jahrzehnt des Jahrhunderts“, außer Banalitäten nichts verband als jener Wagen für jedermann, klassenlos, ein „Get together“ in Autoform, wie ein Fernsehabend mit „Wetten, dass . . ?“ und Erdnussflips. Das war in den Achtzigern, der Zeit, in der Roland Barthes von einem Kleinlaster überfahren wurde. Die glatte Oberfläche der Déesse galt ihm noch als Merkmal der Vollkommenheit. Mythen von gestern. Die Kinder der Generation Golf erregen sich nicht mehr an der chromglänzende Haut eines Autos, lieber streicheln sie den glatten Touchscreen eines iPads. (kir)

Spielzeug: Jungs und ihre Technikfantasien

Sex, Protzerei und der Geschwindigkeitsrausch sind überbewertet! Eigentlich sind die meisten Autos nichts anderes als außer Rand und Band geratene Kinderzimmerfantasien – eine Gimmicks-Wundertüte für Jungs, die zu alt für das Bobbycar, die Matchbox-Sammlung und ihren Fischer-Technik-Baukasten sind. Die Ingenieure, die gerade verzweifelt versuchen, Autos das autonome Fahren beizubringen, waren garantiert alle in ihrer Kindheit in den Pontiac Trans Am aus „Knight Rider“ verknallt, der das schon in den 1980ern konnte. Und das Einzige, was noch cooler als eine Zeitmaschine ist, ist ein Auto, das eine Zeitmaschine ist – wie der DeLorean DMC-12 aus „Zurück in die Zukunft“ (Foto). Vom Batmobil bis zu James Bonds Hightech-Rennwagen – Jungs lieben Autos, die Schweizer Taschenmesser auf Rädern sind, fast noch mehr als Sex, Protzerei und den Rausch der Geschwindigkeit. (gun)

Status: Dicke Schlitten

Autos sind zweitens zum Fahren da und erstens zum Angeben: Die schwere Limousine mit dem Stern auf der Kühlerhaube soll einen von A nach B bringen, gewiss, vor allem aber soll sie beim Überholen einen grünen Neidschimmer auf die Gesichter von Mitsubishi-, Hyundai-, Honda- und Toyota-Fahrern zaubern – Statusinszenierung zum Zeichen, dass man es auch im Leben weiter gebracht hat als all die Verlierer in ihren lahmenden Töfftöffs. In letzter Zeit lässt sich mit dicken Schlitten aber nicht mehr so leicht Eindruck schinden wie früher. Die Generation Smartphone schaut von ihren Displays höchstens noch kurz auf, wenn ein Porsche vorüber röhrt – in Prä-Diesel-und-Kartell-Skandal-Zeiten soll es nach einer Allensbach-Umfrage jedenfalls noch so gewesen sein. Im Museum gelandet ist jetzt, wie das Bonner Haus der Geschichte dieser Tage mitteilt, auch der Opel Manta inklusive Fuchsschwanz, die Prollvariante der Statuskarre, mit der Til Schweiger 1991 vorführte, dass sich mit ein bisschen Tuning selbst ein „16-Ventiler“ aus dem Hause Daimler abhängen ließ, bei den Blondinen ebenso wie auf der Autobahn. Heutzutage, versichern uns die PS-Auguren, fahren Alphatiere ein E-Auto. Es kann auch ein geliehenes sein.

Tempo: Formel 1 überall

Das lauteste Geräusch, das man bei 100 Kilometern pro Stunde höre, sei das Ticken der Borduhr, versprach eine Werbung von Rolls-Royce in den sechziger Jahren. Nur wenige von uns schworen daraufhin, entweder einen Rolls oder gar kein Auto zu fahren. Mit der Werbung „Bei zweihundertachtzig km/h schlägt es der Borduhr die Zeiger vom Blatt“ hätte Rolls mehr Fans gewonnen. Die Gier nach purer Geschwindigkeit, nach einem Tempo jenseits aller Notwendig- und Beherrschbarkeit gehört zum Faszinosum Auto wie die Lüge, alles im Griff zu haben, zu anderen Arten der Drogensucht. Comics wie die Formel-1-Saga „Michel Vaillant“, Filme wie „The Fast And The Furious“, Computerspiele wie das vielsagend betitelte „Need For Speed“, alle stimmen uns ein aufs verbissene Vorbeirasen an der Welt als höchste Form des Lebensgenusses.