Immer wieder eckte ein altgedienter Porsche-Mann mit interner Kritik an, etwa zur Abgasaffäre. Nun versucht der Sportwagenbauer, ihn mit allen rechtlichen Mitteln loszuwerden – wenige Monate vor seinem Ruhestand.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Für die Porsche AG war Siegmar Herrlinger gewiss kein pflegeleichter Mitarbeiter. Immer wieder eckte Herrlinger an, weil er – wie er sagt – „auch im Betrieb mit meiner Meinung nicht hinterm Berg“ hielt. Gleichwohl blieb der Kornwestheimer, zuletzt als IT-Spezialist in Weissach tätig, stolze 39 Jahre bei dem Sportwagenbauer. Ende des Jahres sollte er altershalber in den Ruhestand gehen.

 

Kurz vor der Rente ist nun aber ein Konflikt zwischen Porsche und Herrlinger eskaliert. Mit allen Mitteln versucht das Unternehmen, ihn bereits einige Monate früher loszuwerden. Freistellung, Hausverbot, fristlose Kündigung, weitere Kündigung – fast das gesamte arbeitsrechtliche Arsenal wird dafür aufgeboten. Längst beschäftigt der Streit auch das Arbeitsgericht in Stuttgart, das dessen grundsätzliche Bedeutung hervorhob. Es gehe um die Meinungsfreiheit im Betrieb und deren Grenzen – Grenzen, die Porsche nach einem ersten Urteil wohl deutlich zu eng gezogen hat. Gerade im Dieselabgasskandal, entschied der Richter, müsse das Unternehmen auch intern kritische Töne ertragen. Weil Herrlinger zugleich Bundestagskandidat der linken Splitterpartei MLPD war, hat die Auseinandersetzung auch eine politische Komponente.

„Mach’ endlich etwas Richtiges – kündige und hau ab“

Von der Kandidatur wusste Porsche offenbar noch nichts, als man sich seit Ende 2016 wieder verstärkt über den Kritiker ärgerte. Da geißelte Herrlinger bei Betriebsversammlungen den Einsatz von Leiharbeitsfirmen, die er als „Sklavenhalter“ bezeichnete, und thematisierte die Rolle des Sportwagenherstellers im VW-Abgasskandal. Die Verantwortlichen dafür müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte er. Auch das Wort „Verbrecher“ soll gefallen sein, auf wen gemünzt, blieb strittig. Empörung herrschte nicht nur bei den Kollegen, von denen etliche den Saal verließen, sondern auch auf dem Podium. „Meine Zeit ist zu schade, Ihnen zuzuhören“, echauffierte sich der Personalvorstand Andreas Haffner laut dem Urteil. „Wenn Sie Porsche so schlecht finden, dann kündigen Sie doch, keiner hält Sie auf.“ Der Betriebsratschef Uwe Hück setzte noch eins drauf. „Du verbreitest Fake-News! Du lügst wie Trump“, schimpfte er. „Mach in deinem Leben endlich etwas Richtiges – kündige und hau ab.“

Herrlinger kündigte nicht, bekam dafür aber im Juli Post von Porsche: die Freistellung und ein Zutrittsverbot zum Firmengelände, kurz vor der nächsten Betriebsversammlung. Mit dem angeblichen Wegfall seiner Tätigkeit, begründete er seine Klage dagegen, hätten die Schritte nichts zu tun. Sie seien eine Reaktion auf seine kritischen Äußerungen zum VW-Abgasskandal; dabei sei es doch nicht glaubhaft, dass man in den Vorständen nichts von den Software-Manipulationen gewusst habe.

Munition für Wahlkampf als MLPD-Kandidat

Porsche beharrte zwar darauf, dass es nach einer Umstrukturierung nichts mehr für Herrlinger zu tun gebe. Zugleich beklagte das vom Arbeitgeberverband Südwestmetall vertretene Unternehmen „Beleidigung und Schmähkritik“ sowie eine Störung des Betriebsfriedens. Herrlinger betätige sich in der Firma politisch und nütze den Rechtsstreit für seinen Wahlkampf als MLPD-Kandidat.

Auch das Arbeitsgericht befand, das Verfahren werde „zum Zwecke der Wahlwerbung . . . verwendet“. Zumindest mittelbar sei Herrlinger an entsprechenden Flugblättern und Internetartikeln beteiligt – die allerdings erst nach der Freistellung entstanden. Für einen Vorwand hielt der Richter den angeblichen Wegfall des Arbeitsplatzes, der eigentliche Grund seien wohl die „kritischen Redebeiträge“. Diese würden aber vom Grundgesetz gedeckt: Gerade bei Betriebsversammlungen dürften Arbeitnehmer Missstände offen ansprechen und Kritik „auch zugespitzt und polemisch“ vorbringen.

Grenzen der Kritik noch eingehalten

Bei beiden Themen habe Herrlinger die Grenzen gerade noch eingehalten. Porsche sei „immerhin Teil des VW-Konzerns“ und eine strafrechtliche Verantwortung einzelner Mitarbeiter bei den Abgasmanipulationen mithin nicht fernliegend. Tatsächlich ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart auch gegen unbekannte Porsche-Beschäftigte, ein früherer Porsche-Entwicklungschef wurde unlängst sogar verhaftet. Mit Blick auf die Leiharbeit von „Sklavenhaltern“ zu sprechen sei zwar unsachlich und überspitzt, aber noch keine Beleidigung, befand der Richter. Im Übrigen hätten der Personalvorstand und der Betriebsratschef mit ihren Reaktionen „nicht zur Mäßigung und Beruhigung der Lage beigetragen“, sondern den Konflikt noch angeheizt. Ende August wurde Porsche also verurteilt, den IT-Experten wieder zu beschäftigen und ihm Zugang zum Betrieb zu gewähren. Wegen des „schwebenden Verfahrens“ wollte sich ein Unternehmenssprecher nicht im Detail äußern. Nachdem einem Antrag von Porsche stattgegeben worden sei, bestehe aktuell „keine Pflicht mehr zur Weiterbeschäftigung“, teilte er nur mit. Keine Auskunft gab es zu den Gründen der inzwischen ausgesprochenen Kündigungen. Nach StZ-Informationen stützt Porsche diese auch auf Aussagen in dem Flugblatt, das die MLPD im Wahlkampf verbreitet hatte. Darin war von der „Vergiftung“ Zehntausender Menschen durch die Abgasmanipulationen die Rede, von der „Verstrickung vieler führender Gewerkschaftsfunktionäre in den Dieselskandal“ und allgemein von „Ausbeutung und Unterdrückung“ – allesamt offenbar Punkte, durch die sich Porsche angegriffen sieht.

Als Kandidat in Rechten beschnitten?

Man wolle ihm „den Mund verbieten“, schrieb Herrlinger, der sich zudem in seinen Rechten als Bundestagskandidat verletzt sieht. Nach dem Abgeordnetengesetz sind nämlich „Benachteiligungen am Arbeitsplatz“ im Zusammenhang mit einer Bewerbung für ein Mandat unzulässig. Sogar das Grundgesetz verbietet „eine Kündigung aus diesem Grunde“. Es handle sich um einen „schweren Eingriff in demokratische Grundrechte“, rügten seine Unterstützer. Umgekehrt muss der Wahlkampf freilich vor den Firmentoren haltmachen; in Weissach rückte deshalb sogar die Polizei aus. Auch zu diesen Vorwürfen wollte sich Porsche wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern. Bei der Bundestagswahl hatte Herrlinger im Wahlkreis Neckar-Zaber übrigens 286 Erststimmen erhalten, bei 125 Zweitstimmen für die MLPD.

Eigentlich sollte bereits am vorigen Dienstag wieder vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht verhandelt werden, doch das Verfahren wurde um eine Woche vertagt. Die Zeit spielt ohnehin für Porsche. Siegmar Herrlinger kann dafür wieder auf zahlreiche Unterstützer bauen: Beim letzten Mal kamen so viele Zuhörer, dass gar nicht alle in den Gerichtssaal passten.