Offiziell zeigen sich die Autokonzerne befremdet oder gar erschüttert. Doch die Abgasversuche mit Affen und Menschen, von denen sie sich jetzt distanzieren, waren bei Daimler, VW und BMW wohl bekannt. Das ist zweifelsfrei dokumentiert.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die umstrittenen Abgasversuche mit Menschen und Affen können den indirekt beteiligten Autokonzernen nicht verborgen geblieben sein. Beide wurden in einem Report der von Daimler, Bosch, VW und BMW im Jahr 2007 gegründeten „Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“ (EUGT) im Kern beschrieben. In dem Bericht über die Aktivitäten der Jahre 2012 bis 2015 ist zugleich der gesamte Vorstand der Mitte 2017 aufgelösten EUGT aufgeführt.

 

Vorsitzender des Vorstands war damals Professor Gunter Zimmermeyer, ein früherer Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie, der 2003 als Leiter des Verbindungsbüros Berlin-Brüssel zu Bosch gewechselt war. Als Vorstandsmitglieder werden Manager von Daimler, BMW, Volkswagen und der Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport genannt und mit Bild präsentiert. Als Geschäftsführer firmierte ein VW-Mann.

Als „abgeschlossenes Projekt“ dokumentiert

Der in den USA durchgeführte Versuch, bei dem Affen Dieselabgase einatmeten, ist unter den laufenden Projekten aufgeführt. Ergebnisse würden Mitte 2015 erwartet, hieß es; dazu kam es aber nicht mehr. Unter den „abgeschlossenen Projekten“ findet sich die Studie, bei der Menschen Stickstoffdioxid in unterschiedlichen Konzentrationen einatmeten; der Versuchsaufbau wird grob beschrieben.

Dabei wird ausdrücklich auf den Straßenverkehr Bezug genommen. Das zuständige Uniklinikum Aachen und VW erklärten inzwischen, es gebe keinen Bezug zur Dieselthematik, sondern es sei um Konzentrationen am Arbeitsplatz gegangen. Die EUGT habe die Studie gefördert, sich aber inhaltlich nicht eingemischt, hieß es.

Der Daimler-Konzern hatte sich am schärfsten von den Versuchen distanziert, aber auch VW und BMW gingen auf Abstand. Nachfragen in der Stuttgarter Konzernzentrale blieben am Montag zunächst unbeantwortet. Man werde sich nicht über die bisherige Stellungnahme hinaus äußern, sagte ein Daimler-Sprecher. Somit blieb offen, warum sich die Konzerne erst jetzt über Studien befremdet zeigten.

Warum Bosch 2013 ausgestiegen ist

Ziel der EUGT war es offiziell, die Forschung über Auswirkungen des Verkehrs auf Umwelt und Gesundheit zu fördern. Dem Verein wurde jedoch bereits 2015 und 2016 in deutschen und internationalen Medienberichten wiederholt vorgeworfen, vor allem das Image des Diesels verbessern zu wollen – und dies mit fragwürdigen Methoden. Besonders kritisch wurde der Vorsitzende des „Forschungsbeirates“ beleuchtet, der Münchner Toxikologe Professor Helmut Greim. Er sei dafür bekannt, Risiken durch Industrieprodukte als wenig problematisch einzustufen – ob bei Schadstoffen aus Motoren, Glyphosat oder Holzschutzmitteln – und gelte als ausgesprochen industriefreundlich.

Auch diese Kritik kann den Konzernen kaum verborgen geblieben sein. Sie dürfte mit zu der 2016 beschlossenen Auflösung geführt haben, für die unterschiedliche, teils widersprüchliche Gründe genannt werden. Ein Zusammenhang mit Kartellvorwürfen wurde als Grund bestritten. Bosch war bereits 2013 bei der EUGT ausgestiegen. Als Grund nannte ein Sprecher „unterschiedliche Vorstellungen“ über Ausrichtung und Inhalte. Von den Studien distanzierte er sich; Bosch habe daran weder teilgenommen noch mitgewirkt.

Umwelthilfe sichert gelöschte Dokumente

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) zeigte sich in ihrer Kritik bestätigt. Man weise seit Jahren „auf die Manipulation politischer Entscheidungen durch bezahlte Auftragsforschung von BMW, Daimler und Volkswagen hin“, sagte der DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Erst seit sich die Justiz in den USA für die Praktiken interessiere, seien die Autokonzerne nervös geworden „und lösten die EUGT offensichtlich in Panik auf“. Interessant sei das plötzliche Verschwinden der Vereinigung aus dem Internet; alles Löschbare sei getilgt worden. Mit Hilfe von Archivfunktionen habe man aber Dokumente sichern können und den zuständigen Behörden übermittelt. Resch nannte die Vereinigung „eine der am unverfrorensten agierenden Fake-News-Lobbyorganisationen, die im Auftrag der Industrie agierten“. Er verglich sie mit ähnlichen Initiativen der Tabakindustrie oder der Anti-Klimaschutz-Aktivisten.

Lobbycontrol nimmt Experten ins Visier

Auch die Organisation Lobbycontrol sieht eine Parallele zu „Fake-Science-Methoden“ in anderen Industrien: Es würden Wissenschaftler finanziert, „um die gesundheitlichen Schäden ihrer Produkte zu bagatellisieren und schärfere Gesetze abzuwenden“, rügte die Expertin Christina Deckwirth. Es genüge nicht, wenn sich die Autokonzerne nun entschuldigten; die Politik müsse vielmehr ihren „Kuschelkurs“ beenden und generell einen neuen Umgang mit Lobbyisten finden. Auch in der Aufarbeitung des Dieselskandals müsse die Bundesregierung nachlegen; in den USA sei man da offenbar sehr viel weiter. Ins Visier nahm Deckwirth zudem den EUGT-Chefwissenschaftler Greim, der Sachverständiger im U-Ausschuss des Bundestags zur Abgasaffäre war. Er sei „eine Schlüsselfigur in der Diesel-Sauberwasch-Kampagne der Autokonzerne“. Die deutsche Politik müsse sich endlich von derart „fragwürdigen Experten“ distanzieren.