Dir steht die Welt offen – das haben viele unter 40-Jährige oft gehört. Doch was, wenn sie das, was sie haben können, gar nicht wollen? Sondern einfach nur ihre Ruhe? Versprechungen der Arbeitswelt sehen heute viele kritisch. Nach dem Nutzen des Nichtstuns fragen zwei aktuelle Bücher.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Na, wie haben Sie gestern performt? Hatten Sie das richtige Mindset? Es gibt kaum einen Berufszweig, in dem Mitarbeiter heute nicht mit dem abstoßenden Vokabular der Coaches drangsaliert werden. Das hat ja etwas Zwanghaftes: Früher waren es ökonomischer Druck und eine protestantische Arbeitsethik, die Mitarbeiter, nun ja: motivierten. Doch dann brauchte es mehr, nämlich die Erzählung von der großen Lust aufs Arbeiten. Über die fragwürdige Sinnhaftigkeit vieler Tätigkeiten und den Druck dauerhafter Selbstoptimierung konnte die phrasenhafte Erzählung aber nicht hinweg täuschen. In einer Studie von 2022 gaben 42 Prozent von 10 000 befragten Arbeitnehmern und Führungskräften in den USA, Deutschland, Australien, Japan, Frankreich und Großbritannien an, sich ausgebrannt zu fühlen.

 

Die bestehenden Arbeits- und Lebenswelten werden seit einigen Jahren besonders von den jüngeren Generationen hinterfragt. Und es ist kaum überraschend, dass gerade die Kinder der 80er-Jahre es waren, die als erste das eingefordert haben, was jetzt oft Work-Life-Balance genannt wird. Ihre jüngeren Kollegen wollen sogar noch weniger arbeiten. Beide Geburtskohorten sind Jahrgänge, die in vielen westlichen Kulturen in ihrem Aufwachsen „verhätschelt“ und „verwöhnt“ wurden, wie es Autorin Nadia Shehadeh in ihrem aktuellen Buch „Anti-Girlboss“ nennt. Ein Standardsatz ihrer Eltern war: Du kannst alles werden, alles schaffen, dir steht dir Welt offen.

Mit dieser grenzenlosen Offenheit aus der Wohlstandszeit der 80er- und 90er-Jahre muss man erst einmal klarkommen. Sie kann auch Rückzug und Selbstlimitierung zur Folge haben: in Konsumverhalten und Arbeitseinstellung. Die glasklare Sehnsucht nach einem Weniger an Möglichkeiten.

Faulheit als demonstratives Zeichen gegen den Kapitalismus

Was, wenn man das, was man haben kann, gar nicht möchte, sondern einfach nur seine Ruhe will? Frühere Versprechungen der Arbeitswelt sehen heute viele kritisch – zu eindrucksvoll die Geschichten der Eltern- und Großeltern, die von Volksleiden wie Stress, Herzproblemen und Burnout geplagt sind. Die Idee, dass jeder, der es schaffen will, es auch kann, ist für die Autorin Nadia Shehadeh, Jahrgang 1980, „Ausdruck einer neoliberalen Kälte“, diese habe sie sich, wie sie schreibt, „im Laufe der Jahre abgewöhnt“. „Ja, ich war auch mal ambitioniert, aber das habe ich weitestgehend eingestellt“, schreibt Shehadeh, sie habe angefangen, sich „jeglichem übertriebenen Leistungsdenken zu widersetzen.“

Shehadeh plädiert in ihrem aktuellen Buch für demonstrative Faulheit – und zwar als Zeichen gegen den Kapitalismus. „Ich wünsche mir, dass wir uns das Spielerische, das Zwischenmenschliche, das Kreative, das Verträumte zurück ins Leben holen, weil ich glaube, dass uns viele dieser Qualitäten und Ressourcen durch kapitalistische Zwänge systematisch genommen werden“ Das Bedürfnis nach Ruhe, Tagträumen und Zeitverschwenden solle man nicht pathologisieren.

Der wahre Sinn des Nichtstuns ist selbsterfüllend

Sich auszuruhen betrachtet die Autorin als nichts weniger als einen „widerständigen Akt“. Ob man den Kapitalismus allerdings „vom Sofa aus bekämpfen“ kann, wie es im Untertitel des Buches von Nadia Shehadeh heißt, bleibt fraglich.

Denn man könnte einwenden, der wahre Sinn des Nichtstuns ist doch ohnehin selbsterfüllend. Wer mit der Faulheit schon wieder Ziele verfolgt – ist der nicht eher aktivistisch als faul?

„Faulheit bedeutet, im Nichts zu verbleiben“, schreibt der Journalist Bernd Imgrund in seinem kürzlich erschienenen, äußerst unterhaltsamen Essay „Faulheit – Vom Nutzen des Nichtstuns“. Der Müßiggang hat schließlich eine lange Tradition seit der Antike, Sokrates nannte die Muße die „Schwester der Freiheit“. Seither hatte die Faulheit immer mal wieder einen schweren Stand, wie Imgrund in dem 100-seitigen Essay anschaulich darlegt: Von der Faulheit als Todsünde bis zur Faulheit als Gegenspielerin der protestantischen Arbeitsethik – gut weg kam der Müßiggang dabei selten. Auch die Didaktik der Märchen greift auf die Verdammnis des Faulen zurück, man denke nur an Gold- und Pechmarie. Die christliche Moral lehrt, „dass nur arbeitsame Menschen das Himmelreich verdienen“.

Die Einteilung in Freizeit und Arbeit ist größtenteils eine Kategorie der Massen in der Moderne. In Zeiten der Industrialisierung entstanden Schichten der Arbeiter in den Fabriken und festgelegte Bürozeiten für Angestellte. Die Arbeit als Heilsversprechen hat dann zu einer Überbewertung der Arbeit geführt. Bertolt Brecht schreibt in der „Dreigroschenoper“: „Euch ist der Mensch erst Mensch, wenn er sich plagt.“

Was tun, wenn Künstliche Intelligenz viele Tätigkeiten übernimmt?

In den vergangenen Jahrzehnten wurde diese Sichtweise derart internalisiert, dass mancher sich ostentativ so präsentierte: „Der Handy- und Laptop-Junkie im ICE inszeniert das ,Schauspiel der beruflichen Eingespanntheit’, um seinen Mitreisenden zu imponieren. Aber die Rolle ist überholt“, schreibt Imgrund. Und Bertrand Russell, der englische Philosoph, schrieb schon 1935: „Die Moral der Arbeit ist eine Sklavenmoral, und in der neuzeitlichen Welt bedarf es keiner Sklaverei mehr.“

Fest steht auch, dass in einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz auf dem Arbeitsmarkt erscheint, eine Hinwendung zur Frage nach sinnvollem Tun zeitgemäßer ist denn je. Spätestens dann, wenn Künstliche Intelligenz viele Tätigkeiten übernimmt, viele Jobs wegfallen, stellt sich die Frage danach, worin Lebenssinn gefunden wird, wenn nicht in der herkömmlichen Form der Erwerbsarbeit. Die Frage danach, was Arbeit ist und was Freizeit, muss ganz neu ausgehandelt werden. Vielleicht ist das eine Chance für den Müßiggang, endlich eine ideelle Aufwertung zu erfahren.

Faulheit und Müßiggang sind keine Sünden, im Gegenteil. Wir bemühen uns alle, klug, mitfühlend und sozial zu sein, schreibt Bernd Imgrund, aber wir sind „zuweilen auch wütend, wollüstig, gierig, neidisch, hochmütig, maßlos und träge. Das Gesamtpaket dieser Eigenschaften – inklusive einiger weiterer – nennt man Mensch.“

Aktuelle Bücher zum Thema

„Faul“ von Bernd Imgrund Foto: Verlag

Bernd Imgrund: Faul. Vom Nutzen des Nichtstuns.
Hirzel, 110 Seiten, 18 Euro.

„Anti-Girlboss“ von Nadia Shehadeh Foto: Verlag

Nadia: Shehadeh: Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen.
Ullstein, 224 Seiten, 17,99 Euro.