Schwarze Kleidung, schwarze Luftballons – die Beschäftigten des Stuttgarter Zulieferers Mahle Behr kämpfen um ihre Arbeitsplätze.

Stuttgart - Der Countdown läuft. Drei, zwei, eins – pünktlich um fünf vor zwölf legen die Veranstalter los. Musik dröhnt aus den Lautsprechern, einige Demonstranten hauen mit Holzknüppeln lautstark tiefe Dellen in die mitgebrachten Blecheimer. Schwarze Luftballons wiegen sich im Wind. Trillerpfeifen sind keine zu hören; das ist wohl Corona geschuldet. Die IG Metall kennt sich mit Symbolik aus. „Ohne Zukunft sehen wir schwarz“, ist auf Transparenten zu lesen. Die Lage hat sich zugespitzt, sagen die Betriebsräte und denken dabei an die laufenden Verhandlungen.

 

Die Sorge um ihre Arbeitsplätze treibt die Beschäftigten des Autozulieferers Mahle Behr, einer Tochter des Mahle-Konzerns, an diesem nasskalten Oktobertag vor die frühere Behr-Zentrale an der Mauserstraße in Stuttgart-Feuerbach. 1300 Teilnehmer hat die IG Metall gezählt.

Nun mache das Management Druck

Rückblende: Vor mehr als einem Jahr hat der Mahle-Konzern angekündigt, dass er deutschlandweit 2000 Stellen – und weltweit 7600 – streichen will. Es wurden Programme aufgelegt, um Kündigungen zu vermeiden. Diese wurden auch recht gut angenommen; rund 80 Prozent des geplanten Abbaus konnten so geräuschlos vollzogen werden, ist zu hören. Doch nun mache das Management Druck, sagen Ljiljana Culjak und Nektaria Christidou unisono. Sie sind die Betriebsratsvorsitzenden von Mahle Behr, also dem Bereich von Mahle, der sich mit dem Thermomanagement beschäftigt. Culjak vertritt die Belegschaft am Entwicklungsstandort in Stuttgart-Feuerbach und Christidou im Werk Mühlacker.

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Der Druck erhöht hat sich etwa am Standort Stuttgart-Feuerbach. 39 Millionen Euro sollen die Beschäftigten nun einsparen, erzählt Culjak aus der letzten Verhandlungsrunde. Der Grund: Die ursprünglichen Mahle-Pläne von 2020 sahen vor, dass 350 Entwicklungsstellen dem Rotstift zum Opfer fallen sollen. Es fehlen nach aktuellem Stand 98 Freiwillige, um die Abbauzahl zu erreichen. Deshalb sollen nun die Beschäftigten den Gürtel enger schnallen, „um die Einsparlücke zu schließen“, kritisiert Culjak. Eine Investitionszusage gebe es aber nicht. „Wir lassen uns nicht erpressen“, fügt sie hinzu.

Beschäftigungssicherung bis 2026 gefordert

Der Druck hat sich auch im Werk Mühlacker erhöht, erläutert Christidou. Zunächst sollten dort 199 Stellen gestrichen werden, dann wurde die Zahl wegen guter Auftragslage auf 94 nach unten korrigiert, später sei sie wieder erhöht worden. Aktuell, so die Betriebsratschefin, seien 500 Stellen in den nächsten drei Jahren bedroht.

Dabei haben die Sparmaßnahmen bei Mahle Behr eigentlich wenig mit der Transformation zu tun, kritisieren die beiden Betriebsrätinnen. Denn die Mahle-Tochter sei etwa für die Klimatisierung in Fahrzeugen zuständig – und die sei unabhängig von der Antriebsart. Ihre Kritik: Jede Stelle, die in Stuttgart eingespart werde, werde an einen billigeren Standort in Osteuropa verlagert. Sie fordern Perspektiven für die Standorte und eine Beschäftigungssicherung bis 2026.

Mahle äußert sich zurückhaltend

Der Linken-Politiker Bernd Riexinger nimmt dieses Argument gerne auf. „Es geht um die Industrieregion Stuttgart“, ruft er den Anwesenden zu. Und: „Eine erfolgreiche Transformation ohne Belegschaften wird nie funktionieren.“

Mahle reagiert zurückhaltend auf die Protestaktion der Beschäftigten. Der aus „derzeitiger Sicht weiterhin bestehende Personalanpassungsbedarf sowie die strukturelle Ausrichtung der Standorte Stuttgart-Feuerbach und Mühlacker für die Zukunft sind Gegenstand der laufenden Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern“, sagte ein Sprecher. Und: „Unser Ziel ist es, hierzu in den kommenden Wochen mit den Arbeitnehmervertretern eine Verständigung zu erzielen. Zu weiteren konkreten Inhalten der Gespräche werden wir uns nicht äußern, solange die Verhandlungen andauern.“ Aus Sicht des Unternehmens seien die „bisherigen gemeinsamen Gespräche konstruktiv und zielgerichtet“ verlaufen. Es seien bereits „klare Signale betreffend einer Kompromiss- und Lösungsfindung gegeben“ worden. Nun sollen, so seine Hoffnung, die „Gespräche und Verhandlungen sehr zeitnah fokussiert und zielführend“ fortgesetzt werden.

Zwei Geschäftsführerinnen gehen auf die Demonstrierenden zu

Dies könnte klappen. Zwar kritisiert Betriebsrätin Christidou, dass sich die Geschäftsführung „eingeigelt“ habe. „Kommt raus und sprecht mit uns“ – dreimal in Folge ruft die Betriebsratschefin von Mühlacker diesen Satz ins Mikrofon. Als ob der Ruf in der Mahle-Zentrale in Bad-Cannstatt gehört worden wäre, gesellten sich dort zum Abschluss der Aktion, als die Demonstrierenden vor die Konzernzentrale zogen, gleich zwei Mahle-Geschäftsführerinnen zu ihnen: Jumana Al-Sibai, die den Bereich Thermomanagement verantwortet, und die Arbeitsdirektorin Anke Felder.

Die Mahle-Geschäfte haben sich zuletzt deutlich erholt

Corona
Die Pandemie hat deutliche Spuren in den Zahlen des Mahle-Konzerns hinterlassen. Im vergangenen Jahr ist der Umsatz um knapp 19 Prozent eingebrochen. Der Zulieferer hat tiefrote Zahlen geschrieben. Unter dem Strich wird für 2020 ein Verlust von 434 Millionen Euro ausgewiesen; bereits das Jahr zuvor war verlustreich (minus 212 Millionen Euro).

Erholung
In diesem Jahr laufen die Geschäfte deutlich besser. Mahle hat im ersten Halbjahr einen Umsatzsprung von 32 Prozent auf 5,7 Milliarden Euro verbuchen können. Auch der Gewinn ist mit 55 Millionen Euro wieder positiv.

Beschäftigte
Ende vergangenen Jahres hat das Stiftungsunternehmen weltweit exakt 72 184 Mitarbeiter beschäftigt. Das waren fast 7400 weniger als Ende 2018. Damals standen knapp 79 600 Personen auf der Gehaltsliste, weder in den Jahren davor noch danach wurde ein so hoher Wert erreicht.