„Babylon Berlin“ hat das deutsche Fernsehen vor drei Jahren grandios mit lautem Knall aus seinem Dornröschenschlaf gerissen. Nun feiert die dritte Staffel des Serienungetüms aus Krimi, Revuefilm, Sozialdrama und 1920er-Panoptikum im Ersten Free-TV Premiere.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Wer besser fernsehen will, musste vor ein paar Jahren noch TV-Serien aus den USA, aus Großbritannien oder Skandinavien schauen. Während in diesen Ländern bereits das goldene Zeitalter hochwertiger Serienunterhaltung angebrochen war, taugte Deutschland nur als weißer Fleck auf der Weltkarte der Qualitätsserien. Außerhalb der Landesgrenzen kannte und wollte keiner deutsche Serien. Doch dann kam „Babylon Berlin“ und zeigte dem Rest der Welt, dass Deutschland auch Serie kann.

 

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Inzwischen beweisen das zum Beispiel auch das Mysterydrama „Dark“, der Finanz-Thriller „Bad Banks“, das gerade bei der Emmy-Verleihung ausgezeichnete Drama „Unorthodox“ oder die Serienfassung von „Das Boot“. „Babylon Berlin“ hat die Sender in Deutschland gelehrt, dass es sich lohnt, etwas zu wagen. Sky hat sich getraut, gleich drei Regisseure – Henk Handloegten, Achim von Borries und Tom Tykwer – Geschichten erzählen zu lassen, die ein bisschen verworrener sind als die, die man sonntagabends beim „Tatort“ zu sehen bekommt. Und das Erste hat sich getraut, mit Sky gemeinsame Sache zu machen, mal nicht sofort nur auf die Quoten zu schielen, sondern auch mal eine Nummer größer zu denken, weil man nur so international mithalten und es mit Streamingdiensten wie Netflix oder Amazon Prime aufnehmen kann.

Wenn der Stummfilmstar vom Scheinwerfer erschlagen wird

Dass das Serienungetüm „Babylon Berlin“ nicht grandios gescheitert ist, liegt aber auch an Volker Kutschers Krimis, auf denen die Serie beruht. Die ersten beiden Staffeln arbeiteten sich an Kutschers erstem Gereon-Rath-Roman „Der nasse Fisch“ ab. Die dritte Staffel, die an diesem Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten startet und den „Tatort“ ersetzt, adaptiert den Band „Der stumme Tod“: In den Filmateliers Neubabelsberg wird bei Dreharbeiten die Filmdiva Betty Winter von einem Scheinwerfer erschlagen. War es ein Unfall? War es Mord? Gereon Rath (Volker Bruch) und Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) ermitteln, und natürlich ist alles nicht so, wie es zunächst scheint.

Doch der Krimiplot ist nur einer von vielen Handlungssträngen, die die dritte „Babylon Berlin“-Staffel verknäult. So haben Handloegten, von Borries und Tykwer Kutschers Geschichte, die eigentlich in den 1930er Jahren spielt, etwas vorverlegt, um auch den Börsencrash im Oktober 1929, mit dem die Goldenen Zwanziger scheppernd und krachend zu Ende gingen, spektakulär in Szene zu setzen.

Zwanzigerjahre-Gassenhauer inklusive

Die neue Staffel beginnt mit einer albtraumhaften Sequenz, in der Gereon Rath durch eine Bank taumelt, die sich in ein Irrenhaus verwandelt hat. Es schneit Papier von der Decke. Die Wirklichkeit ist seltsam verzerrt, Geräusche dringen nur dumpf gedämpft durch. Ein Mann jagt sich eine Kugel in den Kopf, ein anderer baumelt von der Galerie, und mit wächsernem Gesichtsausdruck wankt und stolpert Gereon Rath als kafkaesker Held zum Ausgang.

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Solche Szenen, solche Einfälle sind es, die „Babylon Berlin“ so außergewöhnlich machen. Die Serie ruht sich nicht auf der Krimistory aus, und sie begnügt sich nicht damit, als hübsch dekoriertes Historienstück wie „Ku‘damm 56“ oder „Charité“ Geschichtsunterricht zu geben. „Babylon Berlin“ will mehr, ist auch Milieustudie, Psychodrama, politisches Lehrstück und eine wunderbar verschachtelte Hommage an den Revuefilm. Erneut setzt die Serie auf Musik, die nach kurios verfremdeten Gassenhauern aus den 1920ern klingt. Und immer wieder werden einzelne Einstellungen und Szenen in eigenständige Kunstwerke verwandelt, in aufwendig arrangierte Wimmelbilder. Die albtraumhafte Eröffnung ist letztlich das düstere Spiegelbild zu der Film-im-Film-Szene, in der Betty Winter ihr letztes Lied singt und mit den Worten „Und in der Seele brennt nichts als Schmerz“ stirbt. Ob Charlotte Ritter und ihre Mitbewohnerin in ihrer Nachtschläfer-Wohnung zu Claire Waldoffs „Raus mit den Männern aus dem Reichstag“ die Wäsche des Tagschläfers wegpacken oder sich die Serie in das Gewusel der Stadt stürzt – stets sind diese Szenen virtuos choreografiert.

So geht Serie heute

Denn letztlich geht es in „Babylon Berlin“ um die Lust am Filmemachen, um die Lust, eine aufregende Zeit, eine nicht zur Ruhe kommende Stadt szenisch zu erkunden, um die Lust, einige der besten Schauspieler, die Deutschland zu bieten hat, zeigen zu lassen, was sie können. Neu im Ensemble sind diesmal etwa Ronald Zehrfeld, Meret Becker oder Martin Wuttke. Und immer wenn man glaubt, jetzt verheddern sich die drei Regisseure doch ein bisschen in ihrem Erzählmoloch, stellen sie mit der nächsten Szene ihre Story einfach wieder auf den Kopf. So geht Serie heute.

Info

Mit drei Folgen und einer begleitenden Dokumentation startet die neue Staffel von „Babylon Berlin“ am Sonntag, 11. Oktober, um 20:15 Uhr im Ersten. Drei weitere Folgen strahlt Das Erste am Mittwoch, 14. Oktober um 20:15 Uhr aus. Jeweils zwei Folgen sind am 15., 21. und 22. Oktober um 20:15 Uhr zu sehen.

Alle neuen Folgen gibt es dann zum Start der neuen Staffel vorab in der ARD Mediathek. Staffel eins und zwei stehen bereits online.