Die Stadt Backnang zieht so viel Kaufkraft aus dem Umland an, wie keine andere Kommune in der Region. Der Wirtschaftsbeauftragte der Stadt, Ralf Binder, sagt: Die Kommune habe ihre Chancen genutzt. Aber es drohen Probleme.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Eine aktuelle Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) weist Backnang als die Stadt in der Region Stuttgart aus, die mehr Kaufkraft aus dem Umland anzieht, als alle anderen Kommunen. Wie kommt das? Was muss Backnang tun, damit das so bleibt? Ein Gespräch mit dem Wirtschaftsbeauftragten der selbst ernannten Murr-Metropole, Ralf Binder.

 
Herr Binder, laut einer IHK-Studie zieht keine Stadt in der Region mehr Kaufkraft aus dem Umland an als Backnang. Fachleute sprechen von hoher Zentralität. Ist das nur Statistik? Oder was sagt diese Zahl aus?
Die Zahl sagt aus, wie stark sich eine Stadt gegenüber dem Umland behaupten kann. Die hohe Kennziffer ist gut für Backnang.
Warum ist der Wert denn so hoch?
Die Menschen aus dem Umland wollen bei uns einkaufen. Es lohnt sich, nach Backnang zu fahren. Wir haben viele Fachmärkte, in Backnang arbeiten gut elf Prozent aller Beschäftigten im Einzelhandel. Im Kreis sind es im Schnitt nur 6,6 Prozent. Auch die Innenstadt ist interessant, es gibt viele inhabergeführte Fachgeschäfte.
Spiegeln die hohen Werte womöglich Probleme der Umlandkommunen? Fahren die Leute notgedrungen nach Backnang, weil es rundum kaum mehr Geschäfte gibt?
Im Umland gibt es jedenfalls keinen vergleichbaren Pol, der Kaufkraft anziehen könnte. Ein Pol, der sogar aus Backnang Käufer abzieht, ist das Breuningerland in Ludwigsburg.
Städte wie Winnenden nicht?
Winnenden spielt vielleicht eine kleine Rolle. Aber es gibt bestimmt mindestens so viele Winnender, die zum Einkauf nach Backnang kommen.
Was hat Backnang besser gemacht als viele andere Städte? Oder ist es einfach Glück, dass das Umland so groß ist?
Backnang ist ein sogenanntes Mittelzentrum, wir haben planerisch andere Möglichkeiten. Ein großer Fachmarkt mit mehr als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche darf schlicht nicht überall gebaut werden. Wir haben also gute Rahmenbedingungen, was die Regionalplanung angeht. Wir haben die Chancen aber auch gut genutzt. Angesiedelt haben sich zum Beispiel die beiden Kaufländer, die auch immer wieder investiert haben und gewachsen sind. Ein starker Player ist auch die Opti Wohnwelt in Waldrems. Wir haben auch mitten in der Stadt große Verkaufsflächen hinzubekommen, zum Beispiel H&M in der Grabenstraße. Das findet man nicht überall, das ist unsere besondere Stärke: viele verschiedene Ladengeschäft in der Innenstadt.
Und dazu das Biegel-Quartier...
Stimmt – in der 1990er-Jahren kamen dort die heute von C&A und dm genutzten Flächen dazu. Im Schweizerbau sind 5000 Quadratmeter Verkaufsfläche entstanden. Wir haben insgesamt rund 138 000 Quadratmeter Verkaufsfläche in Backnang, das ist deutlich mehr als früher.
Wegen des ständig wachsenden Onlinehandels könnte man erwarten, dass der örtliche Handel auch in Backnang zurückgeht. Er wächst aber leicht: Wie kommt das?
Auch in Backnang dürften sich die Anteile des Onlinehandels stark erhöht haben, aber absolut gesehen wächst der stationäre Handel – schlicht, weil die Einwohnerzahl wächst. Wir profitieren vom Zuzug.
Die Innenstadt ist komplett intakt? Oder gibt es Leerstände?
Vor zehn, 15 Jahren gab es in der Tat einige Leerstände. Wir haben zurzeit aber keine größeren freien Verkaufsflächen. In der Marktstraße haben wir ein paar kleinere Leerstände. Oft wollen die Eigentümer aber auch gar nicht vermieten.
Bleibt das alles von ganz allein gut – oder was muss getan werden?
Die spannende Frage lautet: Wie geht es mit den Fachmärkten weiter? Diese Fachmärkte verfügen über geschätzt dreiviertel aller Verkaufsflächen in Backnang. Wenn der Internethandel weiter zunimmt, dann werden das speziell die Fachmärkte zu spüren bekommen. Ich fürchte, wir werden Flächen verlieren. Und wir können kaum dagegenhalten, denn Fachmärkte sind beliebig, die sehen alle gleich aus.
Könnten frei werdende Fachmärkte anders genutzt werden?
Eine spannende Frage. Sicher nicht komplett von Einzelhandelsgeschäften. Vielleich von Dienstleistern, etwa aus dem IT-Bereich. Aber ob so jemand mit solchen Immobilien klar kommt, das bleibt dann abzuwarten. Das dürfte auch zu interessanten Diskussionen im Gemeinderat führen. Es müsste nämlich ein Rad zurückgedreht werden: Wir müssten Einzelhandelsflächen abbauen, erstmals seit 70 Jahren.
Sehen Sie ähnliche Probleme für die Innenstadt?
Nein, da bin ich optimistischer.
Warum?
Die Menschen gehen in die Innenstadt, weil sie zu einer Behörde müssen, weil sie im Eiscafé sitzen wollen, weil sie individuelle Geschäfte besuchen wollen, weil sie wissen: sie finden hier nicht nur Massenware. Die Menschen werden auch künftig in unsere schöne Innenstadt kommen.
Also bis dato alles gut in Backnang?
Könnte man aktuell so sagen – aber wir haben schon Herausforderungen. Beim Schuheinzelhandel verlagert sich zurzeit sehr viel Geschäft ins Internet. Es wird sicher schwieriger, bei Geschäftsaufgaben Nachfolgelösungen zu finden.
Fehlen denn bereits heute spezielle Geschäfte in Backnang?
Wenn etwas fehlt, dann ein weiteres Herrenbekleidungsgeschäft. Aber die Herren kaufen ja generell nicht so viel im Einzelhandel ein. Und ein Lebensmittelgeschäft mitten in der Innenstadt, das wäre auch auf unserer Wunschliste. Es gibt den Wochenmarkt und ein paar kleine Geschäfte, aber in dem Bereich haben wir gewisse Defizite.
Stichwort B-14-Ausbau: Sehen Sie die Gefahr, dass die Menschen aus dem Umland nach der Fertigstellung der vierspurigen Straße an Backnang vorbei rauschen?
Das glaube ich eher nicht. Zu so einer Verlagerung käme es doch nur, wenn die Leute sagen würden: Es lohnt sich nicht mehr nach Backnang zu fahren. In Richtung Stuttgart trifft man regelmäßig auf Staus, und bei Stau könnte man gleich nach Backnang abbiegen. Backnang wird in der Wahrnehmung der Stuttgarter als Freizeitziel vielleicht sogar interessanter, weil man auf der neuen B 14 künftig schneller hier sein wird. Aber als Einkaufsstadt werden wir deshalb wohl nicht interessanter für die Waiblinger oder für die Stuttgarter.