Susanne Ebrahim und Tina Laubengeiger sind Brot-Fans. Mit Mitte 50 haben sie ihr Leben auf den Kopf gestellt und die Backstube „Brotsucht“ in Waiblingen eröffnet. Fleißige Mikroorganismen spielen dort eine Hauptrolle.

Ohne Bruno, Jogi und Diva würde in der Backstube Brotsucht in Waiblingen im wahrsten Sinne des Wortes nichts gehen – weder der Teig für das Brot aus Manitobaweizen, noch der für das Baguette mit karamellisierter Kruste oder für das Kastenbrot aus dreierlei Korn. Die liebevoll benamsten drei Sauerteigkulturen sind unverzichtbare Mitarbeiter für Susanne Ebrahim und Tina Laubengeiger, denn mit ihren Mikroorganismen fungieren sie als Triebmittel für die Teige der elf Brotsorten, welche die 56-jährigen Frauen in ihrer Backstube im Waiblinger Industriegebiet Ameisenbühl handwerklich herstellen.

 

Ihre Backstube haben die Frauen Ende des vergangenen Jahres in einem denkmalgeschützten Backsteinbau eingerichtet, der einst als Festsaal der vor rund 16 Jahren geschlossenen Ziegelei Hess diente. Ihr Ziel: „Wir versuchen, tolle Brote herzustellen, sowohl vom Geschmack als auch von der Verträglichkeit her.“ Ein Blick auf die Reaktionen im Netz zeigt, dass die Existenzgründerinnen offenbar auf dem richtigen Weg sind.

Mit einer Unverträglichkeit hat alles angefangen

„Wir haben eine supernette, sehr interessierte Kundschaft“, schwärmt Susanne Ebrahim. Dass zu dieser auch etliche ehemalige Bäcker gehören, freut das Duo besonders. Gutes Brot zu machen, sei eine Kunst, sagen die Bäckerinnen. Diese haben sich Susanne Ebrahim und Tina Laubengeiger überwiegend selbst angeeignet, denn sie sind Quereinsteigerinnen, die zuvor viele Jahre in ganz anderen Branchen gearbeitet haben. Susanne Ebrahim war in der Automobilsparte tätig, Tina Laubengeiger im Bereich Pflege. Brotfans sind beide seit jeher. „Aber irgendwann habe ich das Industriebrot nicht mehr vertragen“, sagt Tina Laubengeiger. Dass viele Betriebe mit Enzymen, die nicht natürlich sind, arbeiten, sieht sie kritisch: „Was damit im Körper passiert, weiß keiner.“

Deshalb fing sie an, selbst Brot zu backen. Die heimische Küche wurde zur Experimentierbackstube, der Kühlschrank zur Brutstätte für allerlei Sauerteigstarter. Anders als die industriell hergestellten Reinzuchtsauerteige enthalten diese „eine muntere Gemeinschaft unterschiedlicher Bakterien, wie sie bei einer Spontangärung entstehen“, heißt es auf der Internetseite der Backstube. „Sauerteige musst du füttern und pflegen, jede Sorte hat ihren eigenen Lebensrhythmus“, sagt Tina Laubengeiger.

Sauerteig muss gehegt und gepflegt werden

Diva, die Fruchtige, Bruno, der Gutmütige, sowie der triebstarke Jogi werden deshalb regelmäßig mit ihrer Lieblingsnahrung versorgt. Die Milchsäurebakterien und Hefen eines Sauerteigs dienen nicht nur als Triebmittel und Aromageber. Die von den Bakterien erzeugte Säure hält das Brot auch länger frisch und beugt Schimmelbildung vor. Nützliche kleine Helfer also, wenn auch durchaus launisch. „Sauerteig ist ein echtes Abenteuer“, sagt Susanne Ebrahim, „wenn man so backt wie wir, gibt es immer wieder Überraschungen.“

Denn die Mikroorganismen reagieren auf Tief- oder Hochdruck, hohe oder niedrige Temperaturen, feuchte und trockene Witterung. „Der plötzliche Kälteeinbruch im Dezember hat uns kalt erwischt“, nennt Tina Laubengeiger ein Beispiel – der Sauerteig ging deshalb zu langsam, was den gesamten, sorgsam getakteten Produktionsablauf durcheinander brachte.

Die Handwerkskammer erlaubt maximal vier Brotsorten pro Tag

Pro Tag dürfen Tina Laubengeiger und Susanne Ebrahim nur vier verschiedene Brotsorten backen. Das ist eine Auflage der Handwerkskammer, weil keine der Frauen einen Meisterbrief besitzt, und dieser ist Voraussetzung für den Betrieb einer Vollsortimentsbäckerei. Fragen Kunden nach Croissants oder Brioche, können Tina Laubengeiger und Susanne Ebrahim daher nur bedauernd den Kopf schütteln. „Als Quereinsteiger hast du es recht schwer“, sagt Susanne Ebrahim. Um überhaupt Brot backen und verkaufen zu können, brauche es eine schriftliche und praktische Prüfung auf Meisterniveau.

Während der Testphase vor Eröffnung der Waiblinger Backstube verschenkten die Frauen ihre am Wochenende produzierten Erzeugnisse an Freunde, Bekannte und Nachbarn. Die Rezepte für ihre Brote haben sie über einen Zeitraum von rund drei Jahren ausgetüftelt. „Es sollten immer Brote sein, die zu allem passen“, sagt Tina Laubengeiger. Ihre Mehle bezieht die Backstube Brotsucht bevorzugt aus der Region, zum Beispiel aus der Hegnacher Mühle in Waiblingen oder aus dem Hohenlohe-Kreis. Gerste, Hafer, Weizen, Roggen, Schwarzroggen, Dinkel, Emmer, Buchweizen – „bei uns ist für jeden etwas dabei“.

Das Weizenmehl fürs Baguette kommt natürlich aus Frankreich

Einige Brote sind reine Sauerteigbrote, bei anderen fügen die Bäckerinnen etwas Biohefe hinzu – etwa beim Baguette „Franzose“, dessen Weizenmehl aus Frankreich stammt und einen höheren Zuckergehalt hat. „Wir versuchen, so wenig wie möglich Hefe zu verwenden“, sagt Tina Laubengeiger. Denn häufig sei ein zu hoher Anteil die Ursache für Unverträglichkeiten: „Wenn man nur mit Hefe backt und das schnell, wird sie nicht abgebaut und gärt im Bauch.“

Welche Brotsorten an welchem Tag in den Regalen liegen, das verrät eine Wochenübersicht auf der Internetseite der Backstube. Dort sind auch Vorbestellungen möglich. „Die helfen uns sehr bei der Planung“, sagt Susanne Ebrahim. Das Pensum des Duos liegt bei maximal 230 Broten täglich. Dabei gilt die Devise: Lieber ausverkauft, als dass etwas im Abfall landet. Gebacken wird immer dienstags bis freitags von 7 Uhr morgens bis zum frühen Nachmittag. Ab 15 Uhr gehen die Brote dann über den Verkaufstresen. Dass ihnen so das nächtliche Backen erspart bleibt, finden Susanne Ebrahim und Tina Laubengeiger richtig gut. „Zwölf Stunden muss Ruhe sein“, findet Tina Laubengeiger – so lange müssen sich auch Diva, Jogi und Bruno gedulden.

Brotsucht aus Waiblingen

Firma
Die Backstube Brotsucht hat seit November 2022 ihren Sitz auf dem Gelände des Technologie- und Zukunftsparks Hess unweit des Waiblinger Bahnhofs. Die Geschäftszeiten sind dienstags bis freitags von 15 bis 18.30 Uhr. Auf der Internetseite kann man Brote vorbestellen, mit einer Vorlaufzeit von mindestens 24 Stunden.

Kontakt
Brotsucht GbR, Ameisenbühl 37 in 71332 Waiblingen.

Weitere Information im Internet unter: www.brotsucht.de