Das riskante Funkloch an der Unfallstrecke ist in aktuellen DB-Streckenmängellisten weiter enthalten - entgegen den offiziellen Angaben.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Im Zusammenhang mit riskanten Empfangslücken, die den Zug- und Notruf-Funk auf mehr als 250 Bahnstrecken stören, und der tödlichen Zugkollision bei Bad Aibling verstrickt sich die Deutsche Bahn AG erneut in Widersprüche. Aktueller Anlass ist die Tatsache, dass auch die neue DB-Streckenmängelliste, die vom 8. bis 14. April gilt, weiterhin ein 400 Meter großes Funkloch am Bahnhof Kolbermoor ausweist (siehe Abbildungen). Nach Darstellung des Staatskonzerns soll die Empfangslücke bereits seit 2010 durch einen Zusatzverstärker beseitigt worden sein. Ein Informant der „Stuttgarter Zeitung“, der seit Jahrzehnten bundesweit Züge fährt und alle Listen kennt, bezeichnet diese Behauptung als wenig glaubwürdig.

 

Die so genannten „La-Listen“ (für Langsam-Fahrstelle) sind das verbindliche Regelwerk für alle Lokführer und führen Baustellen, aber auch Funklöcher detailliert auf. Das Funkloch am Bahnhof Kolbermoor in Oberbayern ist so brisant, weil dort am 9. Februar gegen 6.45 Uhr der Regionalzug 79506 losfuhr, der nur zwei Minuten später auf eingleisiger Strecke mit dem verspäteten Zug 79505 kollidierte, der fast zeitgleich im Bahnhof Bad Aibling in Gegenrichtung gestartet war. Bei dem Unglück, einem der schwersten Bahnunfälle in Deutschland seit Kriegsende, starben elf Menschen, darunter die Lokführer, 85 Fahrgäste wurden teils schwer verletzt. Der Fahrdienstleiter, der die Züge offenbar versehentlich auf Kollisionskurs schickte und gegen den wegen fahrlässiger Tötung ermittelt wird, versuchte den Zusammenprall noch durch zwei Notrufe zu verhindern, die aber ins Leere gingen.

Funkloch könnte mitverantwortlich sein

Die „Stuttgarter Zeitung“ deckte zehn Tage nach dem Unglück auf, dass dafür auch das Funkloch am Bahnhof Kolbermoor verantwortlich sein könnte, das ausweislich der DB-Listen bereits seit 10. August 2010 existiert. Zudem ergaben weitere wochenlange Recherchen, dass bundesweit und in wachsendem Ausmaß solche riskanten Lücken im DB-Notrufsystem bestehen, die vor allem durch den Ausbau kommerzieller Mobilfunknetze verursacht werden. Die Deutsche Bahn AG, deren Tochter DB Netz AG das bundeseigene Schienennetz betreibt, bestritt zunächst die Funklöcher, verharmloste dann die Probleme und verstrickte sich später in Widersprüche. Auf Anfrage erklärte ein DB-Sprecher noch am Freitag erneut, das Funkloch in Kolbermoor sei seit 2010 nicht mehr vorhanden und werde in den – wöchentlich erscheinenden – La-Listen seither versehentlich „mitgeschleppt“.

Das würde bedeuten, dass die seither erschienenen fast 300 Mängellisten für die Lokführer allesamt falsche Angaben enthielten und die sicherheitsrelevanten Listen nachlässig erstellt und gepflegt würden. Der DB-Sprecher erklärte zudem, das Funkloch in Kolbermoor sei in den neuen Listen „nicht mehr enthalten“, da polizeiliche Messungen nach dem Unglück ergeben hätten, dass es keine Empfangslücken an der Unglücksstrecke gebe. Wie berichtet hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nach den StZ-Berichten das LKA mit eigenen Messungen beauftragt.

Am Samstag korrigiert sich die Bahn

Nachdem die „Stuttgarter Zeitung“ noch am Freitag die aktuelle La-Liste recherchiert und die DB mit dem Inhalt konfrontiert hatte, korrigierte der Konzern am Samstag seine Aussage: „Tatsächlich ist der Eintrag noch vorhanden.“ Die Erklärung dazu: Der Eintrag dürfe erst nach „amtlicher Bestätigung“ gelöscht werden und in der nächsten La-Liste am 14. April werde das der Fall sein. Erfahrene Lokführer sehen die DB-Aussagen in diesen Sicherheitsfragen und die Einordnung der LKA-Messungen mit großem Misstrauen. „Manche Funklöcher können durch zeitweise Erhöhung der Sendeleistung blitzschnell beseitigt werden“, sagt ein Informant. „Der Verdacht, dass das auch in Bad Aibling nach dem Unfall getan wurde, liegt nahe.“ Entwarnung sei nicht angebracht.

Vor Risiken durch Lücken im Notrufsystem hat der leitende DB-Experte für Zugfunk bereits 2011 die Bundesnetzagentur gewarnt. Es bestünden „erhebliche Gefahren für die Betriebssicherheit und damit für Leib und Leben der Fahrgäste“, wenn die schon damals stark zunehmenden Störungen des Zug-Notrufsystems durch den Ausbau kommerzieller Mobilfunknetze nicht beseitigt würden. Seither hat sich die Zahl der Funklöcher in den LA-Listen nochmals auf nun mehr als 1000 vervielfacht.