Bei Artenrettung denken die meisten wohl an Insekten. Doch auch bei Pflanzen spielt das Thema eine Rolle, nicht zuletzt im Zusammenhang mit Lebensmitteln. Aber lohnt der Aufwand aus wirtschaftlicher Sicht?

Bad Krozingen - – Noch sieht der Laie den großen grünen Blättern nicht an, dass es sich um Blumenkohl handelt. Die typischen weißen Röschen bekommt er erst im Frühjahr. Der Wainfleet ist ein Überwinterungsblumenkohl, der in der vergangenen Saison - gepolstert unter einer Schneedecke - minus 18 Grad überstand. Und die Exemplare, die hier in Bad Krozingen südwestlich von Freiburg auf einem Acker wachsen, sind ein paar der letzten ihrer Art. Beziehungsweise: Sie sollen am Anfang einer Wiederbelebung stehen.

 

Die rund 250 Mitglieder der Initiative Gartencoop Freiburg, ein Verein der sogenannten solidarischen Landwirtschaft, baut regional und ressourcenschonend „samenfeste“ Kulturen an. Das bedeutet, dass man die Pflanzen über geerntete Samen weiter anbauen kann und die nächste Generation die gleichen Eigenschaften hat - es gibt also keine Kreuzungen. Als sie vor zehn Jahren angefangen hätten, habe einer der Gärtner den Wainfleet mitgebracht, berichtet Luciano Ibarra. Doch irgendwann sei das Saatgut beim Händler aufgebraucht gewesen, und sie stellten fest: Es war auch sonst nirgends zu bekommen.

Die Herausforderungen

„Also haben wir unsere Pflanzen selbst zur Blüte gebracht“, sagt Ibarra. „Wir haben Glück gehabt, es hat geklappt.“ Das Unterfangen sei gar nicht so einfach: Die Pflanzen müssen vor Schneckenfraß und der Kohlfliege geschützt werden. Erst im Sommer blühen sie. Dann dürfen sie sich nicht mit anderen Arten kreuzen. Zu diesem Zweck baut die Gartencoop einen Tunnel über ihre Wainfleet-Exemplare, wie Ibarra berichtet. Hummeln sorgen für die Bestäubung. Auch sie dürfen den Tunnel nicht verlassen, um keine anderen Pollen einzutragen.

Mit Hilfe der Bingenheimer Saatgut AG will die Gartencoop genügend Samen produzieren, so dass auch auf anderen Äckern Wainfleet angebaut werden kann. „Das Wainfleet-Projekt befindet sich noch in der Erprobungsphase“, erklärt Michael Buß von der Saatgut AG. Die Sorte werde noch im internen Versuchsanbau und im Sortenvergleich getestet. Eine konkrete Planung zur Markteinführung gebe es noch nicht.

Ein kleiner Trend

Dass alte Sorten wiederbelebt werden, ist an sich kein neuer Trend. Die Erzeugergemeinschaft Alb-Leisa in Lauterach etwa hatte vor einigen Jahren in Russland Samen von Linsensorten zurück auf die Schwäbische Alb geholt, die seit den 50er Jahren als verschollen galten. Sie wurden in einer Saatgutbank in St. Petersburg entdeckt.

Von solchen Saatgutbanken gibt es mehrere. Einige sind ins tiefe Eis als eine Art überdimensionaler Kühlschrank gebaut. Aber auch in Deutschland werden seltene Samen für den Fall bewahrt, dass sie mal jemand braucht. Das „Genbänkle“ aus Nürtingen bei Stuttgart etwa versteht sich als „Netzwerk für Sortenretter und -erhalter der Nutzpflanzenvielfalt mit Schwerpunkt Baden-Württemberg“.

Lohnt sich das?

Doch lohnt die Zucht alter, samenfester Sorten aus wirtschaftlicher Sicht? Nicht wirklich, folgt man Christoph Stephan vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter. Beim Überwinterungsblumenkohl etwa sei zum einen das Anbaurisiko höher, weil Spätfröste im Frühjahr den dann schon entwickelten Blumen schaden könnten. In milden Wintern wiederum drohten Pilzkrankheiten. Auf der anderen Seite stehe das Marktrisiko: Überwinterungsblumenkohl stamme meist aus der Bretagne in Frankreich, wo die Wetterbedingungen deutlich stabiler seien. Der werde dann früher geerntet - und zu einem niedrigeren Preis verkauft.

Auch müssten die weißen Köpfe ab einem bestimmten Zeitpunkt von den Kohlblättern abgedeckt werden, damit sie nicht zu viel Sonnenlicht abkriegten und sich verfärbten. Hybride Züchtungen wachsen gleichmäßig, wie Stephan betont. Selbst da seien zwei bis fünf Durchläufe nötig, bis alle Kohlköpfe abgedeckt seien. Samenfeste Sorten seien züchtungstechnisch aber weniger perfekt, so dass noch mehr Gänge nötig seien. „Das ist eigentlich nicht mehr wirtschaftlich.“

Anbau nehme deutlich ab

Auch bei der Ernte seien deutlich mehr Gänge nötig, erklärt Sebastian Weinheimer vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz. Beide sind der Meinung, Winterblumenkohl sei eine Nischenkultur. Der Anbau nehme eigentlich kontinuierlich ab, stellt Weinheimer fest. Häufig könne Überwinterungsblumenkohl die Wünsche der Verbraucher nach Größe und Farbe nicht erfüllen. Als Kultur für den Hofladen oder den Wochenmarkt könne er aber durchaus interessant sein.

Auch Stephan räumt ein, dass es einen kleinen Markt gibt. „Die Nachfrage ist da, weil das Thema Regionalität hochgehalten wird.“ Am Ende müsse der Verbraucher die höheren Kosten aber auch zahlen.

Moderne Pflanzenkulturen überlegen

Samenfeste Sorten bezeichnet der Fachmann als Auslaufmodell. „Das ist eine Liebhaberei.“ 90 Prozent der Blumenkohlsorten auf dem deutschen Markt etwa seien Hybride. Moderne Kulturen seien den alten in vielen Bereichen überlegen - etwa bei Resistenzen gegen Krankheiten.

Und Artensterben ist laut Stephan auch kein Thema: In Europa seien alleine rund 600 Blumenkohlsorten zugelassen. „Züchter züchten jedes Jahr neue.“ Dabei werde ständig versucht, die Pflanzen zu verbessern. So wird vielleicht mal das Abdecken der weißen Röschen überflüssig.