Kommunen fordern, die Verfahren für Baugebiete zu beschleunigen. Die Stadt Herbolzheim handelt und hat ein Gewerbegebiet in ein Mischgebiet verwandelt. Nun können dort Wohnungen gebaut werden.

Stuttgart - Der rasante Anstieg der Flüchtlingszahlen im Land hat den Fokus der Politik auf einen Bereich gelenkt, der lange vernachlässigt worden ist – den Bau von bezahlbaren Wohnungen. Insbesondere in den Ballungsräumen und Universitätsstädten ist der Mangel eklatant. Beim Wohnungsbaugipfel sprach Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) von mehr als 45 000 Wohnungen, die in den nächsten Jahren jährlich gebaut werden müssten. Der Städtetag geht von 60 000 Wohnungen zusätzlich aus.

 

Jetzt sind schnelle Lösungen gefragt – und das Bauland sei knapp, klagen die Kommunen. Prompt kommen Forderungen, die strikten Regeln bei der Ausweisung von neuen Baugebieten zu lockern, Verfahren zu vereinfachen, das Baurecht zu lockern. Das von CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger ausgerufene Ziel einer „Nettonull“ beim Flächenverbrauch solle aufgegeben werden. Jüngst kündigte Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) an, das Land werde die „Instrumente zur Verhinderung von Flächenfraß lockern“, um den Wohnungsbau zu erleichtern. Der Infrastrukturminister Winfried Hermann solle diese anpassen.

Der Bestandsschutz mancher Gebäude soll aufgegeben werden

Für die Flüchtlingsunterbringung habe es mit der Änderung des Baugesetzbuches bereits Erleichterungen gegeben, teilt das Ministerium mit. Ein anderes Anliegen vieler Bürgermeister aus ländlichen Gemeinden stehe gerade auf dem Prüfstand. Es geht um längst aufgegebene Ställe oder Bauernhöfe in den Dörfern, die unter Bestandsschutz stehen und so eine innerörtliche Entwicklung verhindern. Dieses Hemmnis beklagt auch Steffen Jäger, Beigeordneter des Gemeindetags. Das Ministerium prüft derzeit mit dem Gemeindetag und dem Landwirtschaftsministerium, ob ein „Erlöschen einer Baugenehmigung“ möglich ist, wenn die Nutzung länger unterbrochen wurde.

Der Gemeindetag hat weitere Forderungen: Es sollten nicht mehr bei „jedem Hektar Wiese“ eine komplette Vegetationsperiode für den Nachweis von Tier- oder Pflanzenarten abgewartet werden. Die neuen Hochwassergefahrenkarten sind für Jäger ebenfalls ein Bauhemmnis. Der Gemeindetag fordert, den Bedarfsnachweis zeitlich auszusetzen. Alle Gemeinden im Land seien bei der Flüchtlingsunterbringung gefordert. Deshalb hätten alle Kommunen mehr Bedarf an schnell verfügbarem Bauland. „Die Flüchtlinge sind eine große Chance für den Wohnungsbau“, sagt Jäger. Kreativ geht die knapp 10 000 Einwohner zählende Stadt Herbolzheim im Landkreis Emmendingen die Wohnungsnot und das Thema Flüchtlingsunterkünfte an. Die Belegung von Turnhallen oder anderen Massenquartieren möchte Bürgermeister Ernst Schilling vermeiden.

Das „Herbolzheimer Modell“ findet landesweit Beachtung

Kurzerhand wurde ein Gewerbegebiet in ein Mischgebiet umgewandelt und so Wohnungsbau ermöglicht. Zunächst für Flüchtlinge, später sei eine Umwandlung in Sozialwohnungen möglich. Zusätzlich konnten unbebaute innerörtliche Grundstücke gewonnen werden – mehr als hundert Wohneinheiten seien so erschlossen worden. Das Besondere in Herbolzheim aber sind die massiven, modularen, energieeffizienten und im Erdgeschoss barrierefreien Holzhäuser. Das erste sei „in nur acht Monaten und zwei Tagen“ errichtet worden, berichtet Schilling stolz, die Finanzierung sei über langfristige Pachtverträge mit dem Landkreis gesichert. Das „Herbolzheimer Modell“ hat dem Bürgermeister inzwischen mehr Arbeit beschert – es findet landesweit Beachtung.