Der Lockdown wird verlängert, es soll mehr Homeoffice geben, im ÖPNV und beim Einkaufen müssen medizinische Masken getragen werden. Das Land will die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz umsetzen, aber in einigen Bereichen auch davon abweichen – vor allem bei den Schulen.

Stuttgart - Mit eindringlichen Worten hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach den Beratungen mit seinen Amtskollegen und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die erneute Verlängerung des Lockdowns sowie die Verschärfung weiterer Corona Maßnahmen verteidigt. Trotz des in Baden-Württemberg von 208 auf 105 halbierten wöchentlichen Neuansteckungswertes pro 100000 Einwohner gebe es „keinen Grund zur Entwarnung“. Das liege vor allem an der in Irland und Großbritannien grassierenden Coronavirusvariante, die zwangsläufig auch nach Deutschland kommen werde. „Abwarten wäre unverantwortlich“, sagte Kretschmann am Dienstagabend in einem Videostatement: „Wir müssen jetzt vor die Lage kommen.“ Obwohl sie sicherlich „erschöpft und genervt“ seien, appellierte er zudem an die Bürger, den Maßnahmen zum Erfolg zu verhelfen: „Halten Sie durch!“

 

Die Pflicht zum Tragen mindestens einer medizinischen Maske im Öffentlichen Personennahverkehr, auf die sich Bund und Länder verständigt haben, wird auch in Baden-Württemberg eingeführt. Kretschmann kündigte auch an, mehr Busse und Bahnen einsetzen zu wollen, um mehr Abstand zwischen den Fahrgästen gewährleisten zu können. In die überarbeitete Corona-Verordnung des Landes wird auch die Verlängerung des Lockdowns bis einschließlich 14. Februar übernommen: „Alle Geschäfte und Einrichtungen, die derzeit geschlossen sind, bleiben geschlossen“, so der Ministerpräsident weiter.

Die Mutation verbreitet sich „auch stärker unter Kindern und Jugendlichen“

Eine große Meinungsverschiedenheit zwischen Bundes- und Landesregierung tat sich am Dienstag dagegen im Bereich der Bildung auf. Merkel bestand im Gespräch mit den Länderchefs darauf, auch die Schulen in der Zeit des Lockdown bis Mitte Februar ganz geschlossen zu halten. So verwies die Beschlussvorlage aus dem Kanzleramt, die in der Videokonferenz lange umstritten war, auf „ernst zu nehmende Hinweise, dass die Mutation B.1.1.7 des SARS-CoV2-Virus sich auch stärker unter Kindern und Jugendlichen verbreitet, als das bei dem bisher bekannten Virus der Fall ist“. Während diese Formulierung blieb, wurde Merkels Forderung, die Schulen „grundsätzlich geschlossen“ zu halten, in der Sitzung von den Ministerpräsidenten, unterstützt auch von Kretschmann, um die schon bisher gültige Passage ergänzt, dass auch „die Präsenzpflicht ausgesetzt“ bleiben könne – das eröffnet den Bundesländern Spielräume.

 

Baden-Württemberg will sie im Schulbereich nutzen. „Die Kleinsten leiden am meisten darunter, wenn sie nicht mit anderen Kindern in Kontakt kommen können – für sie ist der Präsenzunterricht in den Schulen am wichtigsten“, sagte Kretschmann zur Begründung: „Daher strebe ich für Baden-Württemberg bei Aussetzung der Präsenzpflicht weiter an, ab dem 1. Februar Kitas und Schulen vorsichtig Schritt für Schritt wieder zu öffnen, wenn die Infektionslage dies zulässt.“ Bei den Schulen soll es nur um die Grundschulen gehen. Weiterführende Schulen und Berufsschulen sollen dem Regierungschef zufolge in jedem Fall geschlossen bleiben. Er, Kretschmann, habe Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) gebeten, Konzepte zu entwickeln, um die Ansteckungsgefahr in den Schulen zu minimieren: „Die Entscheidung über die vorsichtige Öffnung treffen wir in der kommenden Woche vor dem Hintergrund der Infektionslage.“

Land debattiert erneut Sonderweg bei Schulen

Kretschmann hatte bereits in den vergangenen Tagen angekündigt, sich im Kreis seiner Amtskollegen und gegenüber Merkel für die generelle Wiedereröffnung von Kitas und Grundschulen nach Ende Januar einsetzen zu wollen, scheiterte jedoch damit in der Sitzung. Die Landesregierung hatte schon in der vergangenen Woche über einen möglichen baden-württembergischen Sonderweg beraten, entschied dann aber doch, darauf zu verzichten und die Schulen doch bis Ende Januar geschlossen zu halten. Schulministerin Eisenmann, die schon länger für eine frühere Öffnung wirbt, hatte daraufhin als Kompromiss vorgeschlagen, „Kitas zu öffnen und Klasse eins und zwei zunächst in die Schulen zu nehmen, auf Abstand zu unterrichten, um dann in einem nächsten Schritt Klasse drei und vier zu ergänzen“.

Bei der Bewegungsfreiheit seiner Bürger geht Baden-Württemberg ebenfalls einen anderen Weg. Während im Bund-Länder-Beschluss entsprechende Einschränkungen weiter nur in besonders vom Coronavirus gebeutelten Gebieten vorgesehen, darf im Südwesten von Ausnahmen abgesehen weiterhin niemand nach 20 Uhr einen Fuß vor die Tür setzen. „Wir werden die nächtlichen Ausgangssperren landesweit vorerst beibehalten“, sagte Regierungssprecher Rudi Hoogvliet unserer Zeitung. „Auch der Erlass zur Vermeidung von Massenansammlungen in touristischen Hochburgen besteht fort – das ist die baden-württembergische Übersetzung, übrigens inzidenzunabhängig, eines auf 15 Kilometer beschränkten Bewegungsradius.“ Diese Begrenzung rund um den eigenen Wohnort findet sich ebenfalls im aktuellen Beschlusspapier der Ministerpräsidentenkonferenz, sie kommt im Land jedoch nicht auf diese Weise zur Anwendung.

Froh zeigte sich die Landesregierung am Dienstagabend, dass ein radikaler Lockdown zur vollständigen Ausmerzung des Coronavirus vermieden wurden, wie es auch einige Experten den Ministerpräsidenten in einer Anhörung am Montagabend empfohlen hatten. „Wir sind keine Insel, eine Zero-Covid-Strategie ist daher gar keine reale Möglichkeit und wäre politisch erst recht nicht durchsetzbar“, erklärte Regierungssprecher Hoogvliet, weil damit auch die Wirtschaft des Landes noch schwerer getroffen würde als ohnehin schon: „Mögliche Betriebsschließungen sind vom Tisch und waren für Baden-Württemberg auch nie eine Option.“ Ministerpräsident Kretschmann appelliere aber „an alle Unternehmen, in jedem nur denkbaren Fall auf Homeoffice zu setzen“.