Behinderte mit Betreuern dürfen nicht an den Kommunalwahlen im Mai teilnehmen. Das ist ein Verstoß gegen Grundrechte, kritisiert die Landesbehindertenbeauftragte - und dringt auf Abhilfe.

Stuttgart/Eppelheim - Tausende Menschen mit Behinderung im Südwesten können aller Voraussicht nach nicht an den bevorstehenden Kommunal- und Europawahlen teilnehmen. „Bund und Land haben die erforderlichen Wahlrechtsänderungen auf die lange Bank geschoben, obwohl der Ausschluss eindeutig gegen die UN-Menschenrechtscharta verstößt“, sagte die Landesbehindertenbeauftragte Stephanie Aeffner der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.

 

Das Zeitfenster für eine Novelle des Wahlrechts werde immer enger, um 5900 betreuten Behinderten im Südwesten die Teilnahme an den Abstimmungen am 26. Mai zu ermöglichen - unter anderem wegen der dann erforderlichen Anpassung der Wählerverzeichnisse.

Bundesweit rund 80 000 Bürgern wird das aktive und passive Wahlrecht vorenthalten, darunter Menschen in Behinderten-Werkstätten, die durchaus politisch interessiert sind. Das Thema wird derzeit auch in der Bundesregierung mit Blick auf die Europawahl diskutiert.

„Menschenrecht zu wählen darf nicht verweigert werden“

Die Behindertenbeauftragte mit Grünen-Parteibuch kritisierte, dass die grün-schwarze Regierung im Südwesten eine Änderung des Kommunalwahlrechts abhängig von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemacht habe. Die entsprechende Verhandlung über eine Klage gegen den Wahlrechtsausschluss sei aber noch nicht einmal terminiert. Einige Bundesländer wie Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben bereits ihr Kommunalwahlrecht geändert.

Betroffen sind im Südwesten behinderte Männer und Frauen, denen ein Betreuer für alle Bereiche ihres Lebens - von Vermögens-, Gesundheits- und Wohnungsangelegenheiten bis zu Behördengängen - zur Seite gestellt ist. Hinzu kommen rund 250 (2016) schuldunfähige Straftäter in der Forensik. Aeffner betonte: „All diesen Menschen darf das Menschenrecht zu wählen nicht verweigert werden, weil es dabei auch um die Auswirkungen politischer Entscheidungen auf ihre eigenen Belange und ihr konkretes Leben geht.“

Sozialpädagogin stellt Konzept der Betreuung in Frage

Die 42-Jährige Sozialpädagogin aus Eppelheim, die seit 20 Jahren im Rollstuhl sitzt, stellt auch das Konzept der Betreuung insgesamt in Frage. Angehörige griffen zu dem Instrument für ihre erwachsenen behinderten Kinder, wenn diese ihr Leben nicht selbstständig führen könnten. Dabei seien sie sich über die Konsequenzen wie den Ausschluss vom Wahlrecht oft nicht bewusst. Die Kriterien für die Erfordernis einer Betreuung müssten neu gefasst werden. „Viele Betreuungen sind unnötig.“ Die Alternative sei die bei den Kommunen zu beantragende Assistenz, die den Rechtsstatus der Hilfeempfängers nicht ändere.

Überdies seien Wahlrechtsausschlüsse eine heikle Sache: „Wenn wir anfangen anhand von Kenntnissen und Fähigkeiten festzulegen, wer wählen darf, gäbe es auch andere Personengruppen, bei denen man anhand ihres Informationslevels über einen Ausschluss nachdenken müsste.“ Entweder müsse der Gesetzgeber diesen Maßstab bei allen Bürgern ansetzen oder bei keinem.