Auch an anderer Stelle hält sich Obama an die Tradition. Wie schon seine Vorgänger George W. Bush und Bill Clinton versucht er, der letzten verbliebenen Supermacht eine stärkere Position im pazifischen Raum zu verschaffen. Schon kurz nach seinem Amtsantritt sagt Obama, er werde ein pazifischer Präsident sein. Dass darüber die Beziehungen zu Europa und damit auch Deutschland ein wenig in den Hintergrund rücken, ist fast zwingend.

 

Der letzte Besuch der Bundeskanzlerin im Weißen Haus ist zwei Jahre her. Im Juni 2011 richtet Obama ein Staatsbankett zu Merkels Ehren aus und verleiht ihr die amerikanische Freiheitsmedaille. 19 Böller werden abgefeuert. Obama bezeichnet Deutschland als „einen unserer engsten Verbündeten“. Es mache Spaß, mit der Kanzlerin zusammenzuarbeiten. „Ich vertraue ihr“, sagt Obama. Und Merkel sagt, ohne den Beitrag der USA zum Fall der Berliner Mauer „würde ich wahrscheinlich heute hier nicht stehen können“.

Aus den öffentlichen Äußerungen lässt sich nicht erkennen, wie sehr die Amerikaner irritiert sind, weil sich Deutschland im UN-Sicherheitsrat enthalten hat, als es wenige Monate vor dem Treffen in Washington um die Billigung der Luftschläge gegen das Gaddafi-Regime in Libyen ging.

Merkel und Obama – zwei Pragmatiker treffen aufeinander

Erkennen lässt sich aber ein altes Muster aus der Frühzeit der Beziehung Obama-Merkel. Zwei Pragmatiker treffen da aufeinander, zwei überaus rationale Menschen, denen übertriebenes Pathos zuwider ist. Merkel ist Kanzlerin eines Landes, das sich emanzipiert hat. Obama ist Präsident eines Landes, das vor allem wirtschaftlich an seine Grenzen gelangt ist. In gewisser Weise sind nur noch die Bürokraten beiderseits des Atlantiks die wirklich euphorischen Transatlantiker. Als Obama etwa im Februar dieses Jahres seine Rede zur Lage der Nation hält, zählen deutsche Diplomaten in Washington mit und fragen hinterher, ob man wohl auch bemerkt habe, dass der Präsident Deutschland gleich zweimal erwähnt habe. Das stimmt zwar, für eine Renaissance der alten Leidenschaft spricht dennoch nicht viel.

„United Stasi of America“

Mit euphorischem Jubel kann Obama ohnedies nicht rechnen. Die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sind zwar noch gut, aber leidenschaftlich sind sie längst nicht mehr. Der jüngste Tiefschlag: die Enthüllung, dass die US-Geheimdienste in großem Stil das Internet überwachen und Millionen von Deutschen davon betroffen sind. „United Stasi of America“ – niemand hätte sich im Sommer 2008 gedacht, dass dieser Kalauer nur fünf Jahre später in Mode kommen wird.

In den ersten Monaten seiner Amtszeit unternahm Obama noch alles, um den Eindruck zu erwecken, dass der versprochene Wandel sich, wenn nicht gleich, dann doch bald einstellen wird. Acht Jahre lang war George W. Bush der Herr im Weißen Haus – Jahre des Krieges, der Hoffnungslosigkeit. Die Deutschen sehnten sich wie die Amerikaner nach einem Ende dieser Ära.

Obama ist erst wenige Tage im Amt, da weckt er schon Hoffnung darauf. Er sagt, er werde den Rückzug aus Afghanistan beginnen und den Krieg im Irak beenden. Er verspricht die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba. Dorthin hat die CIA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington Hunderte von Terrorverdächtigen verschleppt. Murat Kurnaz war einer von ihnen, ein Bremer türkischer Herkunft. Er sitzt fast fünf Jahre im Käfig, bewacht von US-Soldaten, denen gesagt wurde, Kurnaz sei ein „feindlicher Kämpfer“.

Weiter geht es mit den Ankündigungen

Es geht weiter mit den Ankündigungen und den Versprechen. Am 4. Juni 2009 hält Obama eine Rede in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Das Manuskript trägt die Überschrift „Ein neuer Anfang“. Der US-Präsident kündigt an, die Beziehungen seines Landes zur gesamten arabisch-muslimischen Welt ins Positive drehen zu wollen. Nicht mehr von der „Achse des Bösen“ ist die Rede, wie noch zu Bushs Zeiten, sondern von Zusammenarbeit und ausgestreckten Händen.

Einmal noch wird Obama in jenem Jahr in Deutschland bejubelt. Er besucht die Mitte des „alten Europas“. So hat Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Deutsche und Franzosen genannt, nachdem sie ihm nicht in den Irakkrieg folgen wollten. Obama wird in Dresden von der Kanzlerin durch das Grüne Gewölbe geführt, die Schatzkammer des sächsischen Königs August des Starken. Später an diesem Tag legt der US-Präsident eine weiße Rose auf einer Gedenktafel in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald ab. Sein Großonkel war unter den US-Soldaten, die am 5. April 1945 das Buchenwald-Außenlager Ohrdruf befreiten. Obama verspricht: „Ich werde niemals vergessen, was ich hier gesehen habe.“

Bei diesem Besuch – es ist der vorerst letzte in Deutschland – wird zwar deutlich, dass der US-Präsident und die deutsche Kanzlerin nicht so herzlich miteinander umgehen, wie es Merkel und Bush getan haben, aber Obama wird immer noch wie ein schillernder Popstar wahrgenommen.

Die Rede zum Friedensnobelpreis leitet die Wende ein

Obamas Versprechen werden nicht weniger. Er spricht von atomarer Abrüstung. Ende 2009 bekommt er den Friedensnobelpreis. Er ist nach Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson erst der dritte US-Präsident, dem diese Ehre zu Amtszeiten gewährt wird. In gewisser Weise lobt das Nobelpreiskomitee aber den Tag vor dem Abend und gibt Obama einen gewaltigen Vertrauensvorschuss. „Es geschieht selten, dass eine Person wie jetzt Obama die Aufmerksamkeit der Welt derart auf sich zieht und neue Hoffnung auf eine bessere Welt macht“, heißt es in der Begründung. Andere bemerken in diesen Tagen, dass außer vielen Ankündigungen noch nichts Bemerkenswertes aus Washington gekommen sei.

Obama, der nach einer Analyse des deutschen Historikers Bernd Stöver die Hoffnungen auf eine politische und militärische Kehrtwende bewusst geweckt hat, scheint zu spüren, dass er überdreht hat – und dass der Friedensnobelpreis nicht nur auf den ersten Blick kaum zur Ankündigung passt, 30 000 weitere US-Soldaten nach Afghanistan zu schicken, um dort den Aufstand niederzuschlagen. Entsprechend zurückhaltend fällt Obamas Dankesrede aus.

Der Krieg als Instrument der Außenpolitik

Gut möglich, dass es diese Rede ist, die den Blick der Öffentlichkeit auf Obama nach und nach verändert. Der US-Publizist Peter Bergen, der vor wenigen Monaten ein Buch über die Jagd auf Osama bin Laden veröffentlicht hat, schreibt: „Obwohl er bereit ist, Gewalt anzuwenden, wird Barack Obama nicht als der Falke angesehen, der er ist.“ Das stimmte bis zur Rede im Rathaus von Oslo, danach aber ist dieser Eindruck nicht mehr zu halten, denn Obama sagt in deutlichen Worten, dass für ihn der Krieg auch weiterhin ein Instrument der Außenpolitik ist. Er hat zwar die US-Armee aus dem Irak abgezogen, und wahrscheinlich wird auch Ende kommenden Jahres der US-Kampfeinsatz in Afghanistan beendet, aber er führt einen Krieg neuen Typs, einen Schattenkrieg – mit Angriffen im Cyberspace, mit nächtlichen Kommandoaktionen, mit unbemannten Flugkörpern, deren Raketen von Computern am anderen Ende der Welt ins Ziel gelenkt werden. Als der Darsteller eines Friedensapostels taugt Barack Obama jetzt nicht mehr.

Diese grundsätzliche Bereitschaft zum „gerechten Krieg“ gilt bis heute: Am 23. Mai, Obamas zweite Amtszeit ist nicht einmal sechs Monate alt, hält der Präsident eine lange erwartete Rede an der National Defense University in Washington. Er sagt wieder einmal, dass er Guantánamo schließen wolle. Er sagt, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht auf ewig militärisch geführt werden könne. Er sagt aber auch, dass er vom Einsatz unbemannter Drohnen gegen Terrorverdächtige im Ausland nicht lassen werde, solange Amerika bedroht sei. Der Historiker Stöver sieht Obama in der Tradition der US-Außenpolitik: In seinen Grundsatzreden verwende der US-Präsident immer wieder den Hinweis „auf eine Anti-Appeasement-Politik und den ,good war‘ zwischen 1941 und 1945, der zur Beseitigung Hitlers zwingend notwendig gewesen sei“.

19 Böller für Angela Merkel

Auch an anderer Stelle hält sich Obama an die Tradition. Wie schon seine Vorgänger George W. Bush und Bill Clinton versucht er, der letzten verbliebenen Supermacht eine stärkere Position im pazifischen Raum zu verschaffen. Schon kurz nach seinem Amtsantritt sagt Obama, er werde ein pazifischer Präsident sein. Dass darüber die Beziehungen zu Europa und damit auch Deutschland ein wenig in den Hintergrund rücken, ist fast zwingend.

Der letzte Besuch der Bundeskanzlerin im Weißen Haus ist zwei Jahre her. Im Juni 2011 richtet Obama ein Staatsbankett zu Merkels Ehren aus und verleiht ihr die amerikanische Freiheitsmedaille. 19 Böller werden abgefeuert. Obama bezeichnet Deutschland als „einen unserer engsten Verbündeten“. Es mache Spaß, mit der Kanzlerin zusammenzuarbeiten. „Ich vertraue ihr“, sagt Obama. Und Merkel sagt, ohne den Beitrag der USA zum Fall der Berliner Mauer „würde ich wahrscheinlich heute hier nicht stehen können“.

Aus den öffentlichen Äußerungen lässt sich nicht erkennen, wie sehr die Amerikaner irritiert sind, weil sich Deutschland im UN-Sicherheitsrat enthalten hat, als es wenige Monate vor dem Treffen in Washington um die Billigung der Luftschläge gegen das Gaddafi-Regime in Libyen ging.

Merkel und Obama – zwei Pragmatiker treffen aufeinander

Erkennen lässt sich aber ein altes Muster aus der Frühzeit der Beziehung Obama-Merkel. Zwei Pragmatiker treffen da aufeinander, zwei überaus rationale Menschen, denen übertriebenes Pathos zuwider ist. Merkel ist Kanzlerin eines Landes, das sich emanzipiert hat. Obama ist Präsident eines Landes, das vor allem wirtschaftlich an seine Grenzen gelangt ist. In gewisser Weise sind nur noch die Bürokraten beiderseits des Atlantiks die wirklich euphorischen Transatlantiker. Als Obama etwa im Februar dieses Jahres seine Rede zur Lage der Nation hält, zählen deutsche Diplomaten in Washington mit und fragen hinterher, ob man wohl auch bemerkt habe, dass der Präsident Deutschland gleich zweimal erwähnt habe. Das stimmt zwar, für eine Renaissance der alten Leidenschaft spricht dennoch nicht viel.

Vor wenigen Tagen wird öffentlich, dass Obama entgegen seinen vollmundigen Versprechungen den staatlichen Überwachungsapparat in den USA nicht verkleinert, sondern noch vergrößert hat. Selbst Kommentatoren, die bisher fest zu ihm standen, fallen von ihm ab. Die Stichworte „George W. Obama“ und „Yes, we scan“ tauchen in den Zeitungsspalten und im Internet auf. Obama könnte in die Geschichte eingehen als der Präsident, der den Hochsicherheitsstaat seines Vorgängers George W. Bush in einen global unbescholtene Bürger ausspähenden Überwachungsstaat überführt hat.

In Deutschland noch mehr geschnüffelt als anderswo

Wenn Obama in der kommenden Woche zum ersten Mal zum offiziellen Besuch nach Berlin kommt, wird aus einer vor allem mit Symbolik angereicherten Visite plötzlich eine politisch brisante Angelegenheit geworden sein. Die Kanzlerin, heißt es, werde beim Präsidenten um eine Erklärung nachsuchen, was es mit der jetzt enthüllten Datenschnüffelei durch die US-Geheimdienste auf sich habe.

Die britische Zeitung „The Guardian“ hat eine ihr zugespielte Weltkarte des US-Abhördienstes NSA veröffentlicht. Daraus lässt sich ablesen, dass die NSA in Deutschland deutlich beflissener spähte als anderswo in Europa. Wenn die Angaben stimmen, dann ist für die US-Dienste Deutschland potenziell genauso verdächtig wie der Irak, wie Saudi-Arabien, wie China. Wie passt das mit Obamas Satz zusammen, wonach Deutschland einer der engsten Verbündeten der USA sei? Die Obamania des Sommers 2008 ist Geschichte.