Keiner weiß, wie lange er noch spielt. Also verneigt sich die NBA schon jetzt vor Dirk Nowitzki (38). Ein Besuch beim Basketball-Superstar der Dallas Mavericks.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

New York - Als die graue Anzugshose in Übergröße verschlossen ist, kann es losgehen. Jetzt, direkt nach dem Duschen, hat Dirk Nowitzki in der Kabine der Dallas Mavericks während des Anziehens noch ein paar Minuten für ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Sportjournalisten aus Stuttgart, obwohl ihm wegen eines Treffens mit alten Bekannten eigentlich etwas die Zeit davonläuft. „Stuttgart, da war ich schon ein paar Mal, da hatten wir damals mit der Nationalmannschaft ein paar Länderspiele – wir hatten immer eine gute Zeit dort“, sagt der Basketball-Superstar nach dem 111:104-Sieg am Sonntag beim Kellerclub Brooklyn Nets im Bauch des Barclays Center in New York.

 

Dirk Nowitzki ist nicht nur der beste deutsche Basketballer der Geschichte, sondern einer der besten deutschen Sportler aller Zeiten. Neulich erst hat er die Schallmauer von 30 000 Karrierepunkten in der US-Profiliga NBA durchbrochen. Als sechster Spieler überhaupt und als erster Nicht-Amerikaner. Seitdem ist der 38-Jährige wieder in aller Munde. Wurde auch Zeit, findet sein langjähriger Trainer Rick Carlisle. „Er bekommt mehr Aufmerksamkeit als in den vergangenen Jahren – und das verdient seine herausragende Karriere auch“, sagt der Mavericks-Coach.

Lob aus allen Richtungen

Wen man auch fragt, alle antworten bei Fragen nach Dirk Nowitzki mit überschwänglichem Lob, übertreffen sich mit Superlativen. Tenor: brillanter Spieler, großartiger Typ. Schon beim Aufwärmen ist zu sehen, was ihn ausmacht. Er flachst mit allen Spielern und Trainern um ihn herum, sorgt so für gute Laune und reißt sie schon da mit – während er aus allen Lagen trifft und trifft. Dieses geschmeidige Goldhändchen aus zwei Meter Entfernung live in Aktion zu sehen (die NBA lässt Journalisten nah heran an die Sportler), ist noch viel beeindruckender als aus der Entfernung. Die formvollendete Wurfbewegung des 2,13-Meter-Hünen – das ist Kunst.

Als einer der Letzten ist Dirk Nowitzki noch auf dem Feld, dehnt seinen Veteranenkörper nach dem Einwerfen eine Dreiviertelstunde vor dem Spielbeginn akribisch. Währenddessen sitzt ein paar Meter davon entfernt im Presseraum der milliardenschwere Mavericks-Besitzer Mark Cuban an einen Tisch und plaudert lässig mit einem Journalisten nach dem anderen. „Was Dirk für den Club bedeutet? Er ist der Club!“, sagt Cuban. Er bezeichnet Nowitzki als Freund und großartigen Familienmenschen, lobt dessen Engagement für Kinder. „So lange er spielen will, kann er das bei uns tun – das liegt alleine in seiner Hand.“

Einmal Dallas, immer Dallas.

Am Anfang war das Stirnband

Dirk Nowitzki kam 1999 zu den Mavericks – als blonder Jüngling mit wehendem Haar, das ein Stirnband im Zaum halten musste. „Das war damals Wahnsinn, ich wusste ja nicht, ob ich mich durchsetzen kann in der besten Liga der Welt. Die englische Sprache war nicht so flüssig, ich war das erste Mal von zu Hause weg – es war einfach ein schüchterner Würzburger, der damals ankam“, sagt er, während er sich nach der Partie in der Kabine sein feinkariertes Hemd überwirft. Nach harter Anfangszeit mit einigem Spott für den etwas ungelenken Schlaks aus Deutschland verschaffte der Sohn einer Basketball-Nationalspielerin und eines Zweitliga-Handballers sich dank seinen besonderen Qualitäten als Distanzschütze auf den Positionen der großen Spieler gehörigen Respekt.

Er setzte sich durch. Mehr noch: sein Stil prägte schon schnell das Spiel der nachfolgenden Generationen, andere Superstars kopierten seinen speziellen Sprungwurf, genannt „The Dirk“. Die sportliche Krönung: der Meistertitel 2011 (nach der bitteren Finalniederlage 2006). „Dallas ist meine neue Heimat, alle meine drei Kinder haben einen amerikanischen Pass. Aber ich habe nie vergessen, wo ich herkomme, meine ganze Familie wohnt noch in Würzburg, ich bin jeden Sommer da. Ich fühle mich einfach an beiden Orten sehr wohl“, sagt Dirk Nowitzki, während er die Hemdärmel zuknöpft. Vergangenen Sommer hat er sogar sein erstes Spiel für das Würzburger Kreisklasse-Tennisteam gemacht, für das er schon seit vielen Jahren gemeldet ist. Es endete mit Niederlagen im Einzel und Doppel: „Von daher war ich diesmal leider keine Hilfe.“

Nowitzki ist Profi durch und durch

Eddie Sefko kennt Dirk Nowitzki besser als kaum ein anderer Journalist, seit nun schon 16 Jahren begleitet er die Mavericks in Diensten der „Dallas Morning News“. „Er ist einer der besten Superstars, die es jemals gab, im Umgang mit den Medien. So bodenständig – er sagt es einfach, wie es ist“, sagt Sefko. Das schätzt auch der Mavericks-Pressemann Scott Tomlin sehr an ihm, der stellvertretend für alle im Verein spricht, wenn er sagt: „Er behandelt jeden mit Respekt und macht unser aller Jobs so viel leichter.“ Das viele Geld hat den Multimillionär Dirk Nowitzki im Gegensatz zu manchen anderen Sportlern nicht verdorben. Er stellt sich weder über seine Teamkollegen noch über irgendjemand anderen. „Er liebt das Spiel einfach sehr und hängt sehr daran“, sagt sein langjähriger Mitspieler JJ Barea, der selbst 32 ist. „Was er in seinem Alter noch leistet, ist schon verrückt.“

Auch für Florian Berg sowie die Zwillingsbrüder Jonas und Yannik Reichenbach aus Linz am Rhein bei Bonn ist Dirk Nowitzki ein Held. Die drei 21-jährigen BWL-Studenten sind extra aus Deutschland angereist, um sich die jüngsten Mavericks-Spiele in Washington, Philadelphia und New York anzuschauen. 100 Euro pro Kopf haben sie alleine für die Partie bei den Brooklyn Nets bezahlt, für Plätze irgendwo kurz unter dem Tribünendach. „Wir wollten ihn unbedingt noch in der NBA spielen sehen, und man kann halt schlecht sagen, wie lange der alte Mann noch spielt“, sagt Florian Berg und grinst. Das kann auch Dirk Nowitzki, der im Juni 39 wird, nicht. „Das muss man jetzt mal sehen. Ich habe 2016 einen Zweijahresvertrag unterschrieben, den würde ich gerne erfüllen. Beim Rest muss man mal schauen, ob es geht oder nicht“, sagt er, während er seine Anzugsschuhe schnürt.

Selbst die Gegner lieben ihn. „Er ist eine Legende. Es ist eine Ehre für uns, gegen ihn antreten zu dürfen“, sagt der Nets-Trainer Kenny Atkinson. „Wenn man denkt, er ist auf dem absteigenden Ast, verjüngt er sich einfach wieder. Ein großartiger Spieler, ein klasse Typ.“ Als Dirk Nowitzki zur Begegnung in Brooklyn einläuft, wird es lauter als bei jedem anderen Spieler – das Heimteam inklusive. Nach Verletzungsbeschwerden in den ersten Saisonmonaten kommt der Deutsche immer besser in Schwung. Mit 23 Punkten führt er die Mavericks als bester Werfer zum 30. Sieg im 69. Spiel der Runde, die in den Play-offs enden soll. Danach Autogramme, diverse Interviewrunden.

Und ganz am Schluss warten im Bauch des Barclays Center noch die alten Bekannten mit ihren drei kleinen Kindern auf ihn. Ob sie in die Umkleide kommen können, fragt Dirk Nowitzki höflich bei den Sicherheitsleuten nach? „Hey Dirk, es ist doch deine Kabine“, lautet die Antwort.