Der Klimawandel und die zunehmende Gefahr von Hitzestress im Stuttgarter Kessel machen es immer dringlicher: Die Stadt muss grüner werden – auch ihre Häuser. Auch die hohen Gebäude. Doch da hapert es in Stuttgart noch.

Stuttgart - Gabriele Munk wird ungeduldig. Die Stadtplanerin und die anderen Grünen-Stadträte wollen endlich auch in Stuttgart intensiv bepflanzte Häuserfassaden. Schon 2017 habe man Geld für ein städtisches Pilotprojekt genehmigt, klagte Munk im „Stadtblatt“, dem Zentralorgan der Grünen-Fraktion, „geschehen ist bisher leider nichts“. Und bei den privaten Bauprojekten läuft auch wenig.

 

Die Zukunft des grünen Städtebaus hat zwar längst begonnen, aber nicht in Stuttgart. Dabei müssten eigentlich alle Großstädte im Zeichen des Klimawandels recht flott der Gefahr von zunehmendem Hitzestress in den Sommern vorbeugen. Viele blicken nach Mailand. Dort hat Architekt Stefano Boeri vor Jahren einen senkrechten Wald (Bosco verticale) an zwei Hochhäusern angelegt. „Vertical forest? Hochkant können auch wir“, titelte Munk. Tatsache ist aber: In Stuttgart wird es in den nächsten fünf Jahren nur wenige grüne Fassadenprojekte geben – und wohl immer unter der Hochhausgrenze.

Manchmal wachsen die Probleme, nicht das Grün

Der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven redete nicht lang herum, als er im Rathaus seinen Fassadenentwurf für das Neubauprojekt an der Calwer Passage vorstellte: Man habe bewusst nicht höher gehen wollen. Wenn die baden-württembergische Hochhausrichtlinie greift, „werden die Parameter noch mal wesentlich strenger“, sagt der Architekt Nikolaus Tennigkeit, der beim Projekt des Investors Ferdinand Piëch jr. für alles zuständig ist, was hinter Ingenhovens Fassaden passiert. Schon hier war erheblicher Aufwand nötig: Da musste man Brandschutzexperten zuziehen und aufwendig prüfen, welche Pflanzen geeignet sind.

Im Fall des Hotelturms, dessen Bau die Firma Strabag Real Estate am 4. Juli im Europaviertel starten will, wuchsen sich fast nur die Probleme aus. Zunächst sollte es eigentlich das Fassadengrün sein. Das Preisgericht beim Architektenwettbewerb wollte es so. Nun aber werden statt Nischen mit Pflanzen zur Auflockerung Kunstreliefs in die Fassade eingebaut. Die Brandschutzauflagen für Hochhäuser, klagte der damalige Firmen-Bereichsleiter Uwe Jaggy, könne man mit dem ursprünglichen Konzept nicht erfüllen. Auf dem Hochhausdach, auf dem Dach des Sockelgebäudes und neben dem Hotelbau will der Investor allerdings für Grün sorgen.

Architektenkammer sieht die Schwierigkeiten

In der Architektenkammer Baden-Württemberg hat man Verständnis. Ab 22 Meter Höhe herrschten andere Voraussetzungen, sagt der fachkundige Mitarbeiter Jochen Stoiber. Da oben darf es keine großflächige brennbare Fassadenverkleidung geben, um der vertikalen Brandausbreitung vorzubeugen. Im Gebäude braucht es einen zweiten Rettungsweg. „Die Hochhausfassade hat per sé nicht brennbar zu sein“, sagt auch Udo Kirchner, erfahrener Brandschutzexperte der Firma Halfkann und Kirchner. Darauf aufbauend seien dann gewisse Ausnahmen definiert. Am Ende ist das Baurechtsamt gefordert, das im Zuge der Genehmigung von Sondergebäuden, wie es Hochhäuser sind, eine Einzelfallabwägung vornimmt. Dabei sind vielerlei Risiken zu bedenken.

So könnte, sagt Jochen Stoiber, in einem Jahrhundertsommer eine vermeintlich unproblematische Grünvariante plötzlich gefährlich werden: falls das Grün vertrocknet und gut brennbar ist. Ganz abgesehen davon, dass in 50 Meter Höhe andere Windverhältnisse herrschen als weiter unten und man die Effekte bedenken muss. Nicht von ungefähr sei in Mailand eine besondere und aufwendige Gebäudetypologie realisiert worden – mit Sonderkonstruktionen, fest gebauten Pflanztrögen im Balkonbereich und Bewässerungssystem. Doch spätestens bei der Aufgabe, in 80 oder 90 Meter Höhe Büsche und regelrechte Bäume zurückzuschneiden, komme man auch in Mailand an Grenzen. Ob die Stadt nennenswerte ökologische Effekte hat, ist für Stoiber fraglich. Im Zusammenspiel solcher Aspekte denke so mancher Investor: „Lassen wir lieber die Finger davon.“

Verwaltung will noch stärker fürs Begrünen werben

Auch Kirchner rät zu Vorsicht. Über die Pflanzenfrage dürfe man das Problem des Halterungs- und Befestigungsmaterials nicht aus den Augen verlieren. Er erwarte aber, dass diese Systeme noch besser werden. Der Fokus der Aufmerksamkeit habe sich freilich verändert, nachdem in London am 14. Juni 2017 der Grenfell Tower lichterloh gebrannt hat und 72 Menschen gestorben sind. Dennoch gehe der Weg wohl weiter zu Grün an Bauten.

Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) sieht auch, dass noch zu wenig zuverlässige Systeme verfügbar seien. Sofern die Pflanzen im Boden ranken könnten, sei alles in Ordnung. „Sobald aber Pflanzgefäße benutzt werden, fangen die Themen an.“ Und was Hochhäuser angehe: In Mailand gebe es andere Baugesetze, andere Brandschutzrichtlinien und andere Witterungsbedingungen. Trotz mancher „nicht trivialer“ Probleme werbe man bei Bauherren verstärkt für Begrünung. Technikbürgermeister Dirk Thürnau (SPD) lässt grüne Fassaden an geplanten städtischen Gebäuden im Neckarpark vorbereiten: am Parkhaus mit Energiezentrale (Fertigstellung wohl 2020), am Bildungshaus (2025), am Leistungszentrum für Sport (2022), am Sportbad (2022) und an Funktionsgebäuden für Sportplätze. Meist geht es um 30 Prozent Fassadenfläche. Mäßig hoch.