Während der Landrat zur Besichtigungsfahrt zu einem Baumwipfelpfad in Bayern bittet, sammeln die Gegner des Vorhabens am Reußenstein Unterschriften.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Wiesensteig - Die Fahrt ist strapaziös, aber gewiss vergnüglicher als die vierstündige Kreisstraßenrundfahrt, die der Kreistagsausschuss für Umwelt und Technik vor Kurzem hinter sich gebracht hat. Damals ging es einen Vormittag lang zu den tiefsten Schlaglöchern im Kreis Göppingen, am kommenden Montag soll hingegen ein Blick darauf geworfen werden, wie sein künftiger touristischer Höhepunkt aussehen könnte. Im Reisebus geht es zum fast 400 Kilometer entfernten Baumwipfelpfad nach Neuschönau im Bayerischen Wald. Doch die Anmeldezahlen sind eher dürftig.

 

„Ich finde das schade“, sagt Gebhard Tritschler, der Bürgermeister von Wiesensteig. Denn eigentlich hatte der Landrat Edgar Wolff neben den Mitgliedern des Wiesensteiger Gemeinderats und des Kreistags ausdrücklich auch die Kritiker des Vorhabens zu der Ausfahrt eingeladen. Er habe alle Mitglieder des örtlichen Gewerbe- und Fremdenverkehrsvereins, der seit Wochen die Bewegung gegen einen Baumwipfelpfad auf Wiesensteiger Gemarkung anführt, angeschrieben, sagt Tritschler.

Die Bayern wollen von ihren Erfahrungen berichten

Doch die Resonanz blieb mäßig. Gerade einmal zwei Mitglieder hätten sich angemeldet. Dabei soll in Neuschönau nicht nur der Wipfelpfad bestiegen werden, was etliche Gegner schon auf eigene Faust getan haben. Vielmehr sollen auch der dortige Landrat, der Bürgermeister und ein Gastronom aus der Umgebung den schwäbischen Gästen Rede und Antwort stehen. Tritschler versteht die Kritiker deshalb nicht. Woche für Woche würden stereotyp neue Informationen gefordert, würden aber welche gegeben, würden sie ignoriert.

Leuchtturmprojekt oder touristischer Rummel

Im Schatten des Albaufstiegs an der A 8 ist der Ton rauer geworden. Dazu hat auch Andreas Pohl beigetragen. Der wortgewaltige Vorsitzende des Fremdenverkehrsvereins lässt das Aufnahmegerät mitlaufen, wenn Journalisten anrufen und verweist dann auf seine schriftlichen Äußerungen. Dort geißelt er das „ewige Gerede von Leuchtturmprojekten“ und warnt vor einem „gastronomischen Tempel“ und einem touristischen „Rummel“ mitten in einer der schönsten Naturlandschaften. Als Inhaber einer florierenden Jagdschule hat er allerdings auch Interesse daran, dass sich im Wiesensteiger Wald Reh und Wildschwein weiterhin Gute Nacht sagen. Dass es ihm gelang, den gesamten Fremdenverkehrsverein auf seine Linie einzuschwören, ruft bei Außenstehenden jedoch Verwunderung hervor. Es sei schon eigenartig, sagt Tritschler: „Sogar der Hotellerie- und Gaststättenverband im Kreis befürwortet den Baumwipfelpfad, aber in Wiesensteig erwartet kein einziger Gastronom von dem Projekt positive Effekte.“

Die Unterschriftenaktion läuft

Öffentlich äußern wollen sich zu diesem Paradoxon die wenigsten Wirte. Möglicherweise hat dies damit zu tun, dass Pohl ein besonders guter Kunde ist, wie manche munkeln, möglicherweise ist dies aber auch eine Unterstellung, wie Renate Rothfuß findet. Die Betreiberin des Reußensteinhofs gilt als einzige Gegnerin des Vorhabens im Gemeinderat, ist als direkte Anliegerin bei Abstimmungen jedoch befangen. Zusammen mit Pohl und anderen Aktiven des Fremdenverkehrsvereins hat sie eine Unterschriftenaktion gestartet. Um einen Bürgerentscheid über den Baumwipfelpfad zu erzwingen, benötigt sie die Unterstützung von zehn Prozent der Wahlberechtigten. Das sind etwa 160 Unterschriften. „Das schaffen wir locker.“

Der Standort in unmittelbarer Nähe zum Reußenstein sei einfach falsch, die Belastung für Wiesensteig und seine enge Ortsdurchfahrt sei bei offiziell geschätzten 250 000 Besuchern im Jahr einfach zu hoch, argumentiert Rothfuß. Mit der Unterschriftenaktion spricht sie allerdings nicht nur die Gegner des Projekts an, sondern alle, die dieses für Wiesensteig wichtige Thema umtreibt. „Befürworten Sie die Erstellung eines Baumwipfelpfads am Reußenstein im Gewann Bronnen?“, soll die Frage lauten, die den Einwohnern der Stadt vorgelegt werden soll.

„Ein Bürgerentscheid ist möglich“

Dass die Frage am Ende von der Bürgerschaft und nicht vom Gemeinderat entschieden wird, sei denkbar, sagt Tritschler. Manche glauben, dass die mittlerweile emotional aufgeladene Atmosphäre in der kleinen Stadt in dem engen Tal auch keine andere Lösung mehr zulässt. Das Gesetz stünde dem wohl nicht entgegen. Grundsätzlich sei ein Bürgerentscheid zu dieser Frage möglich, sagt der Sprecher der Kommunalaufsicht im Landratsamt.